3 Fragen an Christel Wasiek

02.11.2021, Sarah Rondot
Interviews

Sie haben vor 13 Jahren die Stiftung Seniorenhilfe weltweit gegründet und sind seit 50 Jahren in der Seniorenarbeit in Lateinamerika tätig. Was war der Auslöser für die Gründung der Stiftung?
Es gibt mehr als einen Auslöser für die Gründung meiner Stiftung. Mein Interesse am weltweiten demografischen Wandel und den Auswirkungen auf die Seniorenbevölkerung in den Ländern des globalen Südens hat sich vielmehr seit meinem Entwicklungsdienst in Uruguay kontinuierlich entwickelt. Ich habe viele Jahre gemeinnützige Organisationen in Lateinamerika – zum Beispiel in Brasilien, Chile, Perú, Kuba, Mexiko oder Panamá - bei der konzeptionellen Entwicklung und dem Aufbau von Seniorenarbeit beraten und die Veränderungen hin zu einer an den Bedürfnissen und Rechten von Seniorinnen und Senioren orientierten Arbeit fachlich begleitet. Obwohl die Seniorenbevölkerung in Lateinamerika mehrheitlich in Armut lebt, gibt es in den Ländern kaum sozialpolitische Lösungen und für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sind alte Menschen auch nicht prioritär.
Die Gründung meiner Stiftung Seniorenhilfe weltweit wollte und will daher durch die Förderung von Projekten dazu beitragen, dass alte Menschen in Lateinamerika in Würde leben können. Gleichzeitig will sie in unserer Gesellschaft wirken und für die Folgen des weltweiten demografischen Wandels sensibilisieren, zum Beispiel durch Fotoausstellungen wie: Lateinamerika – Gesichter des Lebens (Porträts alter Menschen). Daneben appelliert sie an die Verantwortlichen der Entwicklungszusammenarbeit, die Folgen des demografischen Wandels aktiv in ihre Projektpolicy einzubeziehen. Die Stiftung Seniorenhilfe weltweit kann die bestehenden Probleme nicht lösen, nimmt aber eine anregende Funktion wahr.


Sie haben unzählige Projekte in der Seniorenhilfe in Lateinamerika ins Leben gerufen, welches der Projekte hat sie am meisten begeistert?
Die Auswahl ist schwer, weil ich von unseren Projekten überzeugt bin und alle direkt oder indirekt konkrete Menschen im Blick haben. Ich möchte zwei Projekte vorstellen:
Im Dorf Huarraco, Region Puno am Titicacasee in Peru, hat eine Befragung der Senioreninnen und Senioren durch Freiwillige des Caritasverbandes gereicht, um einen Seniorenverein zu gründen, der sehr bald Hilfe für die armen und schlecht ernährten Senioreninnen und Senioren suchte. Gemeinsam wurde dann ein Projekt mit Legehennen überlegt. Die alten Menschen erhalten je sechs Legehühner. Die täglich produzierten Eier erlauben eine bessere Ernährung und erwirtschaften ein kleines Einkommen. Die Senioreninnen und Senioren haben aber auch eine sinnvolle Beschäftigung und werden familiär und im Dorf mehr anerkannt. Inzwischen gibt es auch Seniorengärten für Gemüse. Das Projekt hat die Lebensqualität der alten Menschen verbessert und hilft in der Pandemie.
Auch das Lateinamerikanische Netzwerk Gerontologie – RLG – will zur Verbesserung der Lebensbedingungen alter Menschen beitragen. Allerdings indirekt durch ein Internetportal mit inhaltlich und konzeptionell aktualisierten Informationen und Dokumenten, der Möglichkeit des fachlichen Austauschs sowie einem monatlichen Infodienst. Die Internetseite hat eine geografische Reichweite in alle Länder des Kontinents mit jährlich mehr als 600.000 Nutzungen. Es wird erwartet, dass die Nutzerinnen und Nutzer durch das Internetportal ihre gerontologische Praxis aktualisieren und verbessern.


Oft konzentrieren sich Entwicklungsprojekte auf die jüngere Generation. Was kann gute Seniorenhilfe zur Entwicklung eines Landes beitragen?
Alle Projekte haben das Ziel, die Selbstorganisation und Selbsthilfe der Seniorenbevölkerung zu fördern, damit sie bei der Regierung ihre eignen Interessen und die Sicherstellung ihrer Menschenrechte – Einkommen, Ernährung, Wohnen, Zugang zu Gesundheitsdiensten – durchsetzen können, ggf. mit Unterstützung von Nicht-Regierungsorganisationen. Beispiel: Lobbyarbeit in Peru für eine beitragsfreies Rente. Die Selbstorganisation, aber auch die konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen alter Menschen kann bei den Regierungen zu mehr Bewusstsein und sozialpolitischer Verantwortung auch für zukünftige Generationen führen. Wesentlich bei aller Förderung von Seniorenprojekten ist daher die Selbstermächtigung und Selbstorganisation alter Menschen im Sinne des Mottos der Vereinten Nationen „Eine Gesellschaft für alle Lebensalter“, ein Ziel, das noch unerreicht ist.

 

Christel Wasiek kam zum ersten Mal im Rahmen ihres Entwicklungsdienstes als Sozialarbeiterin in Uruguay in Berührung mit den Schwierigkeiten älterer Menschen in Lateinamerika. Sie wurde zur Mitgründerin eines Vereins in Uruguay, der dazu beitragen wollte, die Lebenssituation von älteren Menschen zu verbessern und ihnen die Möglichkeit zu geben, in Würde zu altern. 2008 gründete Wasiek dann die Stiftung Seniorenhilfe weltweit. Im Jahr 2021 ist ihr Buch „Seniorenhilfe weltweit – Erfahrungen in Lateinamerika“ erschienen.

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