Bublitz: Ideen sind noch nicht ausgereift

24.11.2022, Sven C. Preusker
Interviews & Kommentare

Thomas Bublitz ist seit 2004 Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken (BDPK). Im Interview mit Klinik Markt inside-Chefredakteur Sven Preusker spricht er unter anderem über die aktuelle Gesundheitspolitik und die Sorgen der Krankenhäuser angesichts der stark steigenden Preise.
 

medhochzwei: Herr Bublitz, jetzt kommt ja langsam Bewegung in die Gesundheitspolitik der Bundesregierung, Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach hat in den letzten Tagen und Wochen verschiedene Initiativen angekündigt und – Abhängig von der Ausgestaltung möglicherweise tiefgreifende – Änderungen wie der Ausbau der Tagesbehandlungen oder die Hybrid-DRGs sollen schon ab Januar 2023 wirksam werden. Wie bewerten Sie die vorgeschlagenen Änderungen, auch im Hinblick auf eine (angekündigte) „große Reform“, die möglicherweise eine zumindest teilweise Abkehr vom aDRG-System bedeuten könnte?

Thomas Bublitz: Das Vorhaben des Bundesgesundheitsministeriums, Krankenhäuser für ambulante Behandlungen zu öffnen, ist grundsätzlich der richtige Ansatz. Es ist zu hoffen, dass diese Richtung auch bei der angekündigten großen Reform beibehalten wird. Die Pläne für die ab 2023 vorgesehene Einführung von tagesklinischen Krankenhaus-Behandlungen und zur finanziellen Ausstattung von Pädiatrie und Geburtshilfe sind aus Sicht des BDPK allerdings noch nicht ausgereift. Bei der Umsetzung in gesetzliche Regelungen sind Nachbesserungen erforderlich, damit der gewünschte Erfolg tatsächlich erreicht wird. 

Bei den Tagesbehandlungen in Krankenhäusern darf es nicht allein um stationäre Krankenhausleistungen gehen, es müssen auch Leistungen, die in der ambulanten Versorgung erbracht werden, einbezogen werden. Dann würden vorhandene Versorgungsbruchstellen wirklich abgebaut und eine echte Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung erreicht. Zudem muss die vorgesehene Überprüfung der primären Fehlbelegung durch den Medizinischen Dienst gestrichen werden. Ansonsten käme es zu kleinteiligen und bürokratischen Streitigkeiten mit den Krankenkassen – mit der Folge, dass die Krankenhäuser von der optionalen Tagesbehandlung wohl keinen Gebrauch machen. Hinderlich ist zudem die untere Grenzverweildauer, die gestrichen werden sollte. Patientinnen und Patienten, die aus medizinischen Gründen nach Hause entlassen werden können, dürfen wegen Abrechnungsbestimmungen nicht unnötig im Krankenhaus bleiben. Ebenso problematisch ist die vorgesehene Regelung, wonach die Patientinnen und Patienten sechs Stunden im Krankenhaus sein und davon die überwiegende Zeit behandelt werden müssen, also genau drei Stunden und eine Minute. Diese kleinteilige Zeitvorgabe birgt großes Streitpotenzial mit den Krankenkassen und zieht ein hohes Maß an Dokumentationsbürokratie nach sich.

Ähnliches gilt auch bei den Vorschlägen zur Finanzierung von Pädiatrie und Geburtshilfe. Es ist gut, dass die Politik die hier bestehende Unterfinanzierung endlich angeht, aber es fehlen wichtige Details. Dazu gehört, dass die tatsächlich anfallenden Kosten in der Kalkulation nicht abgebildet werden sollen. Zweifel bestehen auch bei der komplizierten Orientierung am Erlösvolumen mit vorgesehen Abschlägen, weshalb die Kliniken schlussendlich doch wieder auf höhere Fallzahlen angewiesen sein werden. Ein Zuschlag pro Fall wäre die einfachere Lösung. Hinzu kommt, dass die für Pädiatrie und Geburtshilfe vorgesehenen Mittel den Krankenhäusern an anderer Stelle gestrichen wurden: Das BMG hatte im Rahmen der Ersatzvornahme des aDRG-Katalogs 2023 die DRG-Erlöse um 400 Millionen Euro gesenkt. Die Unterstützung für die Pädiatrie und Geburtshilfe finanzieren die Krankenhäuser deshalb im Prinzip aus der eigenen Tasche.

medhochzwei: Wie schätzen Sie die Arbeitsweise des Bundesgesundheitsministers und des BMG vor allem mit Blick auf die Einbindung der entscheidenden Akteure im Moment ein? 

