DiGa-Bilanz: Kassen fordern „gesetzliches Update“

08.03.2022, Sven C. Preusker
Digital Health, Krankenversicherung, Psychotherapie, Heilberufe

Seit Ende 2020 stehen digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) flächendeckend als neue Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Verfügung. In einem Bericht zum Zeitraum 1.9.2020 bis 30.9.2021 zieht der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) nun eine erste Bilanz zur Inanspruchnahme und Entwicklung der Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen. Insgesamt wurden im Berichtszeitraum rund 50.000 DiGA ärztlich verordnet oder von den Krankenkassen genehmigt, wovon nur knapp 80 Prozent bereits aktiviert wurden, hieß es vom GKV-SV.

Verhaltene Nachfrage

Für den Kassenverband ist auffällig, dass nur ein Viertel der Anwendungen dauerhaft ins BfArM-Verzeichnis aufgenommen wurde und der Nutzen belegt werden konnte. Drei Viertel hingegen seien weiterhin nur zur Erprobung gelistet, da sie innerhalb eines Jahres noch keine positiven Versorgungseffekte hätten nachweisen können. Die Erwartungen hätten bisher kaum erfüllt werden können, obwohl der Gesetzgeber den Herstellern maximalen Freiraum geschaffen habe, um Produkte auf den Markt zu bringen, die die Versorgung der Versicherten maßgeblich verbessern könnten. Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband, betonte allerdings, die DiGa hätten großes Potential. „Sie könnten Brücken schlagen zwischen Patientinnen und Patienten, deren Behandelnden, den Versorgungsbereichen und den unterschiedlichen Fach- und Berufsgruppen.“ Die Analysen des Verbands würden aber auch nahelegen, dass sie derzeit statt als funktionales Scharnier eher als Begleitung oder Coach ausgestaltet würden. Wenn eine DiGA bloß Leitlinieninhalte oder Selbsthilfe-Manuale digital abbilde, sei aber der Innovationscharakter begrenzt. „Nach über einem Jahr DiGA sehen wir in der GKV eine eher verhaltene Nachfrage. Vor dem Hintergrund des geringen Innovationscharakters und der fehlenden Nutzennachweise kann das niemanden überraschen,“ so Stoff-Ahnis.

Viele der in die Regelversorgung aufgenommenen DiGA würden sich auf Krankheitsbilder mit sehr hohen Prävalenzen und potenziellen Nutzerzahlen in der GKV beziehen, hieß es von dem Verband. Ein Schwerpunkt zeigt sich laut der Erhebung im Bereich der psychischen Erkrankungen, auf welchen sich die Hälfte der im BfArM-Verzeichnis im Berichtszeitraum gelisteten 20 DiGA beziehe. Ein weiterer Fokus seien Erkrankungen des Nervensystems. Mit fast 90 Prozent sei die überwiegende Mehrheit der DiGA ärztlich oder psychotherapeutisch verordnet worden, ca. zehn Prozent kamen nach Genehmigung durch die Krankenkasse zur Anwendung. Rund ein Drittel der Verordnungen sei durch Hausärztinnen und Hausärzte und 20 Prozent durch Fachärztinnen und Fachärzte für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde ausgesprochen worden.

Die gesetzlichen Bedingungen, unter denen die DiGA in den gesetzlichen Leistungskatalog integriert sind, würden zu wenig Wert auf den positiven Versorgungsnutzen für die Patientinnen- und Patienten legen und zu überhöhten Preisen führen, hieß es vom GKV-SV – dabei könnten DiGA die Versicherten dazu befähigen, ihre Versorgung aktiv mitzugestalten und zu Behandlungserfolgen selbst beizutragen. Das Preisspektrum bei den DiGA erstreckt sich laut der Untersuchung von 119 Euro bis 744 Euro für drei Monate. Der durchschnittliche Preis liegt demnach bei rund 400 Euro im Quartal. „Auch wenn kein innovatives Konzept besteht und keine Evidenz vorliegt, müssen die Preise bei einer DiGA in Erprobung bis zu zwei Jahre von der GKV finanziert werden. Dabei dürfen die Hersteller die Preise im ersten Jahr in beliebiger Höhe festlegen. Es liegt auf der Hand, dass bei potenziellen Ausgaben dieser Größenordnung ein beträchtlicher positiver Effekt für die Versorgung eingefordert werden muss. Dies für alle DiGA zu garantieren, ist die gemeinsame Aufgabe für die kommenden Jahre. Auch, weil DiGA als digitale Vorreiter entweder Innovationen den Boden bereiten oder ihn aber verbrennen können“, warnte Stoff-Ahnis.

Die Betriebskrankenkassen begrüßten in einer Reaktion auf den Bericht, dass DiGA-Entwickler voraussichtlich ab 2023 den Datenexport in die elektronische Patientenakte (ePA) ermöglichen sollen. Das eröffne die Chance, dass sich Patientinnen und Patienten mit allen relevanten Akteuren in einem Behandlungsprozess vernetzen, kommentierte Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes. „Wenn Patienten ihre Gesundheitsdaten über geeignete Schnittstellen weitergeben können, werden Transparenz und eine gemeinsam gestaltete optimale Therapie über die bisherigen Sektorengrenzen hinweg möglich,“ so Knieps weiter. Aus dem Bericht des GKV-Spitzenverbandes gehe hervor, dass DiGA bisher hauptsächlich Leitlinien-Inhalte oder Selbsthilfe-Manuals digital abbilden würden – solche digitalen Anwendungen seien notwendig, aber noch nicht ausreichend. „Um den Mehrwert für die Versorgung bestimmen zu können, müssen die Krankenkassen künftig weitere Daten wie etwa über die tatsächliche Nutzung oder Therapieabbrüche erheben können", so Knieps.

Gesetzliche Rahmenbedingungen müssen sich ändern

Um das Potential der DiGa –Versicherte dazu befähigen, ihre Versorgung aktiv mitzugestalten und zu Behandlungserfolgen selbst beizutragen ¬– heben zu können, sei ein Update der gesetzlichen Rahmenbedingungen nötig, hieß es vom GKV-SV. Dabei hebt der Verband drei zentrale Punkte hervor: 

  • Der wissenschaftliche Nachweis des medizinischen Nutzens für die Versicherten muss durch die herstellenden Unternehmen gewährleistet sein. 
  • Eine DiGA sollte eine echte Innovation mit einem belegten Mehrwert für die Versorgung sein. 
  • Die Preise für eine DiGA dürfen von den Herstellenden im ersten Jahr nicht mehr beliebig festgelegt werden. 

„Um langfristig die Erwartungen zu erfüllen und die Anschubfinanzierung und den Vertrauensvorschuss zu verdienen, die mit dem neuen Leistungsbereich verbunden sind, muss das Missverhältnis hinsichtlich der vergleichsweise niedrigen Zugangsvoraussetzungen für DiGA, der geringen Innovationskraft und ihrer fehlenden Wirtschaftlichkeit konstruktiv weiterentwickelt werden. Wir wollen therapeutischen Nutzen für Patientinnen und Patienten bezahlen und keine Downloads“, so Stoff-Ahnis.

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