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In einem aktuellen Interview mit Dr. Albrecht Kloepfer äußert sich Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für integrierte Versorgung (DGIV), zu den aktuellen Entwicklungen im Gesundheitswesen.
Dr. Albert Kloepfer: Minister Lauterbach beschäftigt sich stark mit dem intermediären Bereich – also beispielsweise sektorenübergreifende Versorgung, Hybrid-DRGs und integrierte Notfallzentren. Wie bewertet die DGIV diese Entwicklung?
Prof. Dr. Eckhard Nagel: Die Herausforderungen im Gesundheitswesen, wie demografische Entwicklung, Fachkräftemangel und Veränderungen der sozialen Bindungen, erfordern ein gemeinsames Vorgehen in der Versorgung. Zwar sind Strukturveränderungen schon lange notwendig, doch die Reformen bleiben zurückhaltend. Sie gehen nach wie vor von getrennten Sektoren aus, die weitgehend ohne grundlegende Veränderung der gesetzliche Rahmenbedingungen kooperieren sollen. Hier hätten die Reformen viel grundlegender sein müssen, von der Finanzierung bis zur Organisation.
AK: Die DGIV will auf ihrem Kongress ein Gutachten vorstellen, bei dem eine Analyse vorgelegt wird, dass vor allem die Sozialgesetzbüchern selbst es sind, die die Sektoren voneinander trennen – und das gilt keineswegs nur das SGB V. Was verspricht sich die DGIV von diesem Ansatz?
EN: Die gesetzliche Trennung von Akutversorgung, Pflege und chronischen Erkrankungen sowie von ambulanter und stationärer Versorgung hat zu unüberwindbaren Barrieren geführt. Diese Sektoren wurden isoliert weiterentwickelt, was starre Strukturen schuf. Unser Gutachten soll verdeutlichen, in welche Sackgassen diese gesetzlich verankerten Trennungen führen. Diese Separierungen entsprechen längst nicht mehr unserem Versorgungsbedarf, und sie erschweren die tägliche medizinische und pflegerische Zusammenarbeit, statt sie zu vereinfachen. Wir wollen mit unserm Gutachten die vor allem politischen Hausarbeiten auf diesem Feld deutlich machen.
AK: Wie steht es um die regionale Autonomie in der Gesundheitsversorgung? Haben die Regionen ausreichend Freiheit zur Anpassung an spezifische Versorgungsbedarfe?
EN: Lange haben wir die Unterschiede zwischen Stadt und Land ignoriert. Zwar gibt es bei uns keine riesigen Flächen mit wenigen Menschen, wie beispielsweise in Australien, aber der Zugang zur Gesundheitsversorgung variiert erheblich. Menschen im ländlichen Raum haben oft schlechteren Zugang und leben kürzer – das widerspricht dem Anspruch auf gleiche Lebensverhältnisse. Regionale Unterschiede erfordern eine differenzierte Herangehensweise. So sind Maßnahmen, die in Städten gut funktionieren, nicht eins zu eins auf ländliche Regionen übertragbar. Insofern glaube ich, dass es gerade in diesem Transformationsprozess wesentlich ist, dass Antworten vor allem regional gefunden werden müssen – und dafür brauche die Regionen die entsprechenden Handlungsfreiheiten.
AK: Was erwarten Sie von der nächsten Legislaturperiode?
EN: Wir erleben derzeit eine beispiellose Unsicherheit. Kliniken kämpfen ums Überleben, der Bundeshaushalt ist unklar, und manche Bundesländer haben weder eine Regierung noch einen Haushalt, der die Gesundheitsstrukturen sichern könnte. Insofern empfinde ich die Lage im Moment als außergewöhnlich fragil und wäre vorsichtig, schon die nächsten Ziele zu formulieren. Die DGIV stellt jedoch klar: Wir brauchen zwingend die Möglichkeit, dass die Sektoren die Versorgung untereinander und miteinander in die Hand nehmen können, ohne die etablierten Grenzstrukturen. Wir brauchen an dieser Stelle eine Zeitenwende im Gesundheitssystem, sonst wird es nicht weitergehen. Dann können wir auch in der nächsten Legislaturperiode darüber diskutieren, wie man dies am besten ausgestaltet. Aber zunächst müssen wir zuerst die Kurve kriegen und die aktuelle Situation bewältigen. In unserem Kongress werden wir uns sowohl der aktuellen Situation als auch der perspektivischen Entwicklung zuwenden.
Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 18-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!