Engehausen: Pflegebedarfsermittlung darf nicht vom Finanzminister korrigiert werden

22.09.2022, Sven C. Preusker
Politik & Wirtschaft, Interviews & Kommentare

medhochzwei: Herr Engehausen, jetzt liegt ein vom Bundeskabinett verabschiedeter Entwurf für das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG) vor – was sehen Sie da auf die Krankenhäuser zukommen, ist mit den geplanten Regelungen wirklich eine Entlastung für die Mitarbeiter in der Pflege zu erwarten?

Roland Engehausen: Grundsätzlich halte ich weiterhin die PPR 2.0 für das derzeit einzige funktionsfähige und auf breitem Konsens entwickelte Instrument, um den tatsächlichen Pflegepersonalbedarf zu ermitteln und die Attraktivität der Pflegefachberufe perspektivisch positiv entwickeln zu können. Und dies ist dringend nötig. Leider hat das, was jetzt im KHPflEG zu lesen ist, aber nur noch wenig damit zu tun, worauf sich die Partner Deutscher Pflegerat (DPR), Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und Verdi zur PPR 2.0 ursprünglich geeinigt hatten. Es ist zu hoffen, dass die Fehler im Kabinettsentwurf im parlamentarischen Verfahren noch korrigiert werden. Dazu gehört ein Gesamtblick auf die künftigen Vorschriften zur Personalbemessung, um einen Flickenteppich an Regelungen mit zusätzlichen Pflegepersonaluntergrenzen, Personalquotienten und anderer Bemessungen im Intensivpflegebereich zu vermeiden. Die PPR 2.0 muss künftig das zentrale Instrument sein, um wirken zu können. Außerdem ist es kritisch, wenn die gesetzliche PPR 2.0 durch eine alternative tarifvertragliche Personalvorgabe ausgehebelt werden könnte. Diese Opt-out-Option muss gestrichen werden. Mit dem Kabinettsentwurf besteht die Gefahr, dass ein noch größeres Nebeneinander von verschiedenen Dokumentations- und Sanktionsregelungen nur die Bürokratie in den Krankenhäusern weiter verschärft, anstatt der Pflege zu helfen. Deshalb ist ein Ganzhaus-Ansatz der PPR 2.0 nötig, der Krankenhäuser bei einer Personalausstattung von mindestens 80 Prozent des PPR 2.0-Niveaus von der Bürokratie der anderen Instrumente freistellt. 

Zur Klarheit gehört auch, dass eine Entlastung der Pflegenden mit der PPR 2.0 erst mittelfristig möglich ist, weil die Steigerung der Attraktivität der Pflegefachberufe und die Professionsentwicklung ein langer Weg sein werden. Aber wir müssen endlich verbindlich damit anfangen. Mit der PPR 2.0 – besser umgesetzt als im Kabinettsentwurf – wird die dafür wichtige Transparenz des echten Pflegebedarfs geschaffen. Und die Krankenkassen, die den Aussagen nach lieber eine Pflegebedarfsbemessung aus der Statistikmaschine ohne Berücksichtigung der tatsächlichen individuellen Versorgungsbedarfe hätten, brauchen aus meiner Sicht keine Sorge vor kurzfristigen Kostensteigerungen haben, denn auch mit PPR 2.0 werden ja die tatsächlichen Personalkosten erstattet und die Fachkräftelücke kann nur schrittweise ausgeglichen werden. Außerdem kann die PPR 2.0 bei gleichzeitigen Fachkräftemangel auch dazu führen, dass die beiden Mega-Themen Digitalisierung und Ambulantisierung noch mehr an Fahrt aufnehmen, was sicher auch im Sinne der Kassen sein dürfte. Daher hoffe ich sehr darauf, dass auf die fachlich fundierten Änderungsvorschläge der bisherigen Entwicklungspartner der PPR 2.0 gehört wird und auch die Kassen und die Politik dies verstehen können. Die Lage des pflegerischen Fachkräftemangels ist dramatisch und wir brauchen eine PPR 2.0 aus einem Guss.

mhz: Erstmals ist in diesem Gesetzentwurf explizit eine Einbeziehung des Bundesfinanzministeriums bei Budgetentscheidungen für die Krankenhäuser vorgesehen – was ist das für ein Signal für die Zukunft der Finanzierung der stationären Versorgung?

Engehausen: Das Mitentscheiden des Bundesfinanzministers ausgerechnet beim Pflegebudget war der ganz große Aufreger der letzten Tage und hat gerade in der Pflege für Kopfschütteln und Vertrauensverlust in die Politik geführt. Es scheint auch nicht nur eine übliche Ressortabstimmung zu sein, sondern ein hartes Vetorecht für Herrn Lindner. Es wirkt wie eine Entwicklung der ohnehin stark limitierenden Krankenhausfinanzierung zu einer Pflegepersonalausstattung nach Kassenlage. Wir sehen darin eine ernsthafte Gefährdung der Patientenversorgung und einen beispielslosen Schlag ins Gesicht des Pflegepersonals. Es löst auch keine guten Gefühle aus, wenn sich der Bundesgesundheitsminister bei der Gestaltung guter Pflege hinter seinem Kabinettskollegen für Finanzen verstecken muss oder dies sogar möchte? Wir würden es ja begrüßen, wenn auch der Finanzminister mitwirken würde, die Attraktivität der Pflege- und Gesundheitsberufe zu stärken. Aber wir müssen genau das Gegenteil befürchten und sehen mit Sorge eine weitere Verschärfung des heute ohnehin schon überall spürbaren Fachkräftemangels. Die Mitsprache des Finanzministers ist völlig unpassend. Wir benötigen die Ermittlung des Pflegebedarfs nach der Systematik der PPR 2.0. Diese Pflegebedarfsermittlung am Patientenbett darf nicht vom Finanzminister im politischen Berlin korrigiert werden – ohne jegliches Wenn und Aber.

