Schwerverletzte: KI in der Notaufnahme kann Behandlung unterstützen

24.04.2024, Sven C. Preusker
Digital Health, Wissenschaft & Forschung, KI & Technik

Ein aktuelles Whitepaper des Fraunhofer-Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) untersucht, welche Möglichkeiten sich durch zwei neue KI-Prototypen für den medizinischen Bereich ergeben. Das Papier mit dem Titel „Künstliche Intelligenz im Schockraum: Wie Agenten und Foundation-Modelle bei der Versorgung Schwerverletzter helfen“ geht auf die im Projekt „TraumAInterfaces“ entwickelten KI-Prototypen „TraumAgent“ und „FormAssistant“ ein, die auf Foundation-Modellen und Large-Language-Modellen (LLM) basieren.

Hochkomplexe Prozesse durchführen, zeitkritische Fälle behandeln und gleichzeitig umfangreiche Informationsmengen verwalten, um Menschen in Notfallsituationen bestmöglich zu versorgen –für das Krankenhauspersonal ist das eine erhebliche Belastung. Künstliche Intelligenz (KI) kann hier möglicherweise für Entlastung sorgen. Im Projekt „TraumAInterfaces“ entwickelten Sven Giesselbach, Teamleiter Natural Language Understanding am Fraunhofer IAIS und sein Team gemeinsam mit mehreren Partnern den „TraumAgent“ und den „FormAssistant“. Dahinter stecken komplexe mathematische Funktionen, die auf großen Datenmengen trainiert wurden. Ihre Aufgabe: Sie sollen die Informationserfassung und -dokumentation im klinischen Kontext erleichtern. Das tun sie beispielsweise, indem die KI relevante Informationen der Gespräche in der Notaufnahme über Mikrofone automatisch erfasst, auswertet und datenschutzkonform weiterverarbeitet.

Vor allem in der Notaufnahme steht das medizinische Personal vor zahlreichen Herausforderungen. Die zeitkritische Versorgung der Schwerverletzten im Schockraum, in dem die Erstversorgung schwerverletzter Patientinnen und Patienten stattfindet, ist ein komplexer Prozess. Viele relevante Informationen werden dabei in kurzer Zeit über gesprochene Sprache kommuniziert. Hier setzt der „TraumAgent“ an: „Er bietet eine wesentliche Unterstützung während der Schockraumbehandlung, da er relevante Informationen, Phasen und Leitlinien übersichtlich darstellen kann“, so Giesselbach. Vereinfacht gesagt ist der KI-Agent eine Live-Anzeige im Schockraum, die Informationen dokumentiert. Auf einem Bildschirm werden aktuelle Prozessschritte angezeigt und durchgeführte Maßnahmen erkannt.

Statt nur auf Handlungen zu reagieren, kann der Agent selbstständig relevante Informationen suchen und für das Behandlungsteam aufbereiten. Auf diese Weise werden die Ärztinnen und Ärzte, die in Sekundenschnelle Entscheidungen treffen müssen, entlastet. Die KI biete ihnen Entscheidungshilfen und sammel zugleich automatisch wichtige Informationen, die dadurch nicht verloren gehen, heißt es vom Fraunhofer IAIS.

Der „FormAssistant“ hilft beim automatischen Ausfüllen des sogenannten TraumaRegister-Bogens der Patientinnen und Patienten. Dieser Meldebogen wird für das Register benötigt, um die wichtigsten Informationen über eine Schockraumbehandlung zusammenzufassen und eine vergleichende Qualitätsanalyse über einzelne Krankenhäuser hinweg zu ermöglichen. Mit Hilfe eines LLM-Agenten unterstützt der Formularassistent das medizinische Personal bei Verwaltungsaufgaben, die normalerweise viel Zeit in Anspruch nehmen. „Durch den Einsatz von KI in der Notaufnahme entstehen viele Vorteile. Ressourcen können etwa besser genutzt werden, weil die Arbeitsabläufe effizienter werden. Auf diese Weise werden Zeit und Kosten eingespart und die Versorgungsqualität verbessert sich“, so Giesselbach.

Durch Foundation-Modelle entstehe ein großes Potenzial, Prozesse zu unterstützen und zum Teil zu automatisieren, selbst in kritischen Bereichen wie der Notversorgung, betonte Giesselbach. So habe sich gezeigt, dass der „TraumAgent“ gegenüber bisherigen Verfahren wesentlich bessere Ergebnisse liefere. Der Prototyp dokumentiert beispielsweise nicht nur Informationen, sondern kann auch Fehlinformationen korrigieren, indem er auf Quelldaten und Referenzen verweist. Das verhindere beispielsweise sogenannte Halluzinationen, wie sie für manche KI-Modelle typisch seien, heißt es von dem Institut. Gemeint sind damit überzeugend klingende Inhalte, die inhaltlich jedoch von der KI erfunden wurden und somit höchstwahrscheinlich falsch sind.

Auch mit Hintergrundgeräuschen im Schockraum sowie Dialekten, Akzenten und Versprechern des Krankenhauspersonals kann das Spracherkennungssystem sehr gut umgehen. Ebenso können Sprachmodelle Fehler in der Spracherkennung korrigieren. Die Umsetzung der KI-Anwendungen soll zukünftig mit Hilfe einer datenschutzkonformen Integration auf Cloud-Plattformen möglich werden. Alternativ könnten Aufnahmen direkt auf Endgeräten oder auf dem Krankenhausserver verarbeitet werden, was den hohen Datenschutzansprüchen im deutschen Gesundheitswesen gerecht werde, hieß es. Zu diesem Zweck sollen lokal lauffähige Sprachmodelle eingesetzt werden, um die Unabhängigkeit von Cloud-Providern sicherzustellen. Hierzu werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die großen KI-Sprachmodelle aus dem Projekt OpenGPT-X zugreifen, einer europäischen Lösung für Unternehmen und Institutionen, die aktuell in einem von Fraunhofer geleiteten Konsortium entwickelt und erprobt wird.

Foundation-Modelle und LLM seien vielversprechende Technologien, die zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten eröffnen könnten, hieß es vom Institut. Beispielsweise könnten aus dem Projekt gewonnene Daten als Grundlage für weitergehende KI-Anwendungen genutzt oder eine Schnittstelle zur elektronischen Patientenakte geschaffen werden. Dadurch würden Informationen entlang der gesamten Behandlungskette übertragbar. Darüber hinaus sei es möglich, Anwendungen wie die beiden Prototypen in angepasster Form in vielen weiteren Bereichen wie der Polizei, der Feuerwehr oder der öffentlichen Verwaltung einzusetzen.

Das Whitepaper „Künstliche Intelligenz im Schockraum: Wie Agenten und Foundation-Modelle bei der Versorgung Schwerverletzter helfen“ wurde vom Fraunhofer IAIS in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Aachen und dem Klinikum Köln-Merheim angefertigt. Projektpartner bei „TraumAInterfaces“ war zudem die Universität Witten/Herdecke. Getestet wurden die KI-Anwendungen in einem simulierten Schockraum des Klinikums Köln-Merheim.

Hier steht das Whitepaper in deutscher Sprache kostenfrei zum Download zur Verfügung.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 07-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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