Haeske-Seeberg: Interoperabilität muss unbedingt verbessert werden

23.11.2023, Sven C. Preusker
Interviews & Kommentare, Politik & Wirtschaft

Dr. Heidemarie Haeske-Seeberg, Vorsitzende der Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung, Leiterin der Stabsstelle Qualitätsnetzwerke der Sana Kliniken AG und Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung, spricht im Interview über die 7. Stellungnahme der Regierungskommission.

medhochzwei: Die Regierungskommission hat kürzlich ihre 7. Stellungnahme zur „Weiterentwicklung der Qualitätssicherung, des Qualitäts- und des klinischen Risikomanagements. Mehr Qualität – weniger Bürokratie“ veröffentlicht. Kritisiert wird mit Blick auf die Qualitätssicherung häufig eine Überregulierung, dennoch sieht es, würde den Empfehlungen der Kommission gefolgt, nach mehr Aufwand aus.

Dr. Heidemarie Haeske-Seeberg: Ob es zu mehr Bürokratie kommt, ist überwiegend eine Frage der Digitalisierung und der Möglichkeiten, die durch den Datenschutz gegeben oder genommen werden. Viele Daten sind vorhanden, können aber bisher für den Zweck der Qualitätssicherung nicht genutzt werden. Unbedingt verbessert werden muss die Interoperabilität der verschiedenen Programme. Und für alle Instrumente der gesetzlichen Qualitätssicherung könnte man sich eine msandantenfähige Datenbank vorstellen, in die alle Daten und Angaben einfließen. Das reicht von Mindestmengen über Qualitätsverträge bis zu Strukturprüfungen der verschiedenen Art bis hin zur datengestützten Qualitätssicherung. Wir sind wir überall noch viel zu papiergestützt unterwegs.

mhz: In der Stellungnahme wird unter anderem von der Überprüfung aller bisherigen Instrumente der Qualitätssicherung gesprochen – welche werden da konkret in Frage gestellt?

Haeske-Seeberg: Es ist offensichtlich, dass der bisherige Versuch, aus der datengestützten Qualitätssicherung Qualitätsindikatoren mit Planungsrelevanz abzuleiten nicht gelungen ist. Vielmehr wird es zukünftig eine unmittelbare Verknüpfung zwischen Leistungsangebot und Strukturqualität geben, was als ein erstes Äquivalent für qualitätsabhängige Planung gesehen werden darf. Das muss natürlich weiterentwickelt werden. Dazu sollte man sich allerdings so viel Zeit geben, wie sie für eine fundierte Konzeptentwicklung und –umsetzung notwendig ist.

Hier könnte man rasch Aufwand reduzieren, indem die „planungsrelevanten Indikatoren“ wieder gehandhabt werden wie der Rest der Qualitätssicherungsergebnisse.

Auch die Qualitätsverträge wollen unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen nicht recht zum Fliegen kommen. Hier sollte noch einmal über die Konzeption nachgedacht werden. Die Regierungskommission hat dazu Vorschläge unterbreitet.

Nicht zuletzt ist es das starre Zweitmeinungsverfahren, dass evaluiert werden sollte. Hat es die beabsichtigte Wirkung entfaltet? Gibt es für PatientInnen nicht ohnehin genügend Möglichkeiten, sich für elektive Eingriffe eine zweite Meinung einzuholen? Ist nicht die Indikationsstellung beim Operateur bereits eine zweite Meinung zum überweisenden Arzt? Sind die in das Verfahren inkludierten Eingriffe signifikant zurückgegangen? Wie häufig kamen Indikationssteller und Zweitmeiner zu unterschiedlicher Auffassung? Solche Fragen sollten geklärt werden, um Aufrechterhaltung, Weiterentwicklung oder Abschaffung fundiert zu entscheiden.

mhz: Manch einer sieht in den Empfehlungen den Aufruf, den Gemeinsamen Bundesausschuss in Sachen Qualitätssicherung zu entmachten – welche Stellen sollen hier künftig maßgeblich sein?

Haeske-Seeberg: In der Stellungnahme haben wir das ja schon beantwortet. Hauptziel ist es, fundiertere und sachbezogenere Entscheidungen zu fördern. Die Partner der Selbstverwaltung kommen ihren Aufgaben im G-BA nach und vertreten die Interessen ihrer Mitglieder. Aber ist das die richtige Entscheidungsbasis? Wie kann damit eine patientenorientiertere und bürokratieärmere Gesundheitsversorgung gefördert werden? Wir wollten anregen, darüber nachzudenken und haben verschiedene Wege der Weiterentwicklung dazu aufgezeigt.

mhz: Ein Aspekt ist ja auch der Datenschutz – in der Stellungnahme wird von einem „ermöglichenden Datenschutz“ gesprochen, ebenso von Datensparsamkeit – wie könnte das in der Praxis aussehen?

