Tagesbehandlungen sollen schnell ermöglicht werden

25.10.2022, Sven C. Preusker
Politik & Wirtschaft, Krankenversicherung, Versorgung


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Die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung hat Ende September einen Vorschlag vorgelegt, laut dem Krankenhäuser in Zukunft Tagesbehandlungen abrechnen können sollen, wenn dies medizinisch vertretbar ist und die Patientin oder der Patient nicht im Krankenhaus übernachten. Laut des Vorschlags soll im Falle einer Tagesbehandlung die entsprechende DRG um eine Pauschale für die Übernachtungskosten gekürzt werden. Diese soll über das Relativgewicht errechnet werden, welches pro entfallener Übernachtung um den Faktor 0,04 gemindert werden soll. Entsprechend addieren sich die Abzugsbeträge bei mehrtägigen Tagesbehandlungen, wobei die Abzüge auf maximal 30 Prozent der DRG gedeckelt werden sollen – auch bei Tagesbehandlungen, die über einen längeren Zeitraum gehen. Bei zweitägiger Behandlung soll, wie bei eintägiger Behandlung, ein Abzug von 0,04 erfolgen. Die wenigen existierenden, expliziten Ein-Tages-DRGs (ca. 24) sollen weiterhin wie bisher vergütet werden. Eine zwischenzeitliche Unterbrechung für maximal zwei Tage am Stück (zum Beispiel am Wochenende) soll, auch mehrfach, möglich sein. Die Entscheidung zu einer Tagesbehandlung soll jeweils im Einvernehmen mit der Patientin bzw. dem Patienten getroffen werden. Im Übrigen soll die Tagesbehandlung in gleicher Weise für gesetzlich und privat Versicherte sowie Beihilfeberechtigte eingeführt werden.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) sagte, das Bundesgesundheitsministerium befasse sich bereits mit der Umsetzung, ein Start im Januar 2023 sei durchaus realistisch. Aktuell ist in Berlin ein Änderungsantrag zum Krankenhauspflegeentlastungsgesetz in Vorbereitung, um die neuen Möglichkeiten zur Tagesbehandlung möglichst schnell umzusetzen. Mit der neuen Regelung solle das „ineffiziente System“ geändert werden, durch das Abrechnungen vieler stationärer Leistungen im Krankenhaus bisher nur mit möglich sind, wenn der Patient auch über Nacht im Krankhaus bleibt, so Lauterbach.

Die Ankündigungen sind auf Seiten der Krankenhäuser größtenteils positiv aufgenommen worden, wenn auch z.B. die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die mangelnde Einbindung in den Prozess bemängelte. Die flächendeckende Einführung tagesklinischer Behandlungen in den Krankenhäusern sei ein Schritt in die richtige Richtung, dem weitere folgen müssten, hieß es von dem Verband. „Für diese weitergehenden Reformschritte müssen jedoch frühzeitig die vorhandenen Vorschläge der verschiedenen Selbstverwaltungspartner berücksichtigt, analysiert und einbezogen werden. Das bisherige Verfahren, dass die Regierungskommission ausschließlich zu Einzelfragen im Rahmen von kurzen Anhörungen Hinweise von den Selbstverwaltungspartnern einsammelt, ist nicht ausreichend für einen umfassenden und konsensorientierten Reformprozess,“ so Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG. Insbesondere auch die zukünftige Einbeziehung der Länder mit deren Verantwortung und Zuständigkeit für die Krankenhausplanung sei von essenzieller Bedeutung für das Gelingen einer umfassenden und abgestimmten Reform.

