Logiken der Gewalt | 4. Berliner Care-Salon am 5. Dezember 2024

12.12.2024, Prof. Dr. Thomas Klie
Pflege, Interviews & Kommentare

 

Nun ist es schon eine kleine Tradition mit den Berliner Care-Salons, veranstaltet vom Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung (zze) und AGP Sozialforschung in der SOCLES gGmbH. Der Care-Salon bietet für die vielfältigen Care-Themen unserer Zeit und die, die in den Forschungsinstituten der Veranstalter bearbeitet werden, einen inzwischen sehr geschätzten Diskursraum. Um das Thema Gewalt ging es diesmal. Mit Fragen der Gewalt befasst sich AGP Sozialforschung insbesondere wenn es um Gewalt gegen auf Pflege angewiesene Menschen geht. Breite Resonanz fand das Konzept "Pflege in Bayern - gesund und gewaltfrei", ein Gewaltpräventionsprojekt für die stationäre Pflege, finanziert von Kranken- und Pflegekassen. Es wird nun in Bayern verstetigt und in Baden-Württemberg aufgegriffen. Das Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung setzt sich mit Fragen der Gefährdung der Demokratie auseinander, die zunehmend bedroht ist - mit einer Gefährdung des Gewaltmonopols des Staates. In SOCLES geht man Fragen der sexualisierten Gewalt, der Gewalt in Partnerschaften aber auch der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in Kirche und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe nach.


Prof. Dr. Gesa Lindemann


 
 

Inputgeberin für den 4. Berliner Care-Salon war Prof. Dr. Gesa Lindemann, die sich in den letzten Jahren intensiv unter soziologischer Perspektive mit Gewaltphänomenen auseinandergesetzt hat. Sie wurde mit dem Fugger-Preis für Ihren Essay "Wieviel Gewalt benötigt die Demokratie, wieviel Gewalt verträgt sie?" ausgezeichnet. In ZEIT ONLINE hat sie mit "10 nach 8" eine Reihe von Beiträgen zur Gewaltthematik beigesteuert, die große Resonanz fanden, so auch der titelgebende Beitrag "Logiken der Gewalt", der sich mit den nicht endenden Gewaltspiralen in Nahost befasst. Auf Basis dieses Essays wurden Thesen für den Care-Salon als Diskussionsgrundlage formuliert. Das Vertrauen in die Gewaltfreiheit der Gesellschaft setzt das Gewaltmonopol des Staates voraus: Dieses Paradoxon begleitet die Demokratie. Der Staat ist aufgefordert, das Gewaltmonopol durchzusetzen und das nicht nur dort, wo es um körperliche Gewalt geht, sondern auch dort, wo der Staat zum Einschreiten veranlasst ist, um etwa Aspekte der ökologischen Gewalt oder der Folgen ungerechter und in der Wirkung gewalttätiger ungleicher Einkommensverteilung zu beantworten. Von Refeudalisierung, das heißt neuen Abhängigkeiten der Bürgerinnen und Bürgern von kapitalstarken Minderheiten mit ihren gewaltförmigen Auswirkungen, war auf dem Care-Salon genauso die Rede wie von der Refatalisierung, die eng verbunden ist mit dem Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen in der ganzen Welt, auch in Deutschland und Europa. Die Erfahrung nicht wirklich etwas in der Demokratie bewegen zu können, ist eine der Grundlagen des so beschriebenen Phänomens.

 

Gewalt ist ein politischer Begriff. Maßgeblich ist, was als Gewalt gilt und was in der Gesellschaft unter Gewalt verstanden wird. Dies unterliegt einem ständigen Wandel, wie etwa beim Thema Vergewaltigung in der Ehe und „MeToo“ nachvollzogen werden kann. Am Beispiel der staatlichen Reaktionen auf die Klimagegner einerseits und die Bauernblockaden andererseits verwies Gesa Lindemann auf die politische Dimension der medialen und staatlichen Reaktion auf Gewaltphänomene. Breiten Raum nahm die Diskussion über Gewaltphänomene in häuslichen und privaten Situationen ein. Dabei wurde die wichtige Thematisierungsarbeit der Frauenbewegung zum Thema Gewalt gegen Frauen angesprochen. Ohne sie wäre wirksamer staatlicher Schutz gegenüber Gewalt gegen Frauen nicht gesetzlich geregelt worden. Auch Gewalt gegenüber vulnerablen Bevölkerungsgruppen, wie die staatliche Verpflichtung zu ihrem Schutz einzutreten, wurde diskutiert. Hier betonte Prof. Dr. Thomas Klie die wichtige Rolle von angewandter Forschung, die Aufmerksamkeit für häufig verborgene Gewaltphänomene zu schaffen.

Dr. Christine Bergmann, ehemalige Bundesfamilienministerin, war ebenso auf dem Care-Salon vertreten wie andere prominente Gäste, die sich um die Thematisierung von Gewaltphänomenen bemühen und ihre Aufarbeitung. Dazu gehört auch Prof. Dr. Barbara Kavemann, ohne die die Thematisierung von Gewalt gegen Frauen in Deutschland nicht die politische Bedeutung gewonnen hätte, die sie inzwischen erlangt hat. 

Prof. Dr. Heinz Kindler vom Deutschen Jugendinstitut brachte eine psychologische Perspektive in die Gewaltdebatte ein und machte sich stark für eine konsequente Betrachtung der Opferperspektive von Gewalt Betroffener. Was sie als Gewalt erleben, sei maßgeblich.

Es war eine intensive, eine lebendige Diskussion und ein luzider Impuls, der aufräumte mit der Vorstellung, es gebe eine gewaltfreie Gesellschaft. Sie gab es nie. Sie gibt es nicht und sie verlangt auch die Wehrhaftigkeit der Demokratie als moderne Verfahrensordnung der Gewalt. Gerade sie ist bedroht.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 20-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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