Bublitz: Es ist in der Tat ein neuer Politikstil erkennbar. Aber letztlich geht es nicht um Stilfragen, sondern um Ergebnisse und Qualität. Die Empfehlungen, die die mit hochkarätigen wissenschaftlichen Expertinnen und Experten besetzte Reform-Kommission bisher vorgelegt hat, sind ja gute Ansätze. Es zeigt sich aber, dass bei der gesetzgeberischen Umsetzung die Einbeziehung der Praxis dringend erforderlich ist, denn den Vorschlägen fehlen einige entscheidende Details und Verknüpfungen, damit sie praxistauglich werden. Kritisch sehen wir auch, dass den anhörungsberechtigten Verbänden zwischen Vorlage entsprechender Änderungsanträge und der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages manchmal gerade 24 Stunden für die Abgabe der Bewertung und der Stellungnahme bleiben. Auffallend ist zudem das Vorgehen des Bundesgesundheitsministerium, sich für bedeutsame Änderungen die Ausgestaltungsmöglichkeiten per Rechtsverordnung zuzuweisen. Wie zum Beispiel die Einführung der sogenannten Hybrid-DRG oder eines Pflegebedarfsbemessungsinstrumentes. Wie die so wichtigen Details letztlich aussehen, entscheidet dann das BMG beziehungsweise der Minister allein. Der neue Stil mag funktionieren und zur schnellen Umsetzung von gesetzlichen Regelungen führen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass auf diese Weise wichtige Zusammenhänge übersehen und Wirkungen falsch eingeschätzt werden. Zudem ist die politische Verantwortung für Folgen der Entscheidungen dann eindeutig.

medhochzwei: Ganz wichtig für die Krankenhäuser sind ja auch die angekündigten Hilfsmaßnahmen, mit denen den steigenden Energiekosten und der hohen Inflation begegnet werden soll. Wird da genug getan und geht das schnell genug?

Bublitz: Die vorgesehenen Energie-Hilfen für Krankenhäuser und Reha-/Vorsorgeeinrichtungen sind absolut sinnvoll. Aber auch hier sind Details nicht passgenau oder unklar und wir sehen Nachbesserungsbedarf. So sollten die Mittel zum Ausgleich der mittelbaren Energiekostensteigerungen nicht nach der Bettenzahl auf die Kliniken verteilt werden, zielgenauer wäre eine Verteilung auf Basis des Volumens der Krankenhausabrechnungen. Zum Ausgleich der Kostensteigerungen, die mittelbar durch die gestiegenen Energiepreise verursacht werden, wie Textilwäsche und Lebensmittel, sind 1,5 Milliarden Euro vorgesehen, was deutlich zu niedrig ist. Prognosen des Statistischen Bundesamtes und führender Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen für die Jahre 2021 bis 2023 mit nicht refinanzierten Sachkosten von rund 9,55 Milliarden Euro. Zudem muss klargestellt sein, dass alle Krankenhäuser im Hilfsprogramm berücksichtigt werden, auch Psychiatrien, Einrichtungen der Psychosomatik sowie Privatkliniken nach § 30 GewO ohne Versorgungsvertrag. Eine Regelungslücke besteht zudem noch für gemischte Einrichtungen, die neben der akutstationären Versorgung auch rehabilitative Leistungen erbringen. Sowohl im Hilfsfonds für die Rehabilitation als auch in der vorliegenden Formulierungshilfe sind Reha-Leistungen bzw. Betten der Rehabilitation in gemischten Kliniken nicht von den Zuschüssen erfasst. Es ist dringend notwendig, diese Leistungen im Rahmen des Hilfsprogramms Krankenhäuser zu berücksichtigen. Speziell für die Reha sehen wir die Notwendigkeit, dass die Strom- und Sachkosten im Jahr 2022 ausgeglichen werden müssen. Zudem müsste es für 2023 für die Einrichtungen, deren Vergütungsverträge mit Krankenkassen längere Laufzeiten haben, ein Sonderkündigungsrecht oder einen Zuschlag für die Mehrkosten geben. Bei den vorgesehenen Regelungen zur Strom- und Gaspreisbremse dürfen Reha- und Vorsorgeeinrichtungen nicht generell als sogenannte SLP-Kunden eingestuft werden, sondern müssen wie Krankenhäuser je nach Verbrauch als SLP- oder RLM-Kunden behandelt werden.