Auch wenn die Kommission mit ihren Vorschlägen ausdrücklich auf kurzfristige Entlastungen hofft, ohne dass Leistungen für die Patientinnen und Patienten eingeschränkt würden oder die Behandlungsqualität vermindert werde – und das, ohne zusätzliche Ausgaben im Gesundheitswesen zu verursachen, sondern nach Möglichkeit Einsparungen zu erzielen, sehen das die Krankenkassen anders. Aus Sicht der AOK beispielsweise sind die Vorschläge nicht geeignet, um die Ambulantisierung der Krankenhausleistungen in Deutschland voranzubringen: „Die Vorschläge laufen darauf hinaus, dass ambulant erbrachte Leistungen künftig auf dem bisherigen DRG-Niveau bezahlt werden sollen, ohne dass sich die Strukturen ändern und die Versicherten davon profitieren“, kritisierte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann. Die vorgeschlagenen Regelungen würden weder die qualitätsorientierte Modernisierung der Krankenhaus-Strukturen fördern, noch zu mehr Effizienz der Versorgung führen, so Reimann. „Hier drohen neue, zusätzliche Ausgaben im Milliardenbereich, ohne dass die Beitragszahlenden dafür einen Mehrwert bekommen.“ Krankenhäuser könnten zukünftig ihre Leistungen risikolos aus der ambulanten Vergütung nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) in die DRG-Vergütung steuern. „Das bedeutet im Kern: Dieselbe Leistung für die Patientinnen und Patienten zum vielfachen Preis“, so Reimann. Auch an den Betreuungszuschlägen für Notfallpatienten lässt Reimann kein gutes Haar: Angesichts der hohen Anzahl von etwa zehn Millionen ambulanten Notfällen pro Jahr in den Kliniken könne der vorgeschlagene Betreuungszuschlag zu erheblichen Mehrausgaben in Höhe von bis zu vier Milliarden Euro führen.

Die Länder wiederum machten – durch ihre in der Gesundheitsministerkonferenz vertretenen Landesgesundheitsministerinnen und -minister – vor den anstehenden Verhandlungen mit der Bundesebene deutlich, dass Krankenhausplanung Ländersache sei und ohne Abstriche in Länderhand bleiben müsse. Außerdem fordern sie bei einer Reform eine bessere Verzahnung der ambulanten und der stationären Versorgung und die Überprüfung des Systems der Fallpauschalen.

Hintergründe zu den Vorschlägen

Die Vorschläge der Kommission sollen zu einer „kurzfristigen Entlastung der Krankenhäuser und des Gesundheitswesens“ beitragen, wie es im Titel des Papiers heißt. Eine zentrale Ursache der erkannten Kapazitätsengpässe in den Häusern sieht die Kommission in einem Personalmangel in allen Berufsgruppen, obwohl die Zahl der in der Pflege und im ärztlichen Bereich pro 1.000 Einwohner tätigen Personen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in Deutschland relativ hoch sei. Dieser relative Personalmangel im deutschen Gesundheitssystem resultiere unter anderem aus der hohen Zahl vollstationärer Behandlungsfälle (bei sektoraler Trennung und unzureichender Koordination zwischen den Sektoren), schreiben die Kommissionsmitglieder. Der relative Personalmangel schränke die Leistungsfähigkeit vieler Krankenhäuser stark ein, reduziere die Zahl der betreibbaren Betten, führe zu Stationssperrungen und dazu, dass die Kapazitäten der Krankenhäuser nicht voll ausgeschöpft werden könnten.

Die Kommission erkennt auch, dass die Möglichkeiten nach dem AOP-Katalog von den Krankenhäusern nur in geringem Maße genutzt würden und von dieser Seite keine relevanten Auswirkungen auf das Gesundheitssystem erfolgen würden, insbesondere nicht in Richtung einer umfassenderen Ambulantisierung bislang stationärer Leistungen. Die Ursache dafür sieht die Regierungskommission nicht vorrangig in einer zu engen Fassung des Katalogs begründet, sondern in der Grundkonzeption der Regelung, die zu stark auf einzelne Leistungen oder Prozeduren fokussiere und für die zumeist multimorbiden Kranken zu wenig patientenzentriert sei. Zugleich würden viele Krankenhäuser die Vergütung als nicht kostendeckend erachten. Die Kommission begrüßt daher zwar das aktuelle IGES-Gutachten, das sich für eine deutliche Ausweitung des AOP-Katalogs ausspricht, erwartet davon aber keine relevanten Auswirkungen auf die grundsätzlichen Umsetzungsschwierigkeiten.

Die Kommission hat auch schon einige Details für die mögliche Umsetzung vorgeschlagen. So sollen, um auszuschließen, dass auch Notfallbehandlungen über die neue Tagesbehandlung abgerechnet werden, eintägige Tagesbehandlungen ohne Einweisung nicht möglich sein. Es sollen nur Tage vergütet werden, an denen sich Patienten für wenigstens sechs Stunden im Krankenhaus aufhalten und dort überwiegend medizinische oder pflegerische Leistungen erhalten. Schätzungen zufolge könnte die Neuregelung auf etwa ein Viertel aller stationären Behandlungen im Krankenhaus zutreffen. Für mehrstündig in Notaufnahmen behandelte Patientinnen und Patienten soll zusätzlich zur bisherigen Vergütung ein nach der Betreuungsdauer gestaffelter Betreuungszuschlag gewährt werden. Eine Staffelung nach drei Stunden, vier Stunden und über sechs Stunden wird empfohlen, wobei die Kommission für eine Notaufnahmebehandlung von mehr als sechs Stunden ein Betreuungszuschlag in der Größenordnung von 400 Euro als angemessen ansieht. 

Die Neuerung soll laut des Papiers nach 12 und nach 24 Monaten quantitativ und qualitativ evaluiert werden. Unter anderem soll dabei das Ausmaß und die Dauer der Tagesbehandlungen für die verschiedenen DRGs untersucht werden, inwieweit Kosteneinsparungen erzielt werden und ob es zu einem Rückgang oder zu einer Ausweitung von Behandlungen in den Krankenhäusern kommt. Bei unerwünschten Entwicklungen seien kurzfristig Anpassungen der Rahmenbedingungen vorzunehmen.

Krankenhäuser hoffnungsvoll

Die Vorschläge böten, so die DKG in ihrer Reaktion, die Perspektive, klinische ambulante Behandlungsprozesse zu entwickeln und im Interesse der Patientinnen und Patienten einzusetzen. Mit der Umsetzung dieser Empfehlungen könnten Krankenhäuser wichtige Praxiserfahrungen sammeln, die sie dann später bei weitergehenden Ambulantisierungsschritten nutzen könnten. Für die DKG bleibe damit das auch im Koalitionsvertrag formulierte Ziel der Einführung von Hybrid-DRGs zur klinisch-ambulanten Behandlung an den Krankenhäusern im Fokus.

Die in ersten Reaktionen geäußerten Bedenken der Krankenkassen hinsichtlich einer unkontrollierten Leistungsausweitung teile man nicht, da die Kommission für dieses neue Behandlungsangebot die gleichen Voraussetzungen sehe wie für die vollstationäre Behandlung mit Übernachtung im Krankenhaus, so die DKG. „Unkontrollierte Fallzahlausweitungen und die Leistungsverlagerung bisher außerhalb des Krankenhauses erbrachter ambulanter Leistungen sind auch wegen der unveränderten Prüfungsvorgaben des Medizinischen Dienstes unwahrscheinlich. Krankenhäuser werden auch für diese tagesklinischen Behandlungen bei der medizinischen Notwendigkeit die gleichen Maßstäbe anlegen wie für die bisher vollstationär versorgten Patientinnen und Patienten“, so Gaß.

Die DKG sieht allerdings die potentiellen Einspareffekte bei den Krankenhäusern deutlich niedriger als die nach den Empfehlungen der Kommission kalkulierten rund 140 Euro pro Tag. „Bei der konkreten Umsetzung muss dieser Betrag überprüft werden, damit diese neue Behandlungsform auch aufwandsgerecht vergütet wird“, sagte Gaß. Die Vorschläge zur Verbesserung der Vergütung von mehrstündigen Notfallbehandlungen in den Notaufnahmen begrüße man ausdrücklich.

Auch der Bundesverband Deutscher Privatkliniken e.V. (BDPK) sieht in den Vorschlägen einen richtigen Ansatz. Die Kommissions-Empfehlung beziehe sich allerdings ausschließlich auf stationäre Krankenhausleistungen, womit nach Ansicht des Verbands die Überwindung der Sektorengrenzen nicht gelingen könne. Um vorhandene Bruchstellen abzubauen, brauche es eine echte Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung. 

