8. HFG 2025

 

Quintessenzen des 8. Heidelberger Forums Gesundheitsversorgung
veranstaltet von medhochzwei, Welt der Gesundheitsversorgung und Gesundheitsplattform Rhein-Neckar

Heidelberg, 14.05.2025
Bericht von Rolf Stuppardt, Herausgeber WELT DER GESUNDHEITSVERSORGUNG

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8. HFG 2025 – Pressebericht

WIR SEGELN HART AM WIND

Mission Gesundheit und was dabei wichtig ist
Quintessenzen des 8. Heidelberger Forums Gesundheitsversorgung

In Heidelberg trafen sich am 8. Mai Menschen, denen die „Mission Zukunft Gesundheit“ wichtig ist und die dazu etwas zu sagen und beizusteuern haben.

Mein erstes Learning:
Der Austausch der unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen ist wichtig.
Keine Kinoveranstaltung, keine großen Vorträge und Präsentationen, viele sollen in einem dichten Zeitrahmen zu Wort kommen. Wesentliches soll ausgetauscht werden.
Aufeinander eingehen, aufeinander zugehen.
Das ist gelungen.

Bewusst haben wir die Inhalte nach vorne und die Finanzierung und Organisation nach hinten gestellt:

  • Worum geht es bei Gesundheit?
  • Wo und wie findet Gesundheit statt?
  • Wie wird das organisiert, strukturiert, finanziert?


Lebensstil als großes Gesundheitsrisiko

Prof. Dr. Ingo Froböse machte mit seiner Key-Note den engagierten Aufschlag. Da wir in erster Linie ein Behandlungssystem haben, muss sich Gesundheit rehabilitieren: Prävention ist die einzige „gesunde“ Lösung für unsere „kranke Gesellschaft“, sagt er. Doch Prävention brauche Qualität und Interdisziplinarität wie auch nennenswerte Präventionsforschung.


Prof. Dr. Ingo Froböse © medhochzwei

Prävention benötige den 3-V-Ansatz: Verhalten, Verständnis und Verhältnis, losgelöst von der „kassenärztlichen“ Versorgung, hin zu einem Public-Health-Ansatz mit multidisziplinärer Ausrichtung und Verantwortung.
Prävention brauche umfassend ausgebildetes Personal. Ernährungs-, Bewegungs-, Erziehungs- und Sozialwissenschaftler, Physiologen, Psychologen, Mediziner …
Es müsse zudem eine Umwelt geschaffen werden, die gesundes Verhalten zur normalsten und einfachsten Lösung werden lässt. Wirtschaft, Gesellschaft und Gesundheitswesen brauchen ein Fitness-Programm. Das größte Risiko für die meisten Erkrankungen sei der Lebensstil.
Daran konnte im ersten Panel angeknüpft werden.

 

Mentale Gesundheit, Patientenaktivierung, Sichtbarkeit und Pflege

Eine in der Praxis unterbelichtete Bedeutung für Gesundheit hat das Gehirn. Nach Dr. Barbara Studer sollte schon in der Grundschulbildung darüber aufgeklärt werden, um viel mentales Leiden und Erschöpfung und vor allem auch Demenz zu verhindern. Kreativität und Leistungen werden nicht unter Druck und Stress frei, sondern im Flow, in der authentischen Liebe und Begeisterung für das, was wir tun. Eine Veränderung des Verhaltens zum engagierten Machen und Mitmachen etwa ist entscheidend.

Dass das auch bei Krankheit wichtig ist, erläuterte PD Dr. Laura Schmidt. Menschen mit chronischen Krankheiten, die aktiviert werden, sind nachhaltiger und erfolgreicher versorgt. Da helfen Warnungen vor Risiken oder Schockbilder wie auf den Zigarettenschachteln weniger als die Erfahrung des Erfolgs mit einfachen, machbaren Maßnahmen. Mit evidenten verhaltenswissenschaftlichen Methoden kann eine Verhaltensänderung erzielt werden. Wenn dies in Versorgung und Kommunikation verankert wird, kann Prävention auch in der Krankheitsbewältigung funktionieren.


