Pflegestudium in Gefahr?

09.02.2023, medhochzwei
Pflege, Aus- & Weiterbildung, Veranstaltungen

Pflegestudierende und -lehrende der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB) und der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) haben sich Mitte Januar mit Berliner Abgeordneten über die Zukunft des Pflegestudiums in Berlin ausgetauscht. Unter dem Titel „Zukunft des Pflegestudiums in Berlin“ luden die Pflegestudiengänge von ASH Berlin und EH Berlin zu der Podiumsdiskussion ein. Als Gäste begrüßten die Pflegestudiengänge die Abgeordneten und wissenschaftspolitischen Sprecher Tobias Schulze (LINKE) und Stefan Förster (FDP), die beide im Ausschuss für Wissenschaft und Forschung des Berliner Abgeordnetenhauses sitzen, sowie Vertreterinnen und Vertreter von Pflegepraxiseinrichtungen. Die freie Journalistin Ulrike Baureithel moderierte das Gespräch. Themen waren unter anderem lange unbezahlte Pflichtpraktika, die fehlende Refinanzierung der Praxisanleitung, eine Schlechterstellung im Vergleich zur Ausbildung und damit geringe Bewerbungszahlen sowie hohe Abbruchquoten unter den Studierenden.

Ashley Großer und Johanna Schmidt berichteten zum Auftakt stellvertretend für alle Pflegestudierenden im Land Berlin eindringlich aus ihrem Alltag: Da das Vollzeitstudium keine Zeit für Nebenjobs lasse, könne es nur durch BAföG oder Wohnen bei den Eltern finanziert werden, so die Studentinnen. Viele brächen ab, weil es „finanziell oder körperlich einfach nicht tragbar ist.“ Eine Pflegestudentin äußerte: „Die Arbeit, die wir leisten, entlastet das System. Wir werden wie Vollzeitpflegekräfte eingesetzt, obwohl das absolut nicht passieren sollte, es passiert aber so.“ Eine andere Studentin fügte hinzu: „Ich saß vor ein paar Monaten bei Ihnen im Wissenschaftsausschuss und ich könnte die gleiche Rede genauso noch einmal halten, weil sich seitdem nichts geändert hat. Wir stehen jeden Tag da und versuchen uns selbst gegenseitig zu überreden, nicht aufzuhören und nicht abzubrechen. Es haben aber seitdem viele Menschen ihr Studium abgebrochen und das sind alles Pflegekräfte, die jetzt nicht mehr in diesem Beruf arbeiten.“

Nach inzwischen drei Jahren des neuen Pflegeberufegesetzes und des Aufbaus von Pflegestudiengängen befänden sich diesenoch immer in den Kinderschuhen, hieß es von den Hochschulen. Viele Menschen würden die Pflegestudiengänge und deren Vorteile gegenüber der Ausbildung noch nicht kennen. Prof. Dr. Annerose Bohrer, Leiterin des Studiengangs Bachelor of Nursing an der EH Berlin, wies daraufhin, dass seit den 1990er Jahren mit der Entstehung der Pflegestudiengänge sehr viel wichtiges, für die Berufspraxis nötiges pflegewissenschaftliches Wissen produziert worden sei, zum Beispiel was die Begleitung von Menschen mit Demenz oder von Kindern mit chronischen Erkrankungen betrifft.

Dass das Pflegestudium attraktiver werden muss, darin waren sich Abgeordnete und Hochschulvertreterinnen und -vertreter einig. Und Schulze forderte: „Die Akademisierung der Pflege darf nicht scheitern. Wir brauchen dafür finanziell jetzt schnelle Lösungen und grundsätzlich auch attraktive Berufspfade.“

Prof. Dr. Johannes Gräske, der den Bachelorstudiengang Pflege an der ASH Berlin leitet, berichtete, dass die Rahmenbedingungen des Studiums von Anfang an nicht gut gewesen seien. Im Pflegestudium gäbe es drei verschiedene Lernorte: den Hörsaal, die Praxisstätte und das SkillsLab. „Die Senatsverwaltung hat für die Arbeit im SkillsLab den Anrechnungsfaktor von 0,5 angesetzt. Das bedeutet, dass meine Kolleginnen und Kollegen, die im SkillsLab zu 100 Prozent arbeiten, nur 50 Prozent vergütet bekommen. Lehrende, die theoretisches Wissen in einer Vorlesung vermitteln, bekommen dagegen das Doppelte. Das ist mir völlig unverständlich!“ Den Anrechnungsfaktor von nur 0,5 habe kein anderes Bundesland.

Bei der Finanzierung der Praxisanleiterinnen und -anleiter, die die praktischen Einsätze der Studierenden begleiten, gebe es ebenfalls Schwierigkeiten. Sarah Kurze, Geschäftsführerin der Hauskrankenpflege Stolley, sagte: „Wir gehen auch in Vorleistung, unsere Praxisanleiter werden ja nicht refinanziert. Wir als Unternehmen stellen dieses Angebot zur Verfügung und wir machen das an sich auch gern. Aber für die Studierenden würde ich mir wünschen, dass sie ihren Fokus auf das Studium legen können und nicht den Druck haben ihr Leben finanziell bestreiten zu müssen.“ Gräske ergänzte aus Sicht der Hochschulen: „Die Praxiseinrichtungen fragen uns, warum sie uns die Praxisstellen geben sollen, wenn sie dafür keine Finanzierung erhalten. Vermitteln sie die Stellen dagegen an Auszubildende, bekommen sie Geld. Das macht es für uns als Hochschule sehr schwierig Praxiseinrichtungen zu gewinnen.“

Die Rektorin der ASH Berlin, Prof. Dr. Bettina Völter, sagte: „Eine fehlende kompetente Pflege lässt die Kosten für das Gesundheitssystem enorm wachsen, weil dadurch chronische Verläufe entstehen, und zwar bereits bei Kindern und Jugendlichen. Das muss schließlich auch in die Kosten-Nutzen-Rechnung einbezogen werden.“ Die Abgeordneten bekräftigten, dass all diese Fragen, einschließlich der Studienfinanzierung, in den nächsten Monaten auf der politischen Tagesordnung stünden und zeigten Einigkeit darin, dass man sich in der nächsten Zeit mehr auf die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften konzentrieren werde.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 03-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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