Telematikinfrastruktur und e-Rezept: KBV fordert, gematik liefert

08.06.2022, Sven C. Preusker
Digital Health, Politik & Wirtschaft, Heilberufe

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist und bleibt eines der Gesundheitspolitischen Top-Themen – zuletzt waren der fehlgeschlagene e-Rezept-Start und die Probleme bei der Telematikinfrastruktur (TI) zwei der Top-Themen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat jetzt in einer Resolution einige Forderungen zur zukunftsfähigen Ausgestaltung der TI gestellt. Zum e-Rezept hat die gematik endlich einen Zeitplan veröffentlicht, der auch in der Ärzteschaft Zustimmung findet. 

Bei der TI-Strategie fordert die KBV einige grundsätzlich Kurskorrekturen, die akuten Baustellen müssten schnellstmöglich behoben werden. Um die TI inklusive aller Anwendungen endlich zum Laufen zu bringen, halten die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sowie Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten die Umsetzung einiger Anforderungen für unerlässlich. Die Praxen würden funktionierende Anwendungen brauchen – deshalb fordert die KBV ein verbindliches Testkonzept für sämtliche Komponenten und Anwendungen inklusive sämtlicher Komponenten-Kombinationen und einen kontrollierten Rollout-Prozess. Angesichts der vorherrschenden Abhängigkeit von der Industrie würden die Praxen „Unterstützung und Abhilfe“ brauchen, heißt es weiter. Die KBV fordert daher unter anderem einen Herstellergipfel im Bundesgesundheitsministerium, bei dem sich „insbesondere die Anbieter der Dienste und Anwendungen auf eine reibungslose Implementierung der Anwendungen verpflichten.“ Gegebenenfalls könne auch über geeignete finanzielle Anreize gesprochen werden. Das tagesaktuelle Online-Reporting der gematik müsse daher um den Aspekt der TI-Fähigkeit sämtlicher Praxisverwaltungssysteme im Hinblick auf die einzelnen Anwendungen erweitert werden, fordert die KBV weiter. Dieses solle als Grundlage für alle weiteren Entscheidungen dienen. Im Falle des Auftretens von TI-Problemen sei eine zentrale Info-Hotline der gematik nötig, bei der die Praxen anrufen könnten. Diese Hotline müsse in der Lage sein, schnell und konkret festzustellen, wo die Problemursache liegt und bei Problemen mit der TI unmittelbar helfen können. Bei anderen Fehlerursachen habe sie umgehend mitzuteilen, wer der richtige Ansprechpartner sei, fordert die KBV. Außerdem sei rechtzeitig ein reibungslos für die Praxen organisierter und vollumfänglich finanzierter Austausch der Konnektoren nötig, der in jeglichen Rollout-Szenarien zu berücksichtigen sei. 

Das BMG solle gemeinsam mit den anderen Ressorts in der Bundesregierung eine Fachkräfte- und Qualifizierungsoffensive initiieren, da die TI federführend vom BMG verantwortet werde – die Praxen würden kompetente IT-Dienstleister vor Ort brauchen, die sich mit der TI auskennen. Es bedürfe zweier Informationskampagnen, einmal seitens der Hersteller mit CME-Punkten für die Praxen und einmal seitens der Krankenkassen zur Aufklärung ihrer Versicherten, zur Unterstützung der Praxen bei der Integration der neuen Anwendungen in den Praxisalltag und zur Entlastung bei der Information der Patientinnen und Patienten über neue Anwendungen. Außerdem sei für die Praxen zeitnah eine gesetzliche Klarstellung darüber nötig, dass ihre Verantwortung für den Datenschutz nur so weit reiche, wie sie es auch beeinflussen könnten.

Da richtungsweisende Entscheidungen zur Weiterentwicklung der TI unmittelbar bevorstehen würden (zum Beispiel TI 2.0), seien neben dem Schnellprogramm zeitnah auch grundlegende Kurskorrekturen durch das BMG bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen vorzunehmen, so die KBV. Diese seien vor dem Hintergrund des erklärten politischen Ziels zu sehen: Für eine zukunftsfeste Aufrechterhaltung und – wo möglich – Verbesserung der medizinischen und pflegerischen Versorgung der Menschen in Deutschland mithilfe digitaler Innovationen wird die digitale Vernetzung des Gesundheitswesens über alle Sektoren und Fachberufe angestrebt. Deshalb sei die Telematikinfrastruktur mit all den damit verbundenen Anwendungen staatliches Ziel und Aufgabe. Konsequenterweise müsse daher sowohl die Bereitstellung der erforderlichen zentralen und dezentralen Komponenten der TI-Infrastruktur „bis zur virtuellen Praxistür“ als auch die Finanzierung in staatlicher Hand liegen. Deshalb müsse die weitere Entwicklung der TI mit allen Anwendungen auf die Versorgung ausgerichtet und nach dem Grad des Effekts auf die Versorgung (re-)priorisiert werden. Konsequenterweise müsse hierbei die Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer in den Praxen von Anfang bis Ende einbezogen werden, fordert die KBV. Für die technische Umsetzung der politischen TI-Strategie müsse die Neuausrichtung der gematik so schnell vollzogen werden, dass diese zukünftig ihre Arbeiten in den Dienst der Versorgung stellen und unter anderem die Entwicklung der von ihr zugesagten TI 2.0 schnell auf die richtigen Schienen setzen könne. Konsequenterweise müssten verbindliche Zulassungs- und Zertifizierungsregelungen entwickelt werden, nach denen die gematik ihre klar definierte Verantwortung und Aufgabe wahrnehme, und sie brauche einen vernünftigen und realistischen Zeitplan, um die TI 2.0 aufzustellen und umzusetzen.

