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Uns allen blüht der Tod ...

Liebe Leserinnen und Leser,

die so genannte Reform der Sterbehilfe in Deutschland, mit welcher sich die Abgeordneten des Bundestags zu befassen haben, führt nicht nur zu intensiven gesellschaftlichen Diskussionen und Diskursen, sondern bewegt auch jeden Menschen direkt, unmittelbar und individuell. Denn „uns allen blüht der Tod!“, wie es uns ein sehr eindrückliches geistliches Singspiel von Peter Janssens, Friedrich Karl Barth und Peter Horst mahnt.

Am 24. Juni 2022 fand die erste Lesung im Gesetzgebungsverfahren zur besagten Reform statt, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das erst 2015 beschlossene und im Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs geregelte „Verbot der geschäftsmäßen Förderung der Selbsttötung“ für nichtig erklärt hatte und ein „Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben“ – für den einen oder anderen vielleicht überraschend – in aller Deutlichkeit festgestellt hatte.
Nun sind die Parlamentarier erneut aufgefordert, das Thema Sterbehilfe zu regeln. Und sie tun sich – dem Thema geschuldet – sehr schwer damit. Das spürt man schon mit Blick auf die Terminologie und der sprachlichen Gestaltung der Gesetzesvorlagen, die dem Bundestag zur Bearbeitung und Beschlussfassung vorliegen. Da ist die Rede von „Selbsttötung“, von „Suizidhilfe“ oder vom „assistierten Suizid“. Es ist und bleibt ein kompliziertes Ringen, für das postulierte „selbstbestimmte Sterben“ gesetzliche Regeln aufzustellen, die neben den vielen rechtlichen Gesichtspunkten auch historische, kulturelle, ethische und religiöse Aspekte berücksichtigen und angemessen würdigen. Und selbstredend müssen auch die Fragen beantwortet werden, wer auf welche Weise die Sterbewilligen beraten soll? Wie man einen Sterbewunsch „valide“ feststellen kann? Und wie das Betäubungsmittelgesetz gestaltet werden muss, um Betäubungsmittel zur Lebensbeendung einzusetzen? Denn über eines herrscht im Bundestag (weitestgehend) Einigkeit: Ein assistierter Suizid – um eine der vorgeschlagenen Bezeichnungen hier zu verwenden – darf keine „normale, x-beliebige Dienstleistung“ sein.

Bei dieser herausfordernden Aufgabe brauchen die Parlamentarier vielfache Hilfe und Unterstützung: Der Theologie-Professor Reiner Anselm von der Ludwig-Maximilians-Universität in München gehört zum Kreis der Wissenschaftler, die mit ihrer Expertise die Abgeordneten beraten und sie bei ihrer schwierigen Entscheidung, die wohl bis zum Spätherbst getroffen werden soll, begleiten. Mit ihm durfte ich das Interview „3 Fragen an ...“ führen, um die sich derzeit widerstreitenden Positionen im Bundestag besser zu verstehen und einen Ausblick auf das Ende des parlamentarischen Verfahrens zu wagen.

Welche Bedeutung das Thema selbstbestimmtes Sterben für die Altenhilfe und die Langzeitpflege hat, wurde jüngst durch den neuen „Pflegereport 2022“ des Wissenschaftlichen Dienstes der AOK (WidO) deutlich. Schließlich lebte jeder dritte innerhalb eines Jahres verstorbene AOK-Versicherte in einem Pflegeheim. Die Herausgeber des Reports, Adelheid Kuhlmey und Stefan Greß kommen daher zu dem Schluss, dass insbesondere mit Blick auf die Situation in den Pflegeheimen „eine breite fachliche Diskussion über die Versorgung am Lebensende – auch mit Blick auf das Austarieren von kurativen sowie symptomlindernden, psychosozialen und das Umfeld einbeziehenden Ansätzen – dringend geboten [scheint].“ Die Autoren verweisen dabei vor allem auch auf eine sehr hohe Zahl von offensichtlich völlig unnötigen Krankenhauseinweisungen, vielen unangemessenen Behandlungen in der finalen Lebensphase und eine Nichtbeachtung von Patientenverfügungen. Befunde, die betroffen machen.

So warnt Helmut Kneppe, Vorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA), anlässlich der Vorstellung des Pflege-Reports eindringlich vor einer Institutionalisierung der Sterbebegleitung und verbindet dies mit der Forderung, dass unsere Gesellschaft auch dem Lebensende Würde zu geben hat. Seine vollständige Stellungnahme findet sich in diesem Newsletter.

