Umfrage: Ärzte sind offen gegenüber Digitalisierung, KI-Verbreitung wächst

12.06.2025, Sven C. preusker
Digital Health, Politik & Wirtschaft


 

Insgesamt gibt es eine große Offenheit in der deutschen Ärzteschaft gegenüber digitalen Lösungen in Gesundheitswesen und Medizin. So befürwortet die Mehrheit die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA), es brauche aber mehr Unterstützung beim Praxiseinsatz. 68 Prozent der Mediziner zeigen sich aufgeschlossen für die ePA, wobei jeweils 34 Prozent „sehr aufgeschlossen“ und „eher aufgeschlossen“ sind. Gleichzeitig fühlen sich jedoch drei Viertel (77 Prozent) nicht ausreichend auf ihren Einsatz vorbereitet – 45 Prozent antworten auf diese Frage klar mit „Nein“ und 32 Prozent mit „Eher nein“. Das geht einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom gemeinsam mit dem Hartmannbund, Verband der Ärztinnen und Ärzte Deutschlands, unter mehr als 600 Medizinern in Deutschland hervor, deren Ergebnisse anlässlich des Bundesärztetages veröffentlicht wurden.

Als Vorteile der ePA werden etwa die Vermeidung von Doppeluntersuchungen (73 Prozent), die Möglichkeit zur schnelleren Diagnose durch Einblick in die Krankengeschichte (60 Prozent), die Vermeidung von Wechselwirkungen bei der Medikation (59 Prozent) und mehr Transparenz für Ärzte insgesamt (58 Prozent) gesehen. 43 Prozent betonen, mit der ePA werde die Digitalisierung des Gesundheitssystems insgesamt vorangetrieben und 34 Prozent erwarten ein Mehr an Transparenz auch für die Patienten. 26 Prozent heben die Möglichkeit der Nutzung der Daten für Forschungszwecke hervor. Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst sagte, der bisherige, teils holprige Anlauf der ePA für alle zeige, dass es jetzt Vertrauen aller Beteiligten brauche. Die ePA müsse für Ärzte leicht zu bedienen, barrierefrei und mit allen Systemen kompatibel sein. Im Praxisalltag dürfe sie nicht zur Belastung werden, sondern müsse die Arbeit erleichtern. Der Bundesvorsitzende des Hartmannbundes, Dr. med. Klaus Reinhardt, sagte: „Die elektronische Patientenakte kann ein Meilenstein für eine moderne, vernetzte Versorgung sein – das sehen auch 68 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte so. Doch 77 Prozent fühlen sich auf ihren Einsatz nicht ausreichend vorbereitet. Dieses Missverhältnis offenbart: Technik allein reicht nicht. Nur wenn wir die ePA alltagstauglich, kompatibel und leicht bedienbar gestalten und das medizinische Personal konsequent mitnehmen, wird sie im Praxisbetrieb wirklich zum Fortschritt.“

Seit Ende April 2025 läuft nun der bundesweite Rollout der „ePA für alle“. Mit Blick auf die Technik sind viele Ärzte aktuell aber noch immer unsicher: 86 Prozent glauben nicht, dass die Arbeit mit der ePA technisch reibungslos funktioniert. 66 Prozent fürchten Datenmissbrauch und 62 Prozent einen hohen technischen Aufwand. 61 Prozent fürchten eine Überforderung der Ärzteschaft und des Praxispersonals. 41 Prozent gaben aber auch an, sich auf die Arbeit mit der ePA zu freuen – und mehr als die Hälfte (54 Prozent) hätte eine frühere Einführung begrüßt.

Ein weiteres großes Thema stellt der Einsatz Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen dar. Unter den Ärzten in Praxen oder medizinischen Versorgungszentren gaben bei der Umfrage zwölf Prozent an, dass bei ihnen KI zur Unterstützung der Diagnosestellung eingesetzt wird. Bei acht Prozent wird KI in der Praxisverwaltung etwa zur Vereinfachung von Abläufen eingesetzt. Insgesamt geben 15 Prozent an, dass KI in mindestens einem dieser Fälle genutzt wird – das entspricht fast jeder siebten Praxis. In Krankenhäusern hat sich der KI-Einsatz seit 2022 sogar verdoppelt. Bei 18 Prozent der Ärzte in Kliniken ist KI im Einsatz, beispielsweise zur Auswertung bildgebender Verfahren. Vor drei Jahren waren es noch neun Prozent „KI kann die medizinische Versorgung individueller und effizienter gestalten – insbesondere in der Prävention, aber auch in der Therapie. Und sie kann Arztpraxen und Kliniken spürbar entlasten – durch präzisere Diagnosen, automatisierte Dokumentation und intelligente Terminsteuerung. So bleibt mehr Zeit für das Wesentliche: die Versorgung der Patientinnen und Patienten“, so Wintergerst. Auch für den Hartmannbund-Vorsitzenden Reinhardt bietet KI enorme Chancen, die Versorgungsqualität zu verbessern und den Arbeitsalltag in Praxis und Klinik zu entlasten. „Wenn 78 Prozent der Kolleginnen und Kollegen KI als große Chance für die Medizin sehen und sie bereits in jeder siebten Praxis sowie bei fast jedem fünften Klinikteam zum Einsatz kommt, dann zeigt das: Die Ärzteschaft ist bereit für diese Transformation – sofern sie ethisch reflektiert, ärztlich verantwortet und technisch zuverlässig gestaltet ist.“

