Umfrage: Bürokratie bremst Digitalisierung

08.11.2022, Sven C. Preusker
Digital Health

In einer gemeinsamen Umfrage haben der Branchenverband Bitkom und der Hartmannbund über 500 Krankenhaus- und niedergelassene Ärztinnen und Ärzte zum Themenkomplex Digitalisierung befragt. Die Ergebnisse würden zeigen, dass sich Ärztinnen und Ärzte digitale Angebote wünschten, die Mehrheit jedoch kritisiert unter anderem einen unzureichenden Schutz vor Cyberangriffen auf Krankenhäuser und Praxen, hieß es zu den Ergebnissen. 

78 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte sagten, Deutschland hänge im Vergleich zu anderen Ländern bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems zurück. Das seien deutlich mehr als vor zwei Jahren, als es noch 60 Prozent waren, kommentierten die Verbände. Zwei Drittel (67 Prozent) forderten mehr Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens, ebenfalls eine deutliche Steigerung gegenüber 2020 (57 Prozent). Mehr als drei Viertel der Arztinnen und Ärzte in Deutschland (76 Prozent) sehen die Digitalisierung grundsätzlich als Chance für die Medizin – 2020 waren es noch 67 Prozent. Zwei Drittel (64 Prozent) der Befragten äußerten die Ansicht, digitale Technologien würden die medizinische Versorgung der Menschen grundsätzlich verbessern. Die Hälfte (50 Prozent) verbindet damit auch eine Senkung der Kosten für das Gesundheitssystem. „Die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland haben sich insbesondere in den vergangenen zwei Jahren stark für die Digitalisierung der Medizin geöffnet. Inzwischen erkennt die weit überwiegende Mehrheit, welche Vorteile die Digitalisierung für die medizinische Versorgung hat“, so Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. „Die Corona-Pandemie hat eindrücklich gezeigt, dass Zettelwirtschaft und analoge Verfahren ein Verfallsdatum haben.“

In Krankenhäusern und Arztpraxen werden laut der Untersuchung bereits vielfach digitale Anwendungen genutzt oder angeboten, nicht nur in der Verwaltung, sondern ebenso bei Diagnose und Behandlung sowie bei Konsilen mit anderen Medizinerinnen und Medizinern – allerdings mit viel Potential nach oben. Bei gut einem Fünftel (20 Prozent) der Befragten werden digitale Aufklärungsbögen vor Untersuchungen oder Eingriffen angeboten und 18 Prozent haben in ihrer Klinik eine Tablet-gestützte Patientenaufnahme im Einsatz. Jeweils gut zwei Drittel nutzen in ihrem Haus bislang zwar keine Tablets zur Patientenaufnahme bzw. digitale Aufklärungsbögen, halten dies aber für sinnvoll. Für Patientinnen und Patienten sieht es in Sachen Kommunikation und Entertainment übrigens recht gut aus: Mehr als zwei Drittel (71 Prozent) der Klinikärztinnen und -ärzte gaben an, dass ihr Krankenhaus WLAN für diese bereitstelle. Bei weiteren 20 Prozent war dies zwar nicht der Fall, die Befragten hielten es aber für sinnvoll.

Hälfte wünscht sich KI-Einsatz 

Bei Diagnose und Behandlung sei High-Tech in den Kliniken noch nicht in der Breite im Einsatz, werde aber von vielen gewünscht, hieß es. Ein Fünftel der Krankenhausärztinnen und -ärzte (19 Prozent) gab an, dass in ihren Häusern Roboter zur Unterstützung bei Operationen und Eingriffen genutzt würden. 25 Prozent derjenigen, bei denen dies nicht der Fall ist, halten Robotik im OP jedoch für sinnvoll. Künstliche Intelligenz etwa zur Auswertung von Röntgen- oder MRT-Bildern ist bei neun Prozent in der Klinik im Einsatz, weitere 54 Prozent nutzen KI in ihrem Haus nicht, würden dies aber befürworten. Virtual Reality für Trainingszwecke oder Operationen wird bei acht Prozent genutzt, zwei Drittel (65 Prozent) fänden die Technologie für ihr Krankenhaus sinnvoll. 

