Was ist Real Life Longevity, Prof. Michalsen?

12.06.2025, Gesundheitsstadt Berlin
Interviews & Kommentare, Prävention

Longevity ist zu einem Buzzword geworden. Allerdings ist es bislang nicht gelungen, die gesunde Lebensspanne zu verlängern, stellt Univ.-Prof. Dr. Andreas Michalsen (Chefarzt Charité – Universitätsmedizin Berlin und Immanuel Krankenhaus Berlin) im Vorfeld des Ersten Kongresses für Prävention und Langlebigkeit am 10. Juli 2025 in Berlin fest.

 

   

Univ.-Prof. Dr. Andreas Michalsen

Chefarzt Innere Medizin - Naturheilkunde, Immanuel Krankenhaus Berlin | Inhaber der Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité-Universitätsmedizin Berlin

 

Der Begriff „Longevity“ ist in den vergangenen Jahren zu einem regelrechten Buzzword geworden. Ist Longevity ein kurzfristiger Hype oder ein nachhaltiger Gesundheitstrend?

Univ.-Prof. Dr. Andreas Michalsen: Dass Longevity ein solch starker Trend mit erheblicher Medienaufmerksamkeit geworden ist, hängt mit der demographischen Entwicklung der Bevölkerung zusammen. Durch verbesserte Hygiene, Wohlstand und medizinische Versorgung erreichen immer mehr Menschen ein höheres Lebensalter. Allerdings ist es bisher nicht gelungen, den Beginn chronischer altersabhängiger Erkrankungen entsprechend in ein höheres Alter zu verschieben. Das heißt: Während die Lebensspanne länger geworden ist, ist die Gesundheitsspanne unverändert. Damit steigen die zeitliche Krankheitsbelastung für die Menschen und die Kosten für die medizinische Versorgung. Die intensive weitere Beschäftigung mit gesunder Langlebigkeit ist daher medizinisch wie gesundheitsökonomisch von enormer Bedeutung. Auf der anderen Seite sind durch den Hype um Longevity viele Übertreibungen entstanden. Medial wird das Thema inzwischen von Influencern und selbsternannten Experten beherrscht, die oft fernab von Evidenz ihre Empfehlungen geben und mit Produktverkauf verbinden, insbesondere für Nahrungsergänzungen. Es wird die dringende Aufgabe der Zukunft sein, wissenschaftsbasiert nachhaltige Empfehlungen zu verbreiten und in die gesicherten Erkenntnisse der Longevity-Forschung in die medizinische Versorgung zu integrieren.

 

In Ihrem Ansatz der „Real Life Longevity“ betonen Sie die Bedeutung alltagsnaher, lebensstilzentrierter Prävention. Welche konkreten Maßnahmen halten Sie für besonders wirksam – und wo sehen Sie in unserer heutigen Lebenswelt die größten Hebel, um Gesundheit über die gesamte Lebensspanne hinweg zu fördern?

Maßgeblich sind:

1.     Die Ernährung, zum Beispiel in Form von natürlichen, vollwertigen und divers pflanzenbetonten Ernährungsformen wie beispielsweise der mediterranen Kost. Umsichtige und personalisierte Nahrungsergänzung (z. B. Vit B12, Vit D, Omega-3)

2.     Die Integrierung von kalorischen Restriktionen, zum Beispiel in Form von Scheinfasten, Intervallfasten oder periodischem Fasten

3.     Bewegungstherapie mit den Schwerpunkten aerobes Training, Koordination und Muskeltraining

4.     Schlafhygiene

5.     Vermeidung von Distress beziehungsweise die Implementierung von Verfahren der Stressreduktion und „Relaxation response“ aus der Mind-Body-Medizin

6.     Weitere Verfahren der Hormesis wie Kälte /Wärmetherapien (unter anderem Sauna, Kältekammer)

7.     Schließlich kommen Umgebungs- beziehungsweise Kontextfaktoren ins Spiel: Luftqualität, Naturexposition, Lärmbelästigung

8.     Integratives Risikofaktormanagement, zum Beispiel Cholesterinsenkung, GLP-1 Agonisten.

 

Realistische Prävention heißt oft: kleine Schritte im Alltag. Was müsste sich gesellschaftlich ändern, damit ein gesunder Lebensstil nicht zur individuellen Daueraufgabe wird, sondern zur kollektiven Selbstverständlichkeit?

Damit ein möglichst gesunder Lebensstil zur Selbstverständlichkeit wird, müssen sich Gesundheitswesen und Honorierungssystem innerhalb der Medizin erheblich ändern. Derzeit fließt der überwiegende Anteil an finanziellen Ressourcen und Zeit in die „Reparaturmedizin“, während Prävention und gesunder Lebensstil – trotz aller gegenteiliger Beteuerungen – nur ein Randphänomen sind. Die ärztliche Versorgung muss erkennbar und zugänglich die Maßnahmen der Prävention und eines gesunden Lebensstils mehr priorisieren. Derzeit erleben Patientinnen und Patienten, dass vor allem interventionelle, medikamentöse und teure Maßnahmen für Mediziner von Bedeutung sind.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem ProAlter Newsletter 02-2025. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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