Krankenhaustag: Viele Baustellen, wenig Zeit

23.11.2022, Sven C. Preusker
Veranstaltungen, Pflege, Politik & Wirtschaft, Versorgung

Das Fallpauschalensystem für die Finanzierung stationärer Krankenhausbehandlungen überwinden – das will Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) laut seiner Ankündigung auf dem 45. Deutschen Krankenhaustag, der vom 14. bis 17. November in Düsseldorf stattfand. Bei dessen Eröffnung kündigte Lauterbach an, dass innerhalb der nächsten zwei Wochen ein Papier der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung veröffentlicht würde, das nicht weniger als die „Überwindung der Fallpauschalen“ in die Wege leiten solle. Im Nachgang wurde terminlich etwas relativiert, nun soll das Papier im Dezember veröffentlicht werden.

Lauterbach sagte bei der Eröffnungsveranstaltung, mit der angekündigten Reform solle das aDRG-System als Vollansatz für die Vergütung der Krankenhäuser überwunden werden. „Die Krankenhäuser sollen aus dem Hamsterrad herausgeführt werden, die Medizin soll wieder eine stärkere Rolle spielen,“ definierte Lauterbach das vorrangige Ziel der Reform, die Ökonomie solle eine geringere Bedeutung haben. Damit einhergehen soll laut der Ankündigungen eine strukturelle Reform, die „die Zentralisierung der Versorgung und auch der Aufbau entsprechender Strukturen“ möglich mache. Lauterbach: „Wir wollen, dass die Patienten die optimale Versorgung bekommen und dass dafür die Krankenhäuser so strukturiert werden, dass sie auch mit der Versorgung, die aus der Patientensicht optimal ist, auskömmlich arbeiten können.“ Drittes Ziel der geplanten Reform seien „eine stärkere Ambulantisierung und eine stärkere Entbürokratisierung,“ sagte Lauterbach. 

Sektorengrenzen überwinden

Das Thema Krankenhausplanung und Versorgungssicherung beherrschte dann auch den dritten Tag der Veranstaltung. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat insbesondere für die Versorgung in strukturschwachen und dünn besiedelten Regionen das Modell der Gesundheitszentren und regionalen Netzwerke entworfen, in denen sektorenübergreifend Gesundheitsversorgung gesichert wird. „Wir sind überzeugt, dass wir die strikte Trennung der Sektoren überwinden müssen, um die Strukturen zu modernisieren“, erklärte der DKG-Präsident Ingo Morell in einer Diskussionsrunde mit der niedersächsischen Gesundheitsstaatssekretärin Dr. Christine Arbogast und Prof. Dr. Tom Bschor, dem Koordinator der Regierungskommission Krankenhausversorgung. „Ambulantisierung ja, aber nicht in Konkurrenz zu den niedergelassenen Ärzten. Anders können wir Versorgung, vor allem im ländlichen Bereich, gar nicht organisieren“, so Morell. Arbogast berichtete vom Aufbau regionaler Gesundheitszentren in Niedersachen: „Wir sind überzeugt, dass wir die strikte Trennung der Sektoren überwinden müssen, um die Strukturen zu modernisieren“, so die Staatssekretärin. 

„Ein Krankenhaus ist ein Haus für Kranke. Da steht nicht, dass man da unbedingt übernachten muss“, sagte Prof. Bschor zur Debatte um die Sektorengrenzen und deren Überwindung. „Das ist die Zukunft, ob man das regionale Gesundheitszentren nennt oder nicht. Ich würde das sogar weiterhin Krankenhaus nennen. Man neidet sich nicht mehr gegenseitig die Patienten. In vielen Regionen ist man froh, wenn überhaupt jemand die ärztliche Versorgung übernimmt“, so Bschor.

Pflege: Reformen bringen keine Entlastung

Auch die Pflege war eines der Hauptthemen des Krankenhaustags, dabei ging es sowohl um die Pflegepersonalbedarfsbemessung als auch um die vermeintliche Entlastung von Pflegefachpersonen durch tagesstationäre Behandlung, wie sie Bundesgesundheitsminister Lauterbach angekündigt hat. Insbesondere die geplante Umsetzung des Pflegepersonalbemessungsinstruments PPR 2.0, das Deutscher Pflegerat, Verdi und Deutsche Krankenhausgesellschaft gemeinsam entwickelt haben, stieß bei den Beteiligten auf Unverständnis, da der Gesetzesentwurf mit dem ursprünglichen Modell der drei Organisationen nicht mehr viel gemeinsam hat. „Auch wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gestern gesagt hat, dass das Vetorecht des Finanzministers nie zu einer Pflege nach Kassenlage führen könne, bleiben unser Unbehagen und Unverständnis. Wir brauchen bei der Umsetzung der Bedarfsplanung ein klares Zeichen an die Pflegenden, dass sich ihre Situation tatsächlich nachhaltig verbessern wird“, erklärt Dr. Sabine Berninger, Vertreterin der Arbeitsgemeinschaft christlicher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen in Deutschland (ADS) sowie des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) bei der Veranstaltung.

