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Dass pflegebedürftige Menschen zu den besonders gefährdeten Gruppen gehören und bei einer Infektion eher am Virus sterben können, war von Anfang an klar, aber wie groß die Gefahr durch Corona tatsächlich ist, zeigt nun eine Studie der Universität Bremen. Demnach ist die Mortalität infolge einer Infektion mit SARS-CoV-2 bei Pflegebedürftigen mehr als fünfzigmal so hoch wie im Rest der Bevölkerung. Die Wissenschaftler haben 824 Pflegeheime, 701 Pflegedienste und 96 teilstationäre Einrichtungen online befragt.
„Werden die Befragungsergebnisse auf die Bundesrepublik hochgerechnet, zeigt sich, dass rund 60 Prozent aller Verstorbenen von Pflegeheimen oder Pflegediensten betreute Pflegebedürftige sind, wobei deren Anteil an allen infizierten Personen nur insgesamt 8,5 Prozent beträgt“, berichtete Heinz Rothgang, einer der Studienautoren vom SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik. „Pflegeheime sind damit der wichtigste Ort in Bezug auf mit COVID-19 Verstorbenen. Hier treten die Hälfte aller Todesfälle auf, obwohl nur knapp ein Prozent der Bevölkerung in dieser Wohnform lebt.“
Daneben seien auch die Pflegekräfte gefährdet, ergänzte die Leiterin der Studie, Karin Wolf-Ostermann vom Institut für Public Health und Pflegeforschung. So liege der Anteil infizierter Mitarbeiter in ambulanten Pflegediensten doppelt so hoch wie in der Normalbevölkerung – und in stationären Einrichtungen sogar sechsmal so hoch. Dennoch hätten drei Fünftel der Pflegedienste und drei Viertel der Pflegeheime noch keinen COVID-19-Fall zu verzeichnen. Dies zeige, dass Schutzmaßnahmen erfolgreich seien. Wo eine Infektion auftrete, seien die Folgen aber schnell gravierend.
Mehr als die Hälfte der Einrichtungen mit infizierten Mitarbeitern hätte keine infizierten Klienten oder Bewohner. Schlüssel seien Schutzmaterialien zur Vorbeugung der Übertragung und schnelle Testergebnisse zur Identifikation von potenziellen Infektionsherden. Tests seien jedoch teilweise schwer zugänglich. „Die Übermittlung der Ergebnisse erfolgt erst nach drei bis vier Tagen – zu spät, um ihr Potenzial als Teil eines wirkungsvollen Schutzkonzepts voll zu entfalten“, fügte Wolf-Ostermann hinzu. Erforderlich seien Reihentests, deren Resultate schneller zur Verfügung stehen.
Knapp die Hälfte der Pflegedienste sprach von deutlichen Veränderungen, weil Leistungen von den Pflegebedürftigen nicht mehr in Anspruch genommen würden und teilstationäre Angebote oder Betreuungskräfte in den Haushalten nicht mehr zur Verfügung stünden. Dadurch hätten vier von zehn Pflegediensten unter wirtschaftlichen Folgen zu leiden, die Versorgung sei gefährdet, instabil oder nicht sichergestellt. Wolf-Ostermann und Rothgang forderten bundesweite und praktikable Handlungsempfehlungen, eine dauerhafte ausreichende Bereitstellung von Schutz- und Desinfektionsmitteln, eine bessere Vergütung der Pflegekräfte und eine bessere Personalausstattung.
Der Langzeitpflege durch ambulante Pflegedienste und stationäre Einrichtungen müsse - auch mit Blick auf eine mögliche zweite Welle der Pandemie - eine höhere Aufmerksamkeit zukommen, so die Wissenschaftler. Während sich der Blick von Politik und Öffentlichkeit lange vornehmlich auf Kapazitäten einer intensivmedizinischen Versorgung von akut Infizierten gerichtet habe, sei die dauerhafte Versorgung der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppe zunehmend prekärer geworden.