Pflegeheime sind eben auch Orte des Sterbens, aber die bisherigen gesetzlichen und leistungsrechtlichen Initiativen, die Pflegeheime und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, die Bewohnerinnen und Bewohner auch fachlich und ethisch angemessen im Sterbeprozess zu begleiten, reichen bei weitem nicht aus. Die Option für Heime nach dem Hospiz- und Palliativgesetz – § 132g SGB V – den Bewohnern Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase anzubieten, konnte aufgrund des damit notwendigen, sehr komplizierten Verfahrens (z. B. ACP – Advance Care Planning) und des geradezu lächerlichen Stellenzuschnitts von einer Fachkraft auf rechnerisch 400 Bewohner keine Wirkung entfalten. Sterben in Heim – das ist von daher für viele Menschen, vor allem für die ohne Angehörige oder enge Vertrauenspersonen, keine tröstliche Vorstellung, trotz des beeindruckenden Engagements einzelner Einrichtungen und deren Mitarbeitenden.

Besser als Konstantin Wecker in seinem Lied „Es geht zu Ende“ kann man dieses furchtbare Dilemma nicht auf den Punkt bringen:

So oft er auf die Tür starrt, sie bewegt sich.
Ausschließlich dienstlich, keine Freunde, nie.
Ist denn ein jeder Abgesang so glanzlos?
Er stirbt das erste Mal, er weiß nicht wie.


Herzliche Grüße
Dr. Stefan Arend

 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 

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Romano Guardini  (1885 – 1968)

 
 
 

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... den Professor für Systematische Theologie und Ethik: Prof. Dr. Reiner Anselm.
 

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, das den Paragrafen 217 Strafgesetzbuch, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellte, für nichtig erklärte, haben drei Abgeordnete bzw. Gruppen von Abgeordneten dem Bundestag Gesetzesentwürfe für eine „gesetzliche Regulierung der Suizidbeihilfe“ vorgelegt, die nun um Zustimmung und Mehrheiten im Parlament buhlen.
Können Sie uns in prägnanter Form die Positionen und Haltungen beschreiben, die die Gesetzesentwürfe kennzeichnen?

Jede gesetzliche Regelung muss den Ausgleich zwischen dem Schutz des Lebens und dem Schutz der Selbstbestimmung suchen. Die drei Vorschläge setzen hier unterschiedliche Akzente. Der Entwurf der Gruppe um Lars Castellucci stellt den Lebensschutz in den Vordergrund und möchte deswegen eine Regelung im Strafgesetzbuch. Durch einen revidierten § 217 wird die Suizidhilfe grundsätzlich unter Strafe gestellt. Dies soll, ebenso wie ein Werbeverbot in einem § 217a ganz deutlich machen, dass Suizidbeihilfe nicht zur gesellschaftlichen Normalität werden soll. Wenn allerdings eine bestimmte Prozedur der Beratung eingehalten wird, bleibt Suizidhilfe straffrei. Dagegen stellt der Entwurf von Katrin Helling-Plahr den Schutz der Selbstbestimmung ins Zentrum und legt das Augenmerk vor allem darauf, eine psychische Erkrankung als Grund für den Suizidwunsch auszuschließen. Im Mittelpunkt steht der Schutz der Selbstbestimmung durch ein fachärztliches Gutachten. Renate Künast wiederum ist vor allem daran interessiert, Menschen mit einer zum Tode führenden Krankheit ein aufwendiges Verfahren zu ersparen. Für den Fall eines Wunsches nach Suizidhilfe bei nicht zum Tod führenden Krankheiten ist auch hier ein Beratungsverfahren vorgesehen, allerdings ohne Beteiligung von Ärztinnen bzw. Ärzten.

Heribert Prantl hat seinen vielbeachteten Kommentar in der Süddeutschen Zeitung zu den aktuellen politischen Positionen sehr pointiert mit „Sterbeprüfung“ überschrieben. Er kritisiert in seinem Text die Entwicklung zu immer mehr Beratungszwang und einer strengen Prozessorientierung. Verstehen Sie seine Sorge und seine Bedenken?
Ja, ich finde seine Bedenken sehr berechtigt. Denn je stärker der Gesetzgeber versucht, den Weg zum assistierten Suizid über ein genau festgelegtes Verfahren zu regulieren, umso größer ist die Gefahr, dass diese Verfahren eine Eigendynamik entwickeln und die Sterbewilligen nurmehr einen Schritt nach dem anderen gewissermaßen abarbeiten. Dann folgt Eins aufs Andere und es tritt genau die Normalisierung ein, die man vermeiden will. Sterben wird so zum Abarbeiten einer Checkliste, für die man, wenn sie zu kompliziert wird, eben die Hilfe entsprechender Vereine in Anspruch nimmt. So fördert eine solche Regulierung gerade die organisierte Suizidbeihilfe, was man doch eigentlich vermeiden wollte.


