Beitragsreihe: „Innovating Healthcare“ – Teil 5: Cui bono? Wem nützt es?

12.12.2024, Dr. Florian Brandt & Dr. Elmar Waldschmitt
Innovating Healthcare

Wer mit einem innovativen Geschäftsmodell im Gesundheitsmarkt durchstarten will, kann starke Partner gut gebrauchen. Insbesondere sind Kooperationen mit Krankenkassen oft essentiell. Diese zehnteilige Beitragsreihe gibt nützliche Hinweise rund um die Entwicklung kooperationstauglicher Geschäftsmodelle in der GKV – zielführend, praxisorientiert und aus erster Hand.

An der Einführung innovativer Versorgungslösungen sind in aller Regel mehrere Akteure mit unterschiedlichen Interessen beteiligt. Beispielsweise stellt ein Technologieanbieter ein neuartiges Medizinprodukt zur Verfügung, das von Ärzten angewandt respektive von Patienten in Anspruch genommen wird und dessen Nutzung Krankenkassen bezahlen. Basiert die Market Access-Strategie auf Direktkooperationen mit Krankenkassen per Selektivvertrag, wird die Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Interessen zum zentralen Erfolgskriterium. Schließlich ist die Beteiligung an einer selektivvertraglichen Versorgung für alle Parteien – Patienten, Behandler & Krankenkassen – freiwillig. Würde hierdurch kein wahrnehmbarer Mehrwert im Vergleich zur regulären Versorgung für alle Parteien geschaffen, würden die Zielgruppen des Selektivvertrags schlichtweg nicht mitmachen. Daher gehen wir in dieser Ausgabe auf eine Frage ein, die bis zum berühmten römischen Redner Cicero zurückreicht: Cui bono? Wem nützt es? Diese Frage beziehen wir auf den Gesundheitsmarkt. Wir erörtern, wie sich der sogenannte „Versorgungsnutzen“ aus unterschiedlichen Perspektiven darstellt und alle Beteiligten durch Erzeugung einer Win-Win-Situation zum Mitmachen bewegt werden können.

Win-Win-Situationen für alle Beteiligten schaffen

Der Versorgungsnutzen stellt regelmäßig das zentrale Prüfkriterium dar, wenn sich Krankenkassen auf die Suche nach geeigneten Versorgungsinnovationen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung begeben. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, inwieweit durch Einführung der Versorgunginnovation eine medizinische, ökonomische oder prozessuale Verbesserung gegenüber der Regelversorgung erreicht werden kann. Vereinfacht gesagt wird untersucht, inwieweit die Innovation zu besseren Behandlungsergebnissen führt, gleichzeitig die Kosten der Gesundheitsversorgung reduziert und zu einer Entlastung im oft stressigen Versorgungsalltag beiträgt. Dies lässt sich gut an einem der Gewinnerkonzepte des fünften Healthy Hub-Wettbewerbs illustrieren: die KI-unterstützte Lungenkrebsdiagnostik des österreichischen Technologieanbieters contextflow.

Voraussetzung für eine gute Versorgung von Lungenkrebspatienten ist die frühzeitige Diagnosestellung. Wie bei anderen Krebsarten auch, ist das Erkrankungsstadium zu Therapiebeginn ein wesentlicher Bestimmungsfaktor des Therapieerfolgs. Wird die Erkrankung erst in fortgeschrittenen Stadien erkannt, sind die Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt und die Prognose verschlechtert sich erheblich. Umgekehrt kann es zu Beginn des Diagnoseprozesses zu Verdachtsfällen kommen, die sich später als falsch erweisen. In der Zwischenzeit durchlaufen Betroffene einen eventuell vermeidbaren Diagnose-Marathon und sind einer massiven mentalen Belastung ausgesetzt. Der Einsatz von KI-Systemen kann hier Abhilfe schaffen, da sie prädestiniert für die Erkennung von Mustern beziehungsweise auffälligen Strukturen in den unterschiedlichsten Datenquellen sind – beispielsweise in diagnostischen Bilddaten, wie sie im Rahmen der Lungenkrebsdiagnostik erhoben werden. Zu den ersten Schritten der Lungenkrebsdiagnostik gehört die bildgebende Untersuchung des Brustraums mittels Thorax-CT. Tumore erscheinen in der CT-Aufnahme als Schatten. Jedoch können andere Erkrankungen ähnliche Befunde verursachen.