Die Praxen seien frustriert von den bisherigen Erfahrungen mit der Telematikinfrastruktur und würden sich eine Digitalisierung wünschen, die die Praxen in der Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten unterstütze, schließt die KBV.

E-Rezept-Fahrplan steht

Fortschritte gibt es beim e-Rezept zu vermelden. Laut dem aktuellen Zeitplan der gematik soll die flächendeckende E-Rezept-Nutzung stufenweise erfolgen, Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein starten dabei. Ab 1. September 2022 werden die Apotheken in ganz Deutschland elektronische Rezepte annehmen, hieß es. In Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe werden in Pilot-Praxen und -Krankenhäusern dann hochlaufend zu einem flächendeckenden Verfahren E-Rezepte ausgestellt. Auf diese erste Stufe des Rollouts haben sich die Gesellschafter der gematik am 31. Mai einstimmig geeinigt.

Die nächsten Schritte der stufenweisen Einführung sollen von den Gesellschaftern zeitnah festgelegt werden. Es sei angedacht, drei Monate später – nachdem die Gesellschafter den Erfolg der ersten Stufe beschlossen haben – in diesen beiden Regionen verpflichtend und in sechs weiteren Bundesländern sukzessive die Einführung umzusetzen. 2023 sollen die ausstehenden acht Bundesländer und damit die bundesweite Nutzung des E-Rezepts folgen.

Bis zur verbindlichen Einführung des E-Rezeptes seien die medizinischen Einrichtungen in allen Regionen angehalten, von der Möglichkeit der E-Rezept-Ausstellung Gebrauch zu machen, hieß es von der gematik. Die Krankenkassen seien heute schon, die Apotheken spätestens ab dem 1. September 2022 bundesweit dazu in der Lage, E-Rezepte einzulösen und abzurechnen.

„Unsere Bedenken wurden gehört: Eine automatische und verpflichtende Einführung des e-Rezepts zum 1. September in zwei Bundesländern ist vom Tisch. Vielmehr wird es ab Anfang September eine freiwillige Teilnahme von Pilotpraxen geben – und das unter klaren Rahmenbedingungen, die entscheidend dafür sind, wann und wie der weitere Rollout erfolgen wird“, sagte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, zu den Plänen der gematik. Gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen dankte er ausdrücklich den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein, dass sie sich bereit erklärt haben, als Testregionen die Einführung des e-Rezepts zu unterstützen. Der Dank ging zugleich in Richtung Bundesgesundheitsministerium. „Minister Lauterbach hat mehrfach betont, dass er Verständnis für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen hat und den vielen Problemen, denen sie sich bei der Umsetzung der Digitalisierung ausgesetzt sehen,“ sagte Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV. Das BMG habe die Beschlüsse der Sondergesellschafterversammlung der gematik ausdrücklich unterstützt und mitgetragen.

„Grundsätzlich werden die jeweiligen Rollout-Phasen erst dann umgesetzt, wenn alle abgestimmten Qualitätskriterien erreicht und dies von den Gesellschaftern auch so festgestellt wird“, erläuterte Dr. Thomas Kriedel, Mitglied des KBV-Vorstands. So erfolge frühestens drei Monate nach Start der ersten Phase und auch nur dann, wenn ein gemeinsamer Beschluss über den erfolgreichen Abschluss getroffen werde, der Einstieg in die nächste Phase mit sechs weiteren Bundesländern beziehungsweise KV-Regionen ebenfalls auf freiwilliger Basis. Genauso gehe es dann flächendeckend weiter. Die gematik soll Vorschläge erarbeiten, welche Anreizsysteme zur Testteilnahme kurzfristig etabliert werden können. Der Start in den Regionen erfolgt in Abstimmung mit den KVen und in Abhängigkeit von der tatsächlichen technischen und organisatorischen Verfügbarkeit. Das heißt: Auch alle anderen Beteiligten (Apotheken) müssen in der Lage sein, mit e-Rezepten zu arbeiten. Die gematik werde den Startprozess eng begleiten und eine zentrale Servicestruktur (etwa mit einer Hotline) aufsetzen.

 

Dieser Artikel stammt aus dem medhochzwei Newsletter 11-2022. Jetzt abonnieren und keine wichtigen News aus der Branche mehr verpassen!

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