Die erste Lesung im Bundestag hat Ende Juni stattgefunden, man hört, dass das parlamentarische Verfahren bis zum Spätherbst 2023 abgeschlossen werden soll. Blicken wir zusammen in die Glaskugel: Was wird wohl am Ende des Prozesses stehen? Ein belastbares, zukunftsfähiges und allseits akzeptiertes neues Gesetz oder der Beginn weiterer gesellschaftlicher mehr oder minder heftiger Auseinandersetzungen?
Mein Eindruck ist, dass eine Regelung, die nur wenige Vorgaben macht, die primär auf Suizidprävention und ein flächendeckendes, leicht zugängliches Angebot von Beratungsstellen setzt, einen allgemein akzeptierten Weg darstellen könnte. Wenn es darüber hinaus gelingt, auch die Ärztinnen und Ärzte, die den Patientinnen und Patienten nahestehen, für eine solche Beratung zu gewinnen, wäre viel erreicht. Zu detaillierte Vorschriften werden aber nach meiner Einschätzung erneut Unsicherheiten und neue gerichtliche Auseinandersetzungen zur Folge haben. Um das zu erreichen, müssten alle drei vorliegenden Entwürfe sich aufeinander zu bewegen. Und das Wichtigste ist: Wir müssen dazu kommen, dass Menschen über ihre Bedürfnisse und Wünsche am Ende des Lebens sprechen. Tabus und Stigmatisierungen helfen – und schützen – niemanden.

Prof. Dr. Reiner Anselm (*1965) ist Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Zusammen mit Prof. Dr. Isolde Karle und Ulrich Lilie hat der am 11. Januar 2021 in einem beeindruckenden und vielzitierten Essay in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für einen „assistierten professionellen Suizid“ geworben. Er ist auch im aktuellen Gesetzgebungsverfahren wichtiger Berater in den Anhörungen und politischen Diskussionen.

 
 
 
 
 
 



Helmut Kneppe zum AOK-Pflege-Report 2022: Wünsche Sterbender respektieren
 

Helmut Kneppe, Vorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA), warnt anlässlich der Vorstellung des AOK-Pflege-Reports 2022 vor einer Institutionalisierung der Sterbebegleitung. „Zu einem selbstbestimmten Leben und Alter gehört auch ein würdevolles Sterben. Wir blenden Alter und Tod gerne aus, verschieben es in Institutionen nach dem Motto:

Da kümmern sich doch Einrichtungen drum. Alter und Sterben sind jedoch so vielfältig wie die Menschen und gehören mitten ins Leben, mitten in die Überlegungen, wie wir als Gesamtgesellschaft unser Zusammenleben gestalten wollen“, sagte Helmut Kneppe.

Der Vorsitzende des KDA forderte: „Wir sollten den Mut haben, Sterbebegleitung der Individualität und Vielfältigkeit der Menschen mehr anzupassen und nicht nur eine Diskussion darum führen, wie wir das Lebensende am besten in versorgungsrechtliche oder betriebliche Abläufe integrieren”, mahnte Kneppe. Wer ein selbstbestimmtes Leben geführt habe, werde auch am Ende seines Lebens Wünsche und Vorstellungen haben. “Diese sollten wir respektieren können – auch personell”, sagte Helmut Kneppe. “Mancher möchte vielleicht noch Gespräche mit Angehörigen, Freunden, Bekannten führen oder im Wald ins frische Grün schauen und dabei über Kopfhörer ein Konzert hören.” Wenn Verwandte, Pflegende und Ehrenamtliche auf solche Wünsche eingehen wollten, so solle dies ermöglicht werden, so Kneppe. Die Gesellschaft insgesamt sei gefordert, die Voraussetzungen zu schaffen – und so auch dem Lebensende Würde zu geben. “Da erwarte ich auch von Institutionen etwas mehr Respekt vor den Wünschen und dem Willen Sterbender – auch was etwa ungewünschte Krankenhauseinweisungen angeht“, sagte Helmut Kneppe.

 
 
 

 

Folge 41:
Jugendliche und Demenz



In dieser Sendung sprechen wir mit drei Jugendlichen, die mit Demenz in der eigenen Familie konfrontiert sind und stellen einige Projekte vor, die das Thema Demenz kind- und jugendgerecht aufbereiten.
 

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