Hebammen arbeiten unter prekären Bedingungen

27.05.2022, medhochzwei
Heilberufe, Politik & Wirtschaft

Jährlich kommen in Deutschland rund 790.000 Kinder zur Welt, 98 Prozent im Kreißsaal einer Klinik – den Hebammen kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Doch Zeitmangel, personeller Notstand und fachfremde Tätigkeiten verursachen dauerhaft hohe Belastungen – mit schwerwiegenden Folgen für Hebammen: 70 Prozent arbeiten nur noch in Teilzeit, haben dem Kreißsaal den Rücken gekehrt oder ihren Beruf ganz aufgegeben – dass sind einige der Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Deutschen Hebammen Verbands (DHV). Selbst junge und werdende Hebammen würden im Laufe ihrer Ausbildung resignieren, heißt es. Dass die Regierung Verbesserungen angekündigt hat, sei aus DHV-Sicht ein erster Schritt, doch jetzt müssten Taten folgen. Die Umfrage zeige, wie ernst die Lage wirklich sei: 2.700 Hebammen würden „Nein“ zu den aktuell prekären Arbeitsbedingungen und „Ja“ zum Arbeitsplatz Klinik sagen, doch nur, wenn vieles sich ändere.  

„Ein klares Votum und ein starkes Signal in Richtung Politik und Klinikbetreiber“, so DHV-Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer zu den Umfrage-Ergebnissen. „Die Arbeitsbedingungen in der klinischen Geburtshilfe haben sich in den vergangenen 20 Jahren dramatisch verschlechtert. Jetzt ist es 5 vor 12. Gebärende sind heute überfüllten Kreißsälen ausgesetzt, werden weggeschickt und stark verunsichert, weil sie nicht wissen, wo und unter welchen Bedingungen sie ihr Kind auf die Welt bringen können. Zugleich werden Hebammen genötigt, in Stoßzeiten bis zu vier Gebärende gleichzeitig zu betreuen, doppelt so viele wie in anderen europäischen Ländern. Ein Skandal und einem Land wie unserem unwürdig“, betonte Geppert-Orthofer. „Es ist einfach nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet im sensiblen Versorgungsbereich wie der Geburtshilfe an Personal gespart wird. Am Fachkräftemangel jedenfalls liegt es nicht, das konnten wir mit unserer Umfrage zeigen.“

Denn: 2700 Hebammen haben angegeben, sofort wieder und auch mehr im Kreißsaal arbeiten zu wollen, wenn sich die Rahmenbedingungen verbessern – ähnlich wie es auch in der Pflege aussieht, wie die Studie „ich pflege wieder, wenn...“ gezeigt hat, über die der Hintergrundbeitrag des medhochzwei-Newsletter 10/2022 berichtet. Der Verband fordert deshalb Verantwortliche in Politik und Kliniken auf, „die Sicherheit und Qualität in der klinischen Geburtshilfe nicht weiter aufs Spiel zu setzen, sondern endlich einen Paradigmenwechsel herbeizuführen.“

Andrea Ramsell, Beirätin für den Angestelltenbereich im DHV, ergänzte: „Wir sehen unsere Kolleginnen und sehen, wie aus einer hochmotivierten Berufsgruppe in den letzten Jahren eine desillusionierte Berufsgruppe geworden ist. Dafür gibt es viele Gründe. Wenn geburtshilfliche Klinikstandorte schließen müssen, zum Beispiel, ohne dass umliegende Häuser den zusätzlichen Versorgungsbedarf kompensieren können. Für die Region gibt es dann oft nicht einmal einen strukturierten Versorgungsplan. Für Hebammen bedeutet das, sie müssen verstärkt fachfremde Tätigkeiten übernehmen und so Versorgungslücken schließen. Der Skandal: Diese Leistungen werden weder systematisch erfasst noch angemessen über DRGs vergütet. Sie spielen in der Personalplanung schlichtweg keine Rolle. Hinzukommen strukturelle Fehlanreize. Das heißt, für Klinikbetreiber ist es wirtschaftlich lukrativer, den Personalschlüssel niedrig zu halten. Geburtshilfe in deutschen Kliniken lohnt sich de facto nicht! Und genau hier muss dringend ein Umdenken erfolgen. Klinische Geburtshilfe muss zu den gewinnbringenden Abteilungen eines Krankenhauses gehören und eine personalintensive Eins-zu eins-Betreuung ausdrücklich belohnt werden. Das ist Auftrag an die Politik, aber auch an unsere Gesellschaft. Denn wie Kinder in Deutschland geboren werden, ist Grundlage unserer kulturellen und ethischen Prinzipien und nicht verhandelbar.“

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