Insgesamt wird KI von der Ärzteschaft mit großem Interesse, aber auch mit hohen Erwartungen begleitet: die besagten 78 Prozent aller Ärzte bewerten KI als riesige Chance für die Medizin. Zwei Drittel (67 Prozent) fordern, der KI-Einsatz in der Medizin sollte in Deutschland besonders gefördert werden – und 60 Prozent meinen, eine KI werde in bestimmten Fällen bessere Diagnosen stellen als ein Mensch. Gleichzeitig fordern 76 Prozent eine strenge Regulierung von KI für die Medizin. Wintergerst: „Der AI Act der EU setzt wichtige Leitplanken für den verantwortungsvollen Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Entscheidend wird sein, dass seine Umsetzung praxisnah erfolgt – nur so kann der Nutzen von KI in der Medizin auch tatsächlich die Ärztinnen, Ärzte, Patientinnen und Patienten erreichen.“  
 

Telemedizin, Robotik und Virtual Reality 

Welche digitalen Technologien und Lösungen werden in Krankenhäusern und Kliniken bereits eingesetzt? In Kliniken ist v.a. die Robotik bereits weit verbreitet. In 26 Prozent der befragten Häuser unterstützen Roboter bei OPs und Eingriffen, bei einem Zehntel ist Virtual Reality (VR) etwa für Trainingszwecke oder OPs im Einsatz (elf Prozent). Mehr als die Hälfte der Krankenhausärzte nutzt noch keine VR, würde dies in ihrer Klinik aber für sinnvoll halten (54 Prozent). Telemedizin wird in den Kliniken ebenfalls genutzt, wenn auch nicht in der Breite. Bei 28 Prozent werden andere Ärzte via Telemedizin zu Fällen in einer Beratungsfunktion konsultiert, bei drei Prozent werden Fachleute per Video zu Untersuchungen oder OPs dazugeschaltet. Auch für Patienten gibt es in Kliniken telemedizinische Angebote, etwa eine Überwachung des Gesundheitszustandes via Remote-Monitoring (zehn Prozent), durch Video-Sprechstunden (acht Prozent) oder die Analyse von Vitaldaten aus Gesundheits-Apps oder Fitness-Trackern (vier Prozent).

In der Verwaltung werden digitale Technologien bei einem Fünftel der Klinikärzte eingesetzt: Dazu zählen eine Tablet-gestützte Patientenaufnahme (21 Prozent), eine Online-Plattform zum Patientenmanagement (21 Prozent) und digitale Aufklärungsbögen (20 Prozent).

In Praxen verbreiten sich digitale Lösungen ebenfalls. Video-Sprechstunden werden bei 25 Prozent der niedergelassenen und angestellten Ärzte in einer Praxis oder einem MVZ angeboten, bei 21 Prozent werden Fitness-Tracker und -Apps ausgewertet. Mehr als jede dritte Praxis (37 Prozent) bietet eine Online-Terminvereinbarung an, bei 17 Prozent der Praxis-Ärzte sind digitale Aufklärungsbögen und bei 13 Prozent eine Tablet-gestützte Patientenaufnahme im Einsatz.

Dass die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen nicht noch weiter fortgeschritten ist, hat laut der Ergebnisse strukturelle und technische Gründe. Hauptgrund ist nach Ansicht der weit überwiegenden Mehrheit aller befragten Ärzte die Komplexität des Gesundheitssystems (81 Prozent). 57 Prozent machen oftmals langfristige Zertifizierungs- und Genehmigungsverfahren als Hindernis aus und 47 Prozent eine insgesamt zu starke Regulierung des Gesundheitssektors. 65 Prozent kritisieren eine mangelnde Marktreife der vorhandenen digitalen Anwendungen. Die Digitalkompetenz der Patienten sowie der Ärzteschaft wird von jeweils 42 Prozent als bremsend wahrgenommen. 19 Prozent vermuten zudem eine mangelnde Offenheit von Patienten gegenüber digitalen Lösungen in diesem Kontext.  