mhz: Auch für die Budgetverhandlungen und die Strukturprüfungen sieht der Entwurf Änderungen vor – wie schätzen Sie diese aus Sicht der Krankenhäuser ein?

Engehausen: Die angedachten Änderungen zu den Budgetverhandlungen mögen vielleicht vom Bundesgesundheitsministerium mit Blick auf die langen und oft zähen Budgetverhandlungen gut gemeint sein, gehen aber über den sinnvollen Regelungsbedarf weit hinaus. Mit der geplanten Regelung würde es bei den Budgetverhandlungen zu neuen Problemen in Bezug auf Datenlieferfristen, Budgetverhandlungen unter Zeitdruck und bürokratischen Schiedsstellenverfahren gegen den Willen der Vertragspartner kommen. Den Auslöser – die verzögerten Verhandlungen zum ersten Pflegebudget in 14 von 16 Bundesländern – hätte man aus meiner Sicht weitgehend über die bereits vorliegenden Testate der Jahresabschlussprüfer regeln können. Alle anderen Verzögerungen führen ja nicht zu einer finanziellen Schieflage irgendeiner Seite, da genehmigte Vereinbarungen bis zu einer Neugenehmigung weitergelten. Deshalb gibt es auch bei dieser Regelung noch einen Korrekturbedarf, der nach meinem Verständnis übrigens von den Krankenkassen und den Krankenhäusern gleichermaßen gesehen wird. Darauf sollte die Politik hören. 

Aber auch etwas Positives: Die geplanten Regelungen zur Leistungsabrechnung im Zusammenhang mit den Strukturprüfen sind als erforderliche Klarstellung zu begrüßen.

mhz: Auch im Bereich der Digitalisierung sind mit dem Entwurf einige Änderungen vorgesehen, unter anderem soll die Evaluierung des Krankenhauszukunftsfonds angepasst und weiterentwickelt werden – Wie bewerten sie das?

Engehausen: Die Messung der Reifegrade aller Krankenhäuser hinsichtlich der Digitalisierung ist aus meiner Sicht zu begrüßen. Der recht spät gesetzte nächste Stichtag am 31.12.2023 zeigt, dass die Umsetzung der Digitalisierung mit den Mitteln des KHZG nicht so schnell geht, wie von der Politik gewünscht. Darauf wird seit Monaten aufgrund der langsamen Antragsbewilligungen und dem völlig überhitzten IT-Markt für Krankenhäuser auch praktisch hingewiesen. Daher ist der Gesetzgeber gefordert, die KHZG-Umsetzungsfristen zu verlängern oder zumindest die Sanktionen zu streichen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass bereits in diesem Gesetzgebungsverfahren Abschläge vorgesehen sind, wenn bestimmte digitale Dienste von den Krankenhäusern nicht umgesetzt sind. 

Vielmehr kommt der Finanzierung der Betriebskosten dieser digitalen Dienste eine besondere Bedeutung zu, die derzeit völlig ungeklärt ist. Der wesentliche Nutzen der Digitalisierung liegt nicht in einer direkten Kosteneinsparung je stationärer Behandlung, sondern in einer grundsätzlich besser vernetzten und damit wirtschaftlicheren Versorgung auf allen Ebenen durch die Vermeidung von Doppeluntersuchungen beim Aufnahmemanagement und eine bessere koordinierte Nachsorge. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass die Krankenhäuser ab 2025 Abschläge hinnehmen müssen, wenn sie sich gleichzeitig mit höheren Betriebsausgaben konfrontiert sehen. Aus einem Bestrafungssystem mit Abschlägen muss deshalb ein positives Anreizsystem mit Zuschlägen für umgesetzte digitale Anwendungen werden. 

Die neu geplante Regelung zum Erörterungsverfahren (nach § 17c Abs. 2b KHG), dass die dafür nötige Datenübermittlung über den Medizinischen Dienst mit den dort bereits vorliegenden Daten regeln soll, ist aus meiner Sicht zu begrüßen, um Doppelbürokratie und Streitigkeiten um die digitalen Unterlagen zu vermeiden. 

Wichtig ist dabei die Regelung, dass die Krankenkassen diese übermittelten Daten nur für die Durchführung des einzelfallbezogenen Erörterungsverfahrens und ggf. des gerichtlichen Verfahrens nutzen dürfen und es keine Daten-Zusammenführung ggf. mit KI-Instrumenten zu anderen Zwecken geben darf. Das Nähere zum Verfahren der Übermittlung soll zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit dem Medizinischen Dienst Bund vereinbart werden, wobei aus meiner Sicht der Deutschen Krankenhausgesellschaft vorab die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen wäre.

mhz: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 18-2022. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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