Panel  1 v. l.: Rolf Stuppardt | Sandra Postel | PD Dr. Laura Schmidt | Dr. Barbara Studer | PD Dr. Stephan Barth | Nadia Mussa © medhochzwei

Damit Gesundheit den Stellenwert bekommt, den sie verdient, bedarf es auch sozialer Innovationen, die dort ansetzen, wo Versorgung oft ins Leere läuft, nämlich im dritten Gesundheitsmarkt, meint Dr. Stephan Barth. Rund 60.000 Gesundheitsvereine mit über 6 Millionen ehrenamtlich tätigen und oft sehr kompetenten Menschen sind nahezu „unsichtbar“, unterfinanziert und strukturell isoliert, blühende Inseln zwischen erstem und zweitem Gesundheitsmarkt. Barth stellte die Gesundheitsplattform „gesundheitsheldinnen.de“ vor, weil es größerer Sichtbarkeit, besserer Vernetzung, optimierten Ressourcenzugangs, mehr Wertschätzung und Förderung und somit einen erheblichen Mehrwert für das Gesundheitssystem bedarf.

Am Ende des vernetzten Bemühens um Gesundheit steht die Pflege. Auch sie muss sichtbarer gemacht werden und nachhaltige Strukturen und Ressourcen schaffen, um den Menschen wirksam zu helfen, meint Sandra Postel von der Pflegekammer NRW. Die Pflege muss stärker in den gesamten Leistungsprozess einbezogen werden, auch schon bei den Regeln zur Leistungsbestimmung etwa im Gemeinsamen Bundesausschuss. Es gilt das Miteinander der Berufe zu stärken. Die Zeit, um die Zuständigkeiten Mauern zu errichten, ist vorbei. Auch muss in der Pflege der Stellenwert von Prävention mehr hervorgehoben werden. Dies gelinge etwa durch den Einsatz von School Nurses bereits in den Schulen.


Umfrage Panel 1v. l.: Rolf Stuppardt | Sandra Postel | PD Dr. Laura Schmidt | Dr. Barbara Studer © medhochzwei


Wo und wie Gesundheit stattfindet: Regional und Digital

Wo und wie Gesundheit stattfindet, darum ging es dann im zweiten Panel „Gesundheit ist regional und digital“. Christina Ruckert von der AOK Bayern stellte das Modellprojekt „NewSmartMed“ vor, bei dem es um Hybridmodelle zur Sicherung der regionalen Gesundheitsversorgung geht. Die analoge Behandlung der Patienten in der Häuslichkeit wird verknüpft mit der digitalen Übertragung von Daten an die Praxis und mit Videokonferenzen. Mit der eNurse wird ärztliche Praxis entlastet und zugleich in ihrem Therapieregime gestärkt. Wir brauchen mehr Rahmenbedingungen, die derartige Innovationen stützen. Learnings:

  • Bedarfsgerechte Kombination aus Telemedizin und persönlicher Betreuung
  • Kooperation mit Kommunen als aktive Gesundheitsgestalter
  • Stärkung von Prävention und aktiver Gesundheitsgestaltung
  • Aufwertung von Gesundheitsberufen und Entwicklung neuer Berufsprofile
  • Entlastung durch Delegation an Medizinische Fachangestellte


Panel  2 v. l.: Alexander Föhr | Michael Kulling | Marina Köhler | Christina Ruckert | Andreas Lenz | Nadia Mussa © medhochzwei

Das Diabetesinformationssystem „PDM One“ stellte Michael Kulling von Roche Diagnostics vor, eine integrierte Softwarelösung für die Arztpraxis mit 80 Parametern zu Diabetes und Begleiterkrankungen. So entstand ein dezidiertes DMP (Disease-​Management-Programm) mit der Integration der Module in die Praxisabläufe, der Verfügbarkeit der Daten im therapeutischen Kontext, verbunden mit einer Echtzeitanalyse der Daten und ihrer Mehrfachnutzung etwa in der nahtlosen Verbindung zur elektronischen Patientenakte. Auch hier geht es stringent um vernetzte Lösungen in der Gesundheitsversorgung.