Ein weiteres großes Hindernis für die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens ist aus Sicht der Mediziner auch eine zu strenge Auslegung des Datenschutzes (59 Prozent). Viele Ärzte sehen in ihm sogar ein zentrales Hemmnis für medizinischen Fortschritt: 72 Prozent sind der Meinung, dass strenge Datenschutzvorgaben häufig Innovationen behindern – ein deutlicher Anstieg gegenüber 2020, als dieser Wert noch bei 60 Prozent lag. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) fordert mittlerweile eine weniger strenge Auslegung der Vorschriften, um die medizinische Versorgung zu verbessern – ebenfalls ein deutlicher Zuwachs im Vergleich zu 2020 (32 Prozent). Umgekehrt halten aber auch 22 Prozent den Datenschutz im Gesundheitswesen für zu lasch. Wintergerst: „Gesundheitsdaten retten Leben – wenn wir sie verantwortungsvoll nutzen.“ Es gehe nicht darum, Datenschutz abzuschaffen, sondern ihn so weiterzuentwickeln, dass er den Menschen dient. Nötig seien Regeln, die sowohl Vertrauen schaffen als auch Raum für moderne Medizin lassen würden.
 

Hohe Erwartungen an Digitalisierung

Insgesamt zeigen sich Deutschlands Ärzte sehr aufgeschlossen gegenüber der Digitalisierung des Gesundheitssystems. 81 Prozent sehen sie als Chance – 2022 waren es 76 Prozent und 2020 erst 67 Prozent. Nur noch 16 Prozent sehen in der Digitalisierung ein Risiko für das Gesundheitswesen. Außerdem gehen 81 Prozent der Befragten davon aus, dass digitale Technologien das medizinische Personal künftig noch stärker unterstützen werden, 72 Prozent erwarten eine grundsätzliche Verbesserung der medizinischen Versorgung. Die Zukunftserwartung ist demnach zwar positiv – doch sie steht im Kontrast zur aktuellen Lage. Denn 83 Prozent der Ärzteschaft sehen Deutschland im internationalen Vergleich deutlich im Rückstand und 76 Prozent halten die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens für zu langsam. Allerdings gibt es auch eine spürbare persönliche Belastung: Fast ein Drittel der Befragten (29 Prozent) fühlt sich selbst von der Digitalisierung überfordert, ein Fünftel (22 Prozent) gibt sogar an, Angst vor diesen Entwicklungen zu haben. „Die Digitalisierung kann und wird unser Gesundheitssystem grundlegend verbessern“, so Bitkom-Präsident Wintergerst. „Sie ist der Schlüssel zu einer zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung – sie ermöglicht schnellere Diagnosen, individuellere Therapien und kann das medizinische Personal entlasten.“ Reinhardt: „Der Wille zur Digitalisierung ist da – doch die strukturellen Hürden bleiben hoch. 81 Prozent der Kolleginnen und Kollegen empfinden die Komplexität des Systems als zentrales Hindernis, 72 Prozent sehen im Datenschutz sogar eine Innovationsbremse. Es braucht jetzt klare politische Entscheidungen: für transparente Verfahren, tragfähige Infrastrukturen und einen konsequenten – zum Wohl der Patientinnen und Patienten.“

Mit Blick auf die neue Bundesregierung fordern 62 Prozent der Ärzte, die neue Gesundheitsministerin solle sich noch stärker für die Digitalisierung einsetzen als die bisherigen Amtsinhaber. 24 Prozent hoffen dagegen, dass die große Koalition die Digitalisierung des Gesundheitswesens wieder verlangsamt. Aus Bitkom-Sicht müssten insbesondere der Roll-out der elektronischen Patientenakte sowie ihre Weiterentwicklung beschleunigt und die Nutzung von Gesundheitsdaten insgesamt verbessert werden. Wintergerst: „Die neue Bundesregierung muss die Entwicklungen weiter vorantreiben. Digitale Technologien sind der wohl stärkste Hebel, um dem demografischen Wandel und dem zunehmenden Fachkräftemangel im Gesundheitswesen wirksam zu begegnen. Gleichzeitig ermöglicht insbesondere KI eine gezieltere und frühzeitigere Prävention – etwa durch die intelligente Auswertung von Gesundheitsdaten und personalisierte Vorsorgeangebote. Digitalisierung kann helfen, Krankheiten zu vermeiden, bevor sie entstehen – und das Gesundheitssystem nachhaltig entlasten.“

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 10/2025. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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