In Deutschland werden jährlich rund 1,4 Millionen Thorax-CTs aufgenommen. Die daraus entstehenden rund 500 Millionen Bilder werden von Radiologen analysiert und ausgewertet. Während die Bilddatenmenge exponentiell ansteigt, gibt es unter den Radiologen kaum Zuwächse, was zu einer immens steigenden Arbeitslast führt. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Arbeitslast der Radiologen wird die schnelle und gleichzeitig genaue Befundung der Bilddaten zu einer immer größeren Herausforderung – mit potentiell negativen Konsequenzen für Betroffene und das Gesundheitssystem. Die KI-gestützte contextflow-Software unterstützt Radiologen bei der Analyse relevanter Bildmuster und ermöglicht so eine schnellere und genauere Auswertung. Konkret ermöglicht die contextflow-Technologie eine explorative Untersuchung auf eine Vielzahl möglicher Indikationen, eine automatisierte Vermessung von Lungenherden, eine standardisierte Erfassung zusätzlicher Biomarker, eine teilautomatisierte leitlinienbasierte Befundung, ein Monitoring potenzieller Veränderungen im Zeitverlauf sowie ein Malignitäts-Scoring zur Risikoquantifizierung verdächtiger Lungenherde. Die Software ist nahtlos in die gängige radiologische Softwareumgebung integrierbar. Die Resultate stehen wenige Minuten nach der Erstellung einer Thorax-CT zur Verfügung. Wirtschaftlichkeitspotenziale können in diesem Zusammenhang insbesondere durch eine Reduktion falsch-positiver und falsch-negativer Diagnosen realisiert werden. Weniger falsch-positive Diagnosen bedeuten weniger unnötige kostenintensive Folgeprozeduren, weniger falsch-negative Diagnosen bedeuten bessere Therapieerfolgsaussichten. Eine möglichst schnelle und genaue CT-Diagnostik ist damit auch ein Hebel zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung.

Im Ergebnis profitieren Patienten von einer schnelleren und präziseren Diagnostik, Radiologen werden in ihrem Arbeitsalltag entlastet und Krankenkassen bringen ihr gleichzeitiges Streben nach mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut – so zumindest das erklärte Ziel dieser in Kürze startenden besonderen Versorgung. Wenn es gelingt, dieses Ziel zu erreichen, resultiert hieraus eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

 

Ausblick

Wer überzeugend darlegen kann, wie die angebotene Versorgungsinnovation Mehrwerte für alle Beteiligten schafft respektive einen Versorgungsnutzen aus den unterschiedlichen Perspektiven stiftet, hat gute Chancen beim Market Access voranzukommen. In der kommenden Neujahrsausgabe gehen wir darauf ein, welche Rollen, Aufgaben und Funktionen die verschiedenen Akteure bei der Einführung und Umsetzung innovativer Versorgungskonzepte übernehmen. Bis dahin wünschen wir eine frohe Weihnachtszeit, hoffen, dass Euch die Dezemberausgabe unseres Newsletters gefallen hat und freuen uns über Feedback.

 

Dr. Florian Brandt (links) und Dr. Elmar Waldschmitt (rechts)

Autoren des Buches „Innovating Healthcare – Wie Start-ups gemeinsam mit Krankenkassen im Gesundheitsmarkt durchstarten“ und Mitinitiatoren des Healthy Hub.

 

Weitere Informationen zum Werk "Innovating Healthcare – Wie Start-ups gemeinsam mit Krankenkassen im Gesundheitsmarkt durchstarten" finden Sie hier.

  

 

Dies ist Beitrag 5 der Beitragsreihe "Innovating Healthcare". Der nächste Beitrag erscheint im medhochzwei Newsletter 20-2024 am 11.12.2024. Jetzt abonieren und keinen Beitrag verpassen! Alle bereits veröffentlichten Beiträge der Reihe finden Sie hier.

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