Marina Köhler von DOCYET, einer Lotsen-Company, stellte eine Versorgungslösung vor, die mit Hilfe einer KI-gestützten Symptombewertung sicherstellt, dass die Patienten zur richtigen Zeit am richtigen Ort versorgt werden, etwa um zu entscheiden, ob ein Besuch in der Notaufnahme nötig ist oder welche andere Maßnahmen angezeigt sind. Ein sinnvolles Toolsystem, um den individuellen Anforderungen in Akutfällen besser gerecht zu werden.

Kleeblattkonzept: Krankenhaus geht besser

Im Icebreaker-Programm nach der Mittagspause kam Prof. Dr. Jochen A. Werner auf sein neuestes Werk im medhochzwei Verlag „Krankenhaus geht besser“ zu sprechen. Seine „Kleeblattidee“ fußt dabei auf 4 Begriffe: Smart, Economic, Green und Human: Digitalisierung dient der Humanisierung. Die Ökonomie bietet vor diesem Hintergrund ungenutzte Spielräume. Beim Green Hospital geht es um Nachhaltigkeit, Klima und Ressourcenmanagement. Und das Human Hospital ist konsequent menschenorientiert und zeichnet eine menschliche Medizin, wobei insbesondere der Megatrend des Alters und Alterns eine besondere Rolle spielt, wie aber auch die Rechte der Kinder. 


Icebreake-Programm Prof. Dr. Jochen A. Werner © medhochzwei

Rationalität, Ökonomie, Struktur, Finanzierung

Das Gesundheitswesen scheint ein Fass ohne Boden zu sein. Das hat etwas damit zu tun, dass immer mehr Geld ins System fließt, das System aber keine besseren Ergebnisse liefert und sich in seiner Behandlungsorientierung je nach Marktstellung in den Regionen seine steigende Nachfrage schafft. Es ist im wesentlichen angebotsinduziert und sektoral in unterschiedlicher Ausprägung falsch „beansprucht“. Die Forderung nach mehr Geld im System ergibt daher keinen Sinn.

„Wir brauchen eine Kernsanierung des Gesundheitswesens und ein finanzielles Sofortprogramm“, so Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit. Ohne einen Stufenplan ginge es dabei nicht. Mit der ePA sei ein erster wichtiger Schritt dazu getan, doch das System müsse bis spätestens 2030 voll funktionsfähig sein, um auf den demografischen Wandel reagieren zu können. Diese Regierungsperiode ist somit zukunftsentscheidend für das deutsche Gesundheitssystem.

Prof. Dr. Simon Reif vom ZEW in Nürnberg wurde zur Rationalität des Systems befragt. Jeder habe seine eigene Rationalität, was aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass es eine Gesamtrationalität des Systems gäbe. Er, der mit einem erfrischenden Motoshirt gekommen war („Wir sind das Chaos“), forderte eine Regulierung des Systems, um eine nachhaltige Finanzierung zu erreichen. Sein Gutachten aus dem letzten Jahr zu einem nachhaltigen Risikostrukturausgleich (nRSA) zielt ebenfalls in eine solche Richtung.


Panel3 v.l. Sonja Laag | Prof. Dr. Simon Reif | Hans-Dieter Nolting | Andrea Galle | Andreas Storm © medhochzwei

Andrea Galle, Vorständin der mkk-meine krankenkasse aus Berlin, sieht das Gesundheitssystem durch vermeidbare Fälle regelrecht „verstopft“, was immer zu Lasten derjenigen gehe, die es dringend brauchen. Deshalb müssten Gesundheitserhaltung und Krankheitsvermeidung systematisch gefördert werden und zwar viel stärker als bisher. Damit wird die Patientenzahl von vorneherein reduziert und das kurative System entlastet.

