Experten: Akademische Pflegeausbildung bleibt hinter Möglichkeiten zurück

09.03.2023, medhochzwei
Pflege, Aus- & Weiterbildung, Politik & Wirtschaft

Die akademische Pflegeausbildung bleibt nach Einschätzung von Gesundheitsexperten weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Als Kernproblem wird die fehlende Finanzierung des Studiums angeführt, wie eine Anhörung des Gesundheitsausschusses Anfang Februar ergab. Grundlage dafür war ein Antrag der Unionsfraktion, in dem diese eine Stärkung der hochschulischen Pflegeausbildung fordert. Die Anforderungen an das Pflegefachpersonal seien bereits hoch und stiegen weiter. Das mache eine praxisorientierte hochschulische Ausbildung von Pflegefachkräften erforderlich.

Die Abgeordneten schlagen deshalb eine Ausbildungsvergütung analog zur beruflichen Pflegeausbildung vor, um die Attraktivität des Studiengangs zu steigern. Außerdem sollte die Übernahme der Refinanzierung der Praxisanleitung in den Einrichtungen analog zur berufsfachschulischen Ausbildung gesetzlich geregelt werden, um die praktische Ausbildung der Studenten abzusichern und die Bereitschaft der Einrichtungen zu steigern, akademische Pflegefachkräfte auszubilden.

Prof. Thomas Klie war einer der Einzelsachverständigen, die in der Bundestagsanhörung Wort kamen. Klie: „Nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrats sollten 10-20 Prozent der beruflich Pflegenden akademisch ausgebildete Pflegekräfte sein. Doch Deutschland hängt da hinterher.“ Studien zeigten, so Klie, dass der Einsatz akademisch qualifizierter Pflegekräfte einen deutlichen Beitrag zur Bewältigung der aktuellen und zukünftigen Aufgaben und zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege leiste.

Klie verwies in der öffentlichen Anhörung auf das Projekt 360° Pflege der Robert Bosch Stiftung. Es habe deutlich gemacht: Ob in Kliniken, in der Onkologie, beim Schmerzmanagement, ob bei der Diagnose von Delirs oder den pflegerischen Antworten auf Delir-Zustände, in der Langzeitpflege in hochkomplexen Versorgungssituationen etwa in der Gerontopsychiatrie oder Kurzzeitpflege: Überall zeige der Einsatz akademisch ausgebildeter Pflegekräfte ausgesprochen positive Wirkung – entgegen der in Deutschland verbreiteten Skepsis gegenüber der Notwendigkeit einer weiteren Professionalisierung der Pflege, zu der auch die Akademisierung gehöre.

Offen sei vor allem die Frage der Finanzierung, erklärte Klie. Er schlug eine Finanzierung vor, die sich an der neuen Hebammenausbildung auf Studierniveau orientiert. Auf die Frage von Kordula Schulz-Asche, pflegepolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, ob ein Ausbildungsgipfel für die Pflegeberufe der Akademisierung einen Schub geben könnte, antwortete Klie: „Derzeit schieben sich Bund und Länder die Verantwortung für den fehlenden Ausbau der akademischen Ausbildung zu. Seitdem die Konzertierte Aktion Pflege eingestellt wurde, könnte durchaus ein Gipfel helfen: Nur konzertiert wird man diesen notwendigen Schritt der Akademisierung der Pflege erfolgreich gehen können.“ Drei Bundesministerien – darunter das Bundesministerium für Gesundheit – hatten im Juli 2018 die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) ins Leben gerufen, um Arbeits- und Ausbildungsbedingungen für Pflegekräfte spürbar zu verbessern.

Die Pflege-Studiengänge, die derzeit von Hochschulen und Universitäten angeboten werden, beklagten sich über mangelnde Nachfrage, so Klie. Die Finanzierung sei nicht gesichert und das sei unverantwortlich. Klie betonte, wie auch sein Kollege Professor Johannes Gräske von der Alice Salomon Hochschule Berlin, dass nicht allein Bachelor- sondern auch Master-Studiengänge notwendig seien.

Der Einzelsachverständige Prof. Dr. Matthias Drossel fügte hinzu, es gehe nicht nur um Managementaufgaben, sondern um die konkrete Patientenversorgung im Alltag in besonders komplexen Situationen. Kritisiert wurde, dass Deutschland bei der Akademisierung der Pflege im internationalen Vergleich zurückliege und für hochschulisch gebildete Fachkräfte aus dem Ausland teils nicht attraktiv sei.

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) erklärte, die primärqualifizierende hochschulische Pflegeausbildung sei kein Selbstzweck, sondern unerlässlich, um die Versorgung zu sichern und Fallverantwortung zu übernehmen. Die fehlende Vergütung oder Aufwandsentschädigung für die zu leistenden 2.300 Praxisstunden stelle eine Benachteiligung der Studenten dar, die nicht nebenbei jobben könnten, weil sie im Schichtdienst eingesetzt werden. Würden die Studenten in die Finanzierungsverordnung zum Pflegeberufegesetz (PflBG) einbezogen, könnte das Problem entschärft werden.

Die fehlende Refinanzierung der Praxisanleitung in den Gesundheitseinrichtungen sei ein weiteres Problem, weil dadurch insbesondere kleinere Einrichtungen von einer Kooperation mit der hochschulischen Ausbildung faktisch ausgeschlossen seien.

Ähnlich argumentierte der Deutsche Pflegerat (DPR), der darauf hinwies, dass die Zahl der Pflegefachpersonen mit Hochschulabschluss in der direkten Patientenversorgung gering sei. Zwar bestehe seit 2020 mit dem PflBG die Möglichkeit der hochschulischen Ausbildung, jedoch bleibe die Akademisierungsquote mit einer Auslastung von derzeit rund 50 Prozent weiter hinter dem Bedarf zurück. Studenten würden gegenüber beruflich Auszubildenden in der Pflege durch die ausbleibende Vergütung in den umfangreichen Praxisphasen benachteiligt.

Der DPR sprach sich für die verbindliche Einführung und vollständige Refinanzierung einer Vergütung während des Studiums aus, um die Attraktivität des Studiengangs zu steigern. Ferner werde eine vollständige Refinanzierung der Kosten für die Praxisanleitung in den Pflegeeinrichtungen analog der beruflichen Ausbildung befürwortet.

Nach Ansicht der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sind verschiedene Qualifikationsstufen in der Pflege sinnvoll. Ein höherer Anteil hochschulischer Pflegeausbildung erscheine wünschenswert. Die Konzeption der akademischen Pflegeausbildung im PflBG müsse jedoch grundlegend korrigiert werden, weil sie derzeit weder für Studenten aufgrund der fehlenden Ausbildungsvergütung noch für Arbeitgeber aufgrund des unscharfen Profils attraktiv sei.

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lehnt die Finanzierung der Ausbildung ab. Mit dem PflBG sei die Entscheidung getroffen worden, dass die Finanzierung der hochschulischen Pflegeausbildung nicht in den Aufgabenbereich der Beitragszahler der Kranken- und Pflegeversicherung falle. Die Zuständigkeit liege bei den Ländern. Die Landesausbildungsfonds belasteten die GKV 2023 bereits mit rund 2,8 Milliarden Euro, die Soziale Pflegeversicherung (SPV) mit 0,5 Milliarden Euro. Die Finanzierung der Ausbildungsvergütung analog zur beruflichen Pflegeausbildung werde abgelehnt. Das gelte auch für die Refinanzierung der Praxisanleitung in den Pflegeeinrichtungen analog der berufsfachschulischen Ausbildung.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 05-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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