Zwischen Verzweiflung und Eigensicherung: Wie Notärzte mit psychiatrischen Notfällen klarkommen.

25.11.2024, Simon Kurzhals, Facharzt für Psychiatrie und Psachotherapie, Oberarzt Notfall- und Akutpsychiatrie, Essen
Interviews & Kommentare, Psychotherapie

Die oft unterschätzte Herausforderung: In psychischen Notfällen sicher und professionell zu handeln.

Psychiatrische Notfälle treten häufig auf und stellen anspruchsvolle und oft unberechenbare Situationen im Alltag von Notärzten und Rettungspersonal dar. Zwischen Verzweiflung, Eigensicherung und professionellem Anspruch stehen sie vor einer Herausforderung, die weit über das klassische medizinische Handeln hinausgeht. Im Gegensatz zu somatischen Notfällen sind bei psychischen Krisen die Ursachen und Risiken oft schwer greifbar.

Die besondere Herausforderung psychiatrischer Notfälle

Menschen in psychischen Krisen sind nicht nur emotional extrem belastet, sondern können auch unvorhersehbares Verhalten entwickeln, was das Risiko für Einsatzkräfte erhöht. Häufig spielen Aggression, Desorientierung oder auch suizidale Verhaltensweisen eine Rolle, was ein sowohl schnelles als auch empathisches Handeln erfordert. Während ein somatischer Notfall klare medizinische Vorgaben und Maßnahmen bietet, erfordert der Umgang mit psychiatrischen Krisen ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen und Kommunikation – Fähigkeiten, die in der klassischen Notarztausbildung oft nur am Rande behandelt werden.

Eigensicherung im Fokus

Ein zentraler Aspekt bei psychiatrischen Notfällen ist die Eigensicherung. Patienten in akuten psychischen Ausnahmesituationen können eine Gefahr für sich selbst, aber auch andere darstellen. Priorität haben daher Wachsamkeit und Eigensicherung. In einigen Fällen kann dies bedeuten, auf zusätzliche Unterstützung durch Polizei zurückgreifen müssen, bevor sie überhaupt tätig werden können. Diese Vorsichtsmaßnahmen stehen oft im Widerspruch zu ihrem Wunsch, schnell Hilfe zu leisten und den Patienten aus der Krise zu führen.

Zwischen Empathie und professioneller Distanz

Die Arbeit mit Menschen in einer psychischen Krise erfordert hohe emotionale Belastbarkeit und die Fähigkeit, professionelle Distanz zu wahren. Gerade bei verzweifelten Patienten ist es für Notärzte eine Gratwanderung, zwischen Empathie und Abstand zu balancieren. Das Verständnis für die Ursachen und Symptome psychischer Erkrankungen hilft zwar, den Zugang zum Patienten zu erleichtern – doch die emotionale Belastung kann enorm sein, besonders wenn die Patienten ablehnend oder unkooperativ sind.

Kommunikation als Schlüssel

Ein Kernstück im Umgang mit psychiatrischen Notfällen ist die Kommunikation. Deeskalierende und empathische Gesprächsführung kann entscheidend sein, um Situationen zu entspannen und Vertrauen aufzubauen. Dabei ist Geduld gefragt, da sich die Situation oft nicht sofort klärt. Der Druck, in kürzester Zeit Entscheidungen zu treffen, wird durch die Notwendigkeit, dem Patienten Raum zu geben und ihm zuzuhören, noch verstärkt.

Fehlende Vorbereitung und Schulung

Problematisch ist die oft mangelnde Vorbereitung auf derartige Situationen. Während Notärzte in der Ausbildung und im Alltag regelmäßig auf körperliche Notfälle trainiert werden, bleibt die Simulation psychiatrischer Notfälle eine Randerscheinung. Das Fehlen spezialisierter Schulungen führt dazu, dass viele Notärzte im Umgang mit psychischen Krisen improvisieren müssen, was Unsicherheit verstärkt und das Risiko für Fehler erhöht. Für mehr Sicherheit auf beiden Seiten ist daher eine stärkere Berücksichtigung psychischer Notfälle in der Ausbildung unabdingbar– sei es durch Rollenspiele, Schulungen zur Deeskalation oder durch den Einblick in psychiatrische Krankheitsbilder.

Durch einen Abbau von künstlichen Fachgrenzen, praxisnaher Schulungen und einer Ent-Stigmatisierung psychischer Erkrankungen kann es gelingen, dass Notärzte auch in diesem Bereich sicher und effektiv handeln.

Buch-Tipp: „Präklinische Notfallpsychiatrie“

Eine Unterstützung die auf den Umgang mit psychiatrischen Notfällen vorbereiten und Fähigkeiten in diesem Bereich erweitern möchte, bietet das Buch „Präklinische Notfallpsychiatrie“. Es thematisiert die im Einsatzalltag fortwährend auftretenden Aspekte, die von Relevanz sind und zielt auf die Entwicklung eines syndromalen Verständnisses, Gewinnung von Sicherheit in rechtlichen Rahmenbedingungen und Einblicken in Deeskalationsstrategien ab. Daneben liefert es praxisorientierte Handlungsempfehlungen für die präklinische notfallpsychiatrische Versorgung.

Das Buch findet ihr unter anderem hier.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem Welt der Gesundheitsversorgung Newsletter 06-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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