Haeske-Seeberg: Es existieren viel mehr Daten, die IT-gestützt vorliegen, als wir bisher für die Qualitätssicherung nutzen dürfen. Spätergebnisqualität aus Sozialdaten der Krankenkassen und aus Registern z.B. liefern Erkenntnisse, die es zu nutzen gilt. Neben den technischen Herausforderungen, diese Datenbestände zusammenzuführen und nutzbar zu machen, gibt es datenschutztechnische Hürden. Diese sollten so weit als möglich abgebaut werden, um Qualitätserkenntnisse für die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung gewinnen zu können. Unsere Datenschutzbestimmungen sind inzwischen innovations- und qualitätsfeindlich. Ich denke, dass die meisten PatientInnen einer dafür zweckgebundenen Datennutzung zustimmen würden. Dafür müssen die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden.

mhz: Sektorübergreifende und sektorgleiche Versorgungstransparenz sind Forderungen aus der Stellungnahme – wie könnte der Weg dahin konkret aussehen und wie lange wird das dauern?

Haeske-Seeberg: Wir müssen lernen zu unterscheiden, wofür wir Datentransparenz herstellen wollen. Um Unter-, Über- oder Fehlversorgung mit Regionsbezug herzustellen benötigen wir andere Auswertungen als die Zuschreibung eines Langzeitergebnisses zu einem Leistungsanbieter – ggf. gekoppelt mit einer Sanktion. Dazu sollten Konzepte erarbeitet werden, die diese Unterscheidung beinhalten.

Die sektorgleiche Qualitätssicherung bekommt ja in Zeiten der Ambulantisierung und vielleicht der Einrichtung von 1i-Krankenhäusern eine herausragende Bedeutung. Die richtige Indikationsstellung für eine Versorgungsform und die damit verbundenen Behandlungsergebnisse müssen mindestens in der Einführungsphase beobachtet werden. Den Gesetzgeber muss interessieren, ob die Ambulantisierung gelingt und ob damit Risiken für Grenzfälle einer ambulant-stationär-Entscheidung verbunden sind. Aber auch, ob diese Patienten insbesondere mit einer sozialen Indikation zu stationärer Behandlung trotz prinzipiell ambulant erbringbarem Eingriff überhaupt ein Versorgungsangebot finden.
Wie lange es braucht, ein solches Konzept umzusetzen hat ganz wesentlich damit zu tun, wer dafür die Verantwortung zugesprochen bekommt. Auf jeden Fall braucht es sicher mehrere Jahre. Und das, obwohl der Gesetzgeber die Ergebnisse rasch benötigen würden, um steuern eingreifen zu können. Den Verantwortlichen ist es bis heute jedoch gar nicht gelungen, Datentransparenz in den ambulanten Sektor zu bringen. Das sollte sich ändern.

mhz: Die Patientinnen- und Patientenperspektive soll zukünftig in Form von PROMs und PREMs stärker einfließen – inwieweit werden diese Daten heute schon flächendeckend erhoben und wie sollen sie eingebunden werden?

Haeske-Seeberg: Von einer flächendeckenden Erhebung von PROMs und PREMs in Deutschland kann überhaupt nicht die Rede sein. Lediglich für die Herzkatheteruntersuchung wurde in diesem Jahr mit der Datenerhebung begonnen. Da werden uns wenige Erprobungsdaten zur Verfügung stehen.

Die wenigen Einrichtungen, die einen Qualitätsvertrag für die Endoprothetik abgeschlossen haben, müssen dafür im Rahmen der Begleitevaluation PROM-Erhebungen organisieren. Das sind jedoch nur sehr wenige Einrichtungen. Pilotprojekte hat die Deutsche Krebsgesellschaft durchgeführt, um die Erkenntnisse zur Qualitätsbewertung heranzuziehen. Das war es aber auch schon.

Es braucht also ein umfassendes Konzept, in dem verschiedene Fragen beantwortet werden:
•    Welche Pilotprojekte sollten in die Routine übernommen werden?
•    Welche Patientengruppen sollen als nächstes befragt werden?
•    Wie kann dort eine sektorübergreifende Methodik sinnvoll angewendet werden?
•    Wie können Einrichtungen zeitnah über die Rückmeldungen ihrer PatientInnen informiert werden, insbesondere wenn diese ein kritisches Behandlungsergebnis aufzeigen?
•    Welche Befragungsinstrumente und -zeitpunkte sind geeignet, um PatientInnen für eine Rückmeldung zu interessieren und relevante Ergebnisse zu erbringen?
... um nur einige zu nennen.  

In einem Transparenzportal sind das auf jeden Fall relevante Ergebnisse, die die Qualitätsdarstellung aus der Perspektive der Leistungserbringer sinnvoll ergänzen.

mhz: Im Gesamtbild der geplanten Krankenhausreform, der Ambulantisierung, der Reform des Rettungsdienstes gesehen – welche Auswirkungen werden Qualitätssicherung und Qualitäts- und klinisches Risikomanagement in Zukunft haben?

Haeske-Seeberg: Wir haben gerade eine Phase, in der es gelingen könnte, unser Gesundheitssystem mit den Instrumenten der Qualitätssicherung und des Qualitäts- und klinisches Risikomanagements ein bisschen patientenorientierter zu gestalten. Dafür wäre es jedoch wichtig, die Chancen der Digitalisierung und Vernetzung konsequent zu nutzen, die Instrumente konsequent aus der Patientenperspektive zu denken und die Anreize richtig zu setzen. Und nicht nur auf Strukturqualität zu bauen.

mhz: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 22-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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