Auch Hans-Dieter Nolting, Partner von IGES, plädierte, alles dafür zu tun, zu vermeiden, was vermeidbar ist und zog in dem Zusammenhang das Bild der Krankenhaustriage in der Notaufnahme heran.

Einen völlig anderen Ansatz verfolgt Sonja Laag mit ihrem Think Tank IPAG e.V. Die dort brainstormenden Menschen, allesamt in praktischen Funktionen im Gesundheitswesen aktiv, haben sich die Freiheit genommen, ein Stück weit auf die „grüne Wiese“ zu gehen und mit dem Care Share 13-Konzept völlig neue Strukturen, Prozesse und eine Vereinheitlichung des Rechts zu denken. Es geht ihnen um eine neue Zielstruktur der Versorgungsorganisation. Weg von der arztzentrierten (oder auch einrichtungszentrierten) Versorgung hin zu Regionalen Care Share-Verbünden für interprofessionelle und integrierte Versorgung in Regionalvertragskonstellationen. Das Ganze geht einher mit einer „Entsäulung“ für nachhaltige Finanzierung auf der Grundlage eines neu zu schaffenden Gesundheitsrechts, wofür die „13“ mit Blick auf die Zahl der bisherigen Sozialgesetzbücher steht. Die Care Share-Gemeinschaft verfolgt eine gesundheitliche Daseinsvorsorge mit einem gemeinwohlökonomischen Ansatz.


Umfrage Panel 3  v. l.: Prof. Dr. Lutz Hager | Sonja Laag | Prof. Dr. Simon Reif | Hans-Dieter Nolting | Andrea Galle | Andreas Storm © medhochzwei

 Der Austausch war rege und es stand auch für das Publikum die offene Frage im Raum:
„Wie kann es gelingen, dass das Gesundheitswesen nachhaltig finanziert und kein ‚Fass ohne Boden‘ mehr ist?“

Fazit

Das Heidelberger Forum Gesundheitsversorgung ist ein etabliertes Format für den Austausch von Menschen im System, denen Gesundheit und deren Perspektive wichtig sind.
Gesundheit ist ihrem Ursprung nach beachtete und unterstützte Selbstregulation. Sie ist einer der wichtigsten Produktions- und Lebensqualitätsfaktoren. Im ausgewogenen Zusammenspiel von Körper, Seele, Geist ergibt sich ein Lebens- und Arbeitsstil, der präventiv wirkt und Krankheit vermeidet.

Gesundheit muss vom Kopf aus auf die Beine gestellt werden. Das bedeutet vor allem, Gesundheitserhalt und Prävention sollten ganz vorne stehen. Für das System bedeutet das, Anreize für Gesundheitserhalt in allen durchlässigen Versorgungsstufen von der Prävention über die Kuration bis hin zur Pflege vorzuhalten. In dem gesicherten Wissen um die Vermeidbarkeit von chronischen Krankheiten wie Diabetes, Krebs und Herz-Kreislaufkrankheiten steckt ein enormes Potential von mehr Produktivität und Lebensqualität aber auch hinsichtlich der Reduzierung des Kosten- und Finanzdrucks.

Über das Gesundheitssystem hinaus berührt dies alles das Zusammenleben und Arbeiten in den Regionen und Unternehmen generell, aber auch die Erziehung, die Bildung, die Wirtschaft, die Wissenschaft und das sozialrechtliche Regelwerk.

Wir segeln weiter hart am Wind.

Rolf Stuppardt

 

Übrigens – der Termin für das 9. Heidelberger Forum Gesundheitsversorgung steht bereits fest: der 6./7. Mai 2026. Weitere Informationen folgen.