3 Fragen an May Bjerre Eiby, Gründerin des dänischen Pflegeheims Dagmarsminde

09.06.2022, Dr. Stefan Arend, ProAlter
Demenz, Pflege, Interviews & Kommentare


May Bjerre Eiby

Vor sechs Jahren hast Du Deine Einrichtung „Dagmarsminde“ gegründet. Was waren damals Deine Gründe?
Als Krankenschwester im öffentlichen Gesundheitswesen stellte ich fest, dass es einen Mangel an Pflegeeinrichtungen insbesondere für Menschen mit Demenz gab. Die schienen keine Stimme zu haben. Auch mein Vater war von Demenz betroffen und lebte die Monate bis zu seinem Tod in einer klassischen Einrichtung.
Mir wurde klar, dass ich das System nicht ändern kann und es ein besserer Weg wäre, meine eigene Einrichtung zu bauen, um meine Ideen zu realisieren. Übrigens, meine Großmutter und ihre Mutter hießen Dagmar und "minde" bedeutet "in Erinnerung an".

Der Dokumentarfilm „Mitgefühl“ zeigt mit sehr schönen und beeindruckenden Bildern Deine Arbeit in Dagmarsminde. Was sind die Unterschiede von Dagmarsminde zu anderen dänischen Pflegeheimen?
Ich kann das fast mit einem Wort beantworten: Alles! Wir gehen bei keinem unserer Werte, bei unserer Haltung irgendwelche Kompromisse ein, niemals. Wir haben jeden Tag ein bestimmtes Programm mit Aktivitäten, durch die wir unsere Bewohner begleiten und führen: Wir gehen nach draußen in unseren Garten oder in den Wald, haben Bewegung, Vorlesen, alle Mahlzeiten zusammen essen, singen, abends gemeinsam Nachrichten und Fernsehsendungen sehen. Dieses Programm, diese Rituale wiederholen wir jeden Tag. Und es gibt Raum für individuelle Aktivitäten und Zeit für die Mitarbeitenden, für sich selbst, um im Journal zu schreiben, die nächste Aktivität vorzubereiten und so weiter.

Bei uns hört man immer wieder, dass das dänische System der Langzeitpflege viel besser ist als in Deutschland, viel unkomplizierter, viel innovativer und viel moderner – so wie in allen skandinavischen Ländern. Deine Presseveröffentlichungen zeigen ein anderes Bild. Auch Du hast mit vielen staatlichen Regeln und Bürokratie zu kämpfen. Ist das so? Was kritisiert man an Dagmarsminde? Wer kritisiert Dagmarsminde?
Ich stimme dem nicht zu, dass unser System in Dänemark besser ist als eures. Eigentlich denke ich, dass es ein Mythos ist. Unser System hat so viele strukturelle und kulturelle Probleme. Und beides wirkt sich negativ auf unsere Ältesten aus. Und ja, es gibt auch hier eine Menge Bürokratie. Aber wir schaffen es, auch dem gerecht zu werden. Wir haben viele Kritiker, und es sind meistens Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in anderen Pflegeheimen arbeiten. Ob es auch an weiteren Orten so etwas wie Dagmarsminde gibt, hoffe ich, aber leider ist es sehr schwierig, denn Investoren und die dänischen Kommunen sind nur daran interessiert, große Häuser für eine "gemischte" Bewohnerschaft zu bauen, nicht allein für Menschen mit Demenz, wie bei uns in einer kleinen Einrichtung wie Dagmarsminde.


Die dänische Krankenschwester May Bjerre Eiby (41) gründete 2016 ihre eigene Pflegeeinrichtung Dagmarsminde. Durch den Dokumentarfilm “Mitgefühl”, der 2021 auch in die deutschen Kinos kam, wurden ihre Einrichtung und ihre Art der Pflege und Begleitung von Menschen, die von Demenz betroffen sind, einem größeren Publikum und der Fachöffentlichkeit bekannt.

Weitere Informationen unter:
www.maybjerreeiby.dk
www.dagmarsminde.dk
www.weltkino.de/filme/mitgefuehl

 

Dieser Beitrag stammt aus dem ProAlter Newsletter 6-2022. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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