medhochzwei: Noch mal zurück zur Reformpolitik: halten Sie eine große, strukturelle Reform der stationären Gesundheitsversorgung und ihrer Finanzierung in dieser Legislaturperiode für realistisch?

Bublitz: Ob das gelingt oder nicht ist reine Spekulation. Anfang Dezember sollen ja die Umrisse der Reform vorgestellt werden und dann kann man wahrscheinlich mehr dazu sagen. Es ist zu hoffen, dass Ankündigung und Umsetzung nicht zu weit auseinanderklaffen.

medhochzwei: Und wie müsste eine solche Reform aus Sicht der privaten Krankenhausträger grob skizziert aussehen?

Bublitz: Der BDPK hat dazu ein Eckpunktepapier veröffentlicht und an die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission adressiert. Wesentlicher Reformansatz sollte aus unserer Sicht die ambulante Öffnung von Krankenhäusern und die Umwandlung nicht mehr bedarfsnotwendiger Krankenhäuser in ambulante Versorgungszentren sein. So ließen sich notwendige Strukturbereinigungen anschieben und die Krankenhausplanung würde leistungsorientiert sowie nach Qualitätskriterien ausgerichtet. Nachrangige Aspekte wie Größe, Sektorenzugehörigkeit oder Trägerschaft würden dadurch richtigerweise in den Hintergrund treten.

Von grundlegender Bedeutung ist nach unserer Auffassung auch, dass bei der Festlegung der geplanten Versorgungsstufen die in Deutschland vorhandenen Spezialkliniken einbezogen werden. Ohne ihre Expertise würde sich die Versorgung der Patientinnen und Patienten deutlich verschlechtern. Deshalb wäre es nicht nachvollziehbar, wenn gerade die Kliniken, die sich der von Medizin, Gesundheitspolitik und Ökonomie immer wieder geforderten Spezialisierung gestellt haben, im zukünftigen Versorgungssystem nicht mehr berücksichtigt werden würden. Wenn die Kooperation unterschiedlicher Versorgungsstufen durch die telemedizinische Anbindung vor- und nachgelagerter Stufen gefördert wird, können sich Krankenhäuser unterschiedlicher Versorgungsstufen über Telekonsile zu patientenbezogenen, medizinischen Fragestellungen austauschen und externen Sachverstand einbinden. So würde die Expertise der Spezialkliniken, zum Beispiel in der Herzchirurgie, der Endoprothetik und der Neurologischen Früh-Reha auch in den vor- und nachgelagerten Stufen genutzt und die notwendige Verzahnung der ambulanten und stationären Versorgung würde verbessert.

