Reform der Vergütung von Pädiatrie und Geburtshilfe: Vorschläge gehen nur teilweise in die richtige Richtung

24.08.2022, Sven C. Preusker
Politik & Wirtschaft, Heilberufe

Die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrie und Geburtshilfe der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ hat erste Empfehlungen für eine kurzfristige Reform der stationären Vergütung für Pädiatrie, Kinderchirurgie und Geburtshilfe vorgelegt. Diese gehen allerdings nach Ansicht der geburtshilflichen Fachverbände nur teilweise in die richtige Richtung. So würde in größeren geburtshilflichen Zentren die unzureichende Finanzierung durch die Kommissionsvorschläge zementiert, hieß es in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), der Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der DGGG (AGG), der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM), der Deutschen Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin (DGPGM) und der Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Ärztinnen und Ärzte in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe (BLFG).

In den letzten 20 Jahren sei es zu einem Rückgang der Abteilungen für Kinder- und Jugendmedizin auf 334 im Jahr 2020 gekommen, stellten die Mitglieder der AG Pädiatrie und Geburtshilfe fest. 1991 seien es noch 440 Abteilungen und 2012 noch 364 Abteilungen (jeweils ohne Kinderchirurgie) gewesen. Die Zahl der vorgehaltenen Betten sei dabei stärker als die Zahl der Abteilungen von 31.708 im Jahr 1991 auf 19.199 im Jahr 2012 gesunken, 2020 lag sie bei 17.959. Dagegen sei die Zahl der Behandlungsfälle in pädiatrischen Abteilungen bis 2016 moderat angestiegen, im Jahr 2005 lag sie demnach bei gut einer Million, 2012 bei 1.055.262 und 2016 bei 1.105.240. Im Jahr 2020 fiel sie pandemiebedingt auf 881.194. Parallel sank die durchschnittliche Verweildauer von 9,1 Tagen im Jahr 1991 auf 4,7 Tage im Jahr 2012 und schließlich auf 4,2 Tage 2019.

Die Anzahl der Krankenhausstandorte mit Geburten ging laut eines Gutachtens zur „stationären Hebammenversorgung“ (2019) von 1.186 im Jahr 1991 über 865 im Jahr 2007 auf 672 im Jahr 2017 zurück. Im Jahr 2020 gab es laut der Abrechnungsdaten der Krankenhäuser noch 655 solcher Standorte, von denen 120 weniger als 500 Geburten pro Jahr haben, was als eine Grenze anzusehen sei, bei deren Unterschreitung Wirtschaftlichkeit und Versorgungsqualität nicht mehr gesichert seien, hieß es von Seiten der Gutachter. Auch die Zahl der Geburten sei lange Jahre rückläufig gewesen – sie erreichte im Jahr 2011 den Tiefstwert von 663.000. Im Jahr 1990 seien es über 900.000 Geburten in Gesamtdeutschland gewesen, 2021 sei erstmals wieder ein so hoher Wert wie Ende der 1990er-Jahre erreicht worden.

Die Kommission empfiehlt mit Bezug auf den Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung, für diese Fächer kurzfristig zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Diese Mittel seien sofort (ab Jahreswechsel) und unabhängig von Budgetverhandlungen zwischen Kostenträgern und Kliniken zu gewähren. Eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst solle dabei nicht stattfinden. Die Krankenhäuser sollten lediglich in ihren jährlichen Qualitätsberichten darlegen, wie die zusätzlichen Mittel für die Abteilungen Pädiatrie bzw. Geburtshilfe verwendet wurden, hieß es.

in einem ersten Reformschritt sollen die Abteilungen für Pädiatrie ab Anfang 2023 durch ein neben den abgerechneten DRGs gewährtes zusätzliches Vergütungsvolumen, das nicht leistungsabhängig vergeben wird, vom betriebswirtschaftlichen Druck befreit werden.