Auch der vermeintlich große Wurf durch tagesstationäre Behandlungen die Pflege zu entlasten, scheitert aus Sicht der Teilnehmer zumindest in diesem Punkt. Die Geschäftsführerin des Berufsverbandes für Pflegeberufe Dr. Bernadette Klapper erklärte, dass es nicht zu erwarten sei, dass Pflegekräfte durch weniger Übernachtungen im Krankenhaus entlastet würden. „Wer geht denn nach Hause, das sind nicht die Pflegebedürftigen, die tatsächlich Arbeit auf der Station machen. Es sind genau die Patienten, die ohne großen Pflegebedarf sind. So werden vielleicht weniger Betten belegt, die Arbeitslast reduziert sich aber höchstens unwesentlich. Zur Folge wird es aber haben, dass auf weniger Pflegekräfte eine extreme Arbeitsverdichtung zukommt. Wir laufen Gefahr, mit einer guten Idee, nämlich die ambulanten Potentiale der Krankenhäuser zu heben, für Pflegekräfte genau das Gegenteil zu erreichen – eine Verdichtung und Verschärfung der Arbeitssituation.“ 

Auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen war ein wichtiges Thema des Krankenhaustags. Die Debatte fand unter dem Eindruck der angekündigten Digitalisierungsstrategie aus dem Bundesgesundheitsministerium statt. Prof. Ferdinand Gerlach aus dem Sachverständigenrat Gesundheit mahnte in Deutschland als Land der „digital Spätgeborenen“ dringenden Reformbedarf und eine Beschleunigung der Prozesse an. „Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit. Wir stehen in Europa abgeschlagen, ganz weit unten, in den Rankings meistens Vorletzter. Bei der Patientenakte haben wir zum Beispiel 15 Jahre Abstand,“ so Gerlach. Digitalisierung allein werde nicht die Strukturen modernisieren, auch die Binnenorganisation der Krankenhäuser benötige Erneuerung. „Deutsche sind sehr arrogant. Wir führen erst ein, wenn wir hundertprozentig sicher sind, dass alles funktioniert.“ Im Ergebnis werde heute mit veralteter Technik gearbeitet. Das müsse sich unbedingt ändern. „Wir müssen von unseren Nachbarn lernen. Inzwischen kann man fast überall in Europa schauen, denn fast alle sind weiter als wir“, so Gerlach. Gerade in der Corona-Pandemie hätten sich Defizite in der Digitalisierung deutlich gezeigt, da fast alle Daten zur Einschätzung der Pandemie, Wirksamkeit der Impfstoffe usw. aus anderen Ländern mit digitalisierten Gesundheitssystemen kamen. 

Energiekrise und Inflation prägten die Veranstaltung

Der 45. Deutsche Krankenhaustag war angesichts der Energiekrise und der hohen Inflation insbesondere von den Erwartungen der Kliniken an die Politik geprägt. Die Krankenhäuser hatten im Vorfeld eine schnelle Unterstützung gefordert. In seiner Rede auf der Auftaktveranstaltung präzisierte der Bundesgesundheitsminister die bereits zuvor angekündigten Finanzhilfen für die Kliniken. Auf große Resonanz stieß ebenfalls die Informationsveranstaltung zur Finanzierung im Krankenhaus am Eröffnungstag. An den Folgetagen erörterten die Teilnehmer aus allen Bereichen des Gesundheitswesens unter dem Motto „Reformpolitik quo vadis – was wird aus dem Koalitionsvertrag?“ eine Vielzahl an Krankenhausthemen wie die Pflegeausbildung, die fortschreitende Digitalisierung, Patientenrechte, Qualitätssicherung, Krankenhausarchitektur oder auch Herausforderungen bei der Integration von im Ausland ausgebildeten Ärzten.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 22-2022. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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