Patientenwohl muss im Mittelpunkt stehen

Von der Bundesärztekammer (BÄK) hieß es, bei den Tagesbehandlungen müsse gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels mit einer Zunahme an Multimorbidität und komplexen Krankheitsbildern sichergestellt sein, dass in der häuslichen Umgebung eine sichere und adäquate Betreuung gewährleistet sei. Es gelte zu verhindern, dass die Tagesbehandlung von den Klinikbetreibern dazu genutzt wird, Personalengpässe auszugleichen oder den Profit zu steigern. Ebenso sei darauf zu achten, dass kein Wettbewerb um medizinische Leistungen zwischen den Krankenhäusern und hochspezialisierten Fachärzten entstehe. Ziel müsse eine sektorenverbindende, indikationsgerechte und patientenorientierte Versorgung sein. Auch die BÄK fordert im Übrigen, die regelhafte Überprüfung der Tagesbehandlungen durch den Medizinischen Dienst auszuschließen. Eine solche Regelung würde die Bürokratielast in den Krankenhäusern erheblich reduzieren, hieß es dazu.

Der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried, bezweifelte, dass mit den Vorschlägen die gewünschten Entlastungseffekte für das Krankenhauspersonal erreicht werden könnten. Auch die Betreuungszuschläge für Patientinnen und Patienten in den Notaufnahmen kritisierte der Zi-Chef, es entwickele sich damit „ein ökonomischer Anreiz, Entscheidungen nicht nach medizinischen Kriterien, sondern nach Abrechnungsvoraussetzungen zu treffen.“ Es werde zu Abgrenzungs- und Prüfschwierigkeiten kommen, etwa um reine Wartezeit von echter Behandlungszeit zu differenzieren. „Kurzum: Der Vorschlag der Regierungskommission gleicht einem Arbeitsbeschaffungsprogramm für Medizinjuristen. Eine Verbesserung der Versorgung von Patientinnen und Patienten ist hingegen nicht in Sicht.“

Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) und die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) wiesen darauf hin, dass, um eine qualifizierte Nachsorge und die Patientensicherheit zu gewährleisten, der Begriff der ambulanten Leistungserbringung an die internationalen Gepflogenheiten anzupassen sei. Das schließe die Möglichkeit einer erweiterten Nachbeobachtung ein, zum Beispiel unter Einbeziehung von Praxiskliniken (Day Surgery) und einer kurzstationären Behandlung. Die erforderlichen Strukturen für die neuen Versorgungsmöglichkeiten müssten in vielen Krankenhäusern und Praxen allerdings noch geschaffen werden. „Dabei dürfen wir vertragsärztliche und krankenhausgestützte Strukturen nicht unterschiedlich behandeln“, so BDC-Präsident Prof. Hans-Joachim Meyer.

Stationäre Indikation gegeben?

Der medhochzwei-Autor und Medizinjurist Prof. Dr. Bernd Halbe kommentierte im Fachinformationsdienst „Klinik Markt inside“, dass, auch wenn die strukturellen Probleme im deutschen Gesundheitssystem unübersehbar seien und  von vielen beklagt würden, scheine niemand den Mut und die Überzeugungskraft zu haben, wirklich etwas zu ändern. Anders sei das erneut angekündigte „Reförmchen“ – die Einführung von vollstationären Behandlungen als Tagesbehandlungen – nicht zu verstehen. Seit mehr als 20 Jahren werde am System punktuell „herumgedoktert“, ohne dass etwas Maßgebliches passiert sei. Man sollte sich eingestehen, dass viele kleine Reförmchen aufaddiert eben doch keinen großen Wurf ergeben würden. Für ihn stellt sich die grundsätzliche Frage, ob im Einzelfall überhaupt eine Indikation für einen stationären Aufenthalt gegeben ist – im Zweifel würden sich insoweit diverse Fehlbelegungsverfahren anschließen, warnte Halbe.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 20-2022. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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