Zur Vergütung empfehlen wir, dass gleiche Leistungen in gleicher Höhe honoriert werden sollten, unabhängig davon, in welcher Versorgungsstufe sie erbracht werden. Die bestehende Vergütungsform nach Fallpauschalen ist dafür ein gutes und bewährtes System, das zwar weiterentwickelt werden muss, aber nicht demontiert werden darf. Vorhaltefinanzierung sollte daher nicht nach dem Gießkannenprinzip erfolgen, sondern nur dem Zweck dienen, Leistungseinheiten von Krankenhäusern finanziell abzusichern, ohne dass sie gezwungen sind, zur Refinanzierung Patienten stationär aufnehmen zu müssen. Dazu sollte zunächst eine eng begrenzte Vorhaltefinanzierung ausprobiert werden, beispielsweise für die Geburtshilfe. Wenn hingegen ein Krankenhaus in Gänze bedarfsnotwendig ist, wie zum Beispiel „Inselkliniken“ oder Kliniken in ländlichen Regionen, sollte deren wirtschaftliche Absicherung nicht durch Vorhaltekosten, sondern durch umfassende Sicherstellungszuschläge nach bundeseinheitlichen Kriterien weiterentwickelt werden.

Sehr wichtig ist nach unserer Auffassung auch, dass beim Krankenhauspflegeentlastungsgesetz, das ja bis zum Jahresende 2022 verabschiedet werden soll, noch Korrekturen erfolgen. Für die mit dem Gesetz vorgesehene Einführung eines neuen Pflegepersonalbemessungsinstruments fordern wir, dass es keine parallel geltenden Dokumentations- und Sanktionsregelungen gibt.  darf. Ein Nebeneinander verschiedener, nicht aufeinander abgestimmter Vorschriften erhöht den bürokratischen Aufwand und verschlimmert den bestehenden Pflegekräftemangel. Zudem sollte den Kliniken ein praxistauglicher Qualifikationsmix ermöglicht werden. Das schafft attraktive Arbeitsbedingungen und entlastet die Pflegekräfte. Zudem fordern wir für das Personalbemessungsinstrument einen Ganzhausansatz, weil kleinteilige Nachweise der Personalstärke auf Stationsebene eine unnötige bürokratische Belastung sind und den Krankenhäusern die notwendige Flexibilität nehmen. Sehr kritisch und als praktisch nicht umsetzbar bewerten wir auch die vorgesehenen Regelungen, mit denen die schleppenden Pflegebudgetverhandlungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern beschleunigt werden sollen. Es bestehen sowohl bei den Krankenkassen als auch bei den Krankenhäusern eingeschränkte Kapazitäten, weshalb die Fristen für den Abschluss offener Verhandlungen nicht realistisch erscheinen. Zudem würde die neue Vorgabe zu einer vollständigen Überforderung der Schiedsstellen führen und infolge der Wartezeiten das Gegenteil eines beschleunigten Verfahrens bedeuten. Zu kritisieren ist auch, dass die vorgesehene Sanktionsregel sich nur auf die Krankenhäuser bezieht, die aber gar kein Interesse an einer Verzögerung von Budgetabschlüssen haben.

Ein wesentlicher Kritikpunkt des BDPK am Krankenhauspflegeentlastungsgesetz ist zudem die vorgesehene Streichung der Leistungsrückgänge im Landesbasisfallwert. Bislang ist gesetzlich geregelt, dass bei Rückgängen der Leistungszahlen der Landesbasisfallwert angehoben werden kann. Ausgerechnet in der jetzigen Situation soll das wegfallen. Wenn die Regelung so umgesetzt wird, käme dies faktisch einer Budgetkürzung gleich. Während Leistungssteigerungen in der Vergangenheit jahrelang faktisch einem doppelten Abschlag unterlagen (absenkender Effekt auf den Landesbasisfallwert bei gleichzeitigem Mehrleistungsabschlag auf Ortsebene), wird nun auch die bestehende Kompensationsmöglichkeit für die Refinanzierung der verbleibenden Fixkosten aus dem Gesetz gestrichen. Somit ist es in dem Finanzierungssystem zukünftig nicht mehr möglich, Leistungsrückgängen mit sachgerechten Korrekturen zu begegnen. 

Von elementarer Bedeutung ist auch, dass die seit Jahrzehnten beklagte, ungenügende Investitionsfinanzierung durch die Bundesländer endlich angepackt und geregelt wird. Würden die Länder ihren Investitionsverpflichtungen nachkommen, dann würde es viele Probleme, die den DRG angelastet werden, gar nicht geben.

medhochzwei: Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 22-2022. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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