Auch telemedizinische Anwendungen finden in der Klinik zunehmend Verbreitung: Bei 32 Prozent  werden Telekonsile mit anderen Ärztinnen und Ärzten durchgeführt, weitere 57 Prozent hielten das für sinnvoll. Bei 14 Prozent werden Videosprechstunden angeboten, bei einem Zehntel werden bestimmte Untersuchungen oder OPs von Fachleuten per Video aus der Ferne unterstützt. Insbesondere kleinere Kliniken in ländlichen Regionen könnten so von externem Fachwissen profitieren, kommentierte Rohleder.

Kritik an Komplexität des Gesundheitssystems

Dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen noch nicht weiter fortgeschritten ist, liegt nach Ansicht der weit überwiegenden Mehrheit aller befragten Ärztinnen und Ärzte an der Komplexität des Gesundheitssystems (91 Prozent). 80 Prozent machen oftmals langfristige Zertifizierungs- und Genehmigungsverfahren als Hindernis aus und 76 Prozent eine zu starke Regulierung des Gesundheitssektors. Die Digitalkompetenz der Patientinnen und Patienten wird von mehr als der Hälfte als mangelhaft beschrieben (58 Prozent) und die der Ärzteschaft von einem etwas geringeren Anteil (46 Prozent). Zwei der größten Hindernisse für die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens sind aus Sicht der Medizinerinnen und Mediziner auch eine zu strenge Auslegung des Datenschutzes (69 Prozent) sowie der hohe Aufwand für IT-Sicherheit (75 Prozent).

Anteil der Antworten auf die Frage "Was sind Ihrer Meinung nach die größten Hindernisse für die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens?"

Dieses Thema bereitet den Ärztinnen und Ärzten sowohl in Kliniken als auch in den Praxen Sorgen. Drei Viertel (74 Prozent) der Ärzteschaft im Krankenhaus sehen Kliniken in Deutschland häufig nicht ausreichend vor Cyberangriffen geschützt. 69 Prozent meinen, Ärztinnen und Ärzte sollten sich stärker mit IT-Sicherheit beschäftigen – und zwei Drittel (66 Prozent) sorgen sich konkret vor Cyberangriffen auf Krankenhäuser. Immerhin 42 Prozent werden an ihrer Klinik regelmäßig zum Thema IT-Sicherheit geschult, eine Mehrheit von zwei Dritteln (68 Prozent) wünscht sich aber mehr Informationen zum Umgang mit dem Thema. Unter den niedergelassenen und angestellten Ärztinnen und Ärzten in Praxen und Versorgungszentren ist die Sorge vor Cyberangriffen auf Praxen und medizinische Einrichtungen mit 83 Prozent sogar noch größer. 82 Prozent sagen zudem, Praxen seien häufig nicht ausreichend vor Cyberangriffen geschützt. Zwei Drittel (68 Prozent) aus dieser Gruppe wünschen sich, dass sich Ärztinnen und Ärzte generell stärker mit IT-Sicherheit beschäftigen. Drei Viertel (75 Prozent) wissen aber auch grundsätzlich über die IT-Sicherheit in ihrer Praxis Bescheid. 

Papier ist King bei Rezepten

Auch Medikamente werden weit überwiegend per Papierrezept verordnet. Gerade einmal ein Prozent der Ärztinnen und Ärzten stellt regelmäßig auch elektronische Rezepte aus, weitere vier Prozent tun dies vereinzelt. 57 Prozent tun dies nicht, können es sich aber künftig vorstellen. Knapp ein Fünftel der Befragten schloss dies kategorisch aus. Rohleder betonte, der Roll-out des E-Rezepts sollte jetzt zügig erfolgen – momentan stehen die Chancen dafür, gerade nach dem mit der Haltung des Bundesdatenschutzbeauftragten begründeten Rückzug der KV Westfalen-Lippe als Modellregion, eher schlecht. Allerdings hat die gematik angekündigt, die Einlösung von elektronischen Rezepten mit der eGK ab Mitte 2023 in allen Apotheken in Deutschland zu ermöglichen.

Die Kommunikation innerhalb des Gesundheitssystems verläuft insgesamt noch überwiegend analog. Vor allem das Telefon ist laut der Umfrageergebnisse Mittel der Wahl – sei es für den Austausch mit Praxen (83 Prozent), mit Kliniken (80 Prozent) oder mit Patientinnen und Patienten (86 Prozent). Überwiegend E-Mails zur Kommunikation mit anderen Praxen nutzt immerhin fast jede/jeder Dritte (30 Prozent). In der Kommunikation mit Kliniken ist es ein Viertel (24 Prozent) und mit Patientinnen und Patienten 39 Prozent. Das Fax wird dagegen noch deutlich häufiger genutzt: 63 Prozent der Medizinerinnen und Mediziner kommunizieren so mit Praxen, 57 Prozent nutzen das Fax im Austausch mit Kliniken und immer noch 16 Prozent zur Kommunikation mit Patientinnen und Patienten.

Erst sechs Prozent der Ärztinnen und Ärzte haben bereits die elektronische Patientenakte (ePA) von Versicherten genutzt, lediglich 14 Prozent weisen ihre Patientinnen und Patienten aktiv auf die ePA hin. 29 Prozent der Ärzteschaft nutzen die ePA nicht, weil sie nicht die nötige technische Ausstattung dafür haben, weitere 13 Prozent würden sie zwar gern nutzen, verweisen aber darauf, dass die Patientinnen und Patienten dies nicht möchten. 18 Prozent schließen die Nutzung grundsätzlich aus und 20 Prozent wollen sie aus „sonstigen Gründen“ nicht nutzen. Der Anteil der Unentschlossenen war mit 15 Prozent vergleichsweise hoch. Dass das von der Ampel-Koalition angekündigte Opt-out noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden soll, könnte nun der ePA zu ihrer angedachten Position als Kernstück der Digitalisierung des Gesundheitswesens verhelfen. Allerdings seien die Hürden zur Beantragung und Nutzung hoch, so Rohleder zur aktuellen Situation. In der Bevölkerung übrigens kennen auch nur 38 Prozent die ePA, das geht aus dem auch kürzlich veröffentlichten TI-Atlas der gematik hervor. Vier von fünf Menschen in Deutschland sind demnach aber grundsätzlich bereit, die ePA zu nutzen. Wenn die ePA abgelehnt werde, dann vor allem aus Datenschutzbedenken, heißt es dort.

Viele Ärztinnen und Ärzte sehen den Datenschutz bzw. eine aus ihrer Sicht übertriebene Auslegung von Datenschutzvorschriften als Hemmschuh. So betonen 71 Prozent, strenge Datenschutzvorgaben erschwerten oftmals den medizinischen Fortschritt. Im Jahr 2020 lag dieser Wert noch bei 60 Prozent. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) fordert, der Datenschutz solle weniger streng ausgelegt werden, um den Gesundheitsschutz zu verbessern – 22 Prozentpunkte mehr als 2020, als erst 32 Prozent diese Meinung vertraten. Drei Viertel der Befragten fordern eine verbesserte Erschließung versorgungsnaher Daten für mehr Evidenz und innovative Therapien. 71 Prozent sind generell der Ansicht, Gesundheitsdaten sollten stärker erschlossen und nutzbar gemacht werden – und 61 Prozent sehen darin sogar eine ethische Verpflichtung. 

Dieser Auffassung widersprach kürzlich auf einer Veranstaltung der Wochenzeitung „Die Zeit“ zum Thema KI in der Medizin Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationssicherheit (BfDI), Ulrich Kelber. Er sehe den Datenschutz im deutschen Gesundheitswesen insbesondere wegen des mangelnden technischen Entwicklungsniveaus gefährdet, sagte er in Berlin. Er wehre sich gegen wiederkehrende Vorwürfe, das rigide Datenschutzverständnis und die damit verbundene strikte Auslegung der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) seien der Hauptgrund für den Rückstand Deutschlands bei der Digitalisierung. Ganz im Gegenteil glaube er, bezogen auf KI, an fantastische Chancen, die die Anwendung dieser vor allem in der Diagnose und Arzneimittelentwicklung haben könne. 

Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, kommentierte das Ergebnis der gemeinsam durchgeführten Umfrage wie folgt: „Die positive Botschaft ist, dass über die Sektorengrenzen hinweg die überwiegende Zahl der Kolleginnen und Kollegen die Digitalisierung als Chance zur Verbesserung der Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten begreifen. Die Akzeptanz ist in den vergangenen zwei Jahren deutlich gestiegen.“ Reinhardt bemängelte fehlende Zielgenauigkeit – digitale Angebote müssten konsequenter am Nutzen beziehungsweise an den Interessen von Patienten und Ärzten ausgerichtet sein. 

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 21-2022. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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