In der Geburtshilfe sei eine Unterstützung – zusätzlich zu den abgerechneten DRGs – durch hinzukommende, nicht leistungsabhängige Finanzmittel vorrangig erforderlich für solche Abteilungen, die nur eine geringe Zahl an Geburten haben, aber bei ihrem Wegfall eine Versorgungslücke für die Bevölkerung hinterlassen würden, schreiben die Gutachter. Als Orientierung, welche Abteilungen Letzteres betrifft, könne die Festlegung von Abteilungen, denen Sicherstellungszuschläge zustehen, herangezogen werden. Aus Qualitätsgesichtspunkten sei ferner zu fordern, dass vorrangig geburtshilfliche Abteilungen zusätzliche Unterstützung erhalten, an deren Standort auch eine pädiatrische Abteilung besteht.

Aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen seien Höhe und Herkunft dieser zusätzlichen Mittel politisch festzulegen. Zu denken sei insbesondere an eine Erhöhung der Leistungen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen (und der Beihilfe) für die beiden Fächer, an Bundesmittel oder an eine Kombination aus beidem. Die Gesamthöhe der zusätzlichen Mittel müsse so groß sein, dass die genannten Ziele – insbesondere eine kurzfristige Reduktion des Drucks auf eine möglichst hohe Fallzahl und die Verhinderung der Schließung von für die Versorgungssicherheit benötigten Abteilungen – erreicht werden. Mehrkosten der Abteilungen, die sich durch Inflation und Lohnsteigerungen ergeben, seien zu berücksichtigen.

Die Regierungskommission schlägt für diese erste Reformstufe für die Pädiatrie vier alternative Modelle vor, nach denen das zusätzliche Vergütungsvolumen auf die Abteilungen zu verteilen ist. Das sind erstens die Fortschreibung von angehobenen abteilungsindividuellen Erlösen ohne Leistungsbezug auf Basis des Casemixvolumens von 2019, zweitens die Verteilung der zusätzlichen Finanzmittel nach vorgehaltenen Behandlungskapazitäten, drittens die Verteilung der zusätzlichen Finanzmittel nach versorgter Bevölkerungszahl und schließlich die Verteilung der zusätzlichen Finanzmittel nach einer Mischung aus vorgehaltenen Behandlungskapazitäten und versorgter Bevölkerungszahl. 

Für die Geburtshilfe wird ein Modell vorgeschlagen, das sich für die Klassifizierung der geburtshilflichen Abteilungen als bedarfsnotwendig an der Liste der Abteilungen mit Anspruch auf Sicherungszuschlag orientiert. Dabei seien die Mittel unabhängig vom Abschluss von Budgetvereinbarungen zu gewähren, ein Bezug zur Bettenzahl der Abteilung solle dabei nicht hergestellt werden.

Zeitnah will die Regierungskommission Vorschläge für die zweite und weitere Reformstufen machen mit dem Ziel, beide Fächer nach der Bedarfsnotwendigkeit (Bevölkerungsbezug) und einer hochwertigen Struktur-, Behandlungs- und Ergebnisqualität weiterzuentwickeln. Unter anderem will die Regierungskommission entsprechende Qualitätsvorgaben vorstellen.

Unterfinanzierung wird zementiert

In der Stellungnahme der geburtshilflichen Fachverbände zu dem am 8. Juli 2022 vorgestellten Papier der Regierungskommission heißt es, die Arbeitsgruppe Pädiatrie und Geburtshilfe der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung stelltekorrekt fest, dass in der Geburtshilfe ein relevanter Mangel an Fachpersonal bestehe, welcher in Deutschland bereits zu temporären Kreißsaalsperrungen geführt mit konsekutiven Schwierigkeiten in der Bevölkerungsversorgung habe. Richtig festgestellt werde auch, dass bei weniger als 500 Geburten pro Jahr die Versorgungsqualität gefährdet sei, nicht zuletzt, da beim gegenwärtigen rein leistungsbezogenen Vergütungssystem die Vorhaltekosten unzureichend finanziert seien. Die Kommission betone die besondere Herausforderung in der Geburtshilfe, indem die aus Gründen der Qualität und der Wirtschaftlichkeit sinnvolle Konzentration auf weniger Standorte in Übereinstimmung gebracht werden müsse mit dem Ziel der Wohnortnähe auch in ländlichen Gegenden mit niedrigen Geburtenzahlen.

Weiter heißt es: „Die Empfehlungen der Kommission zur kurzfristigen Besserung der Situation zielen allerdings nur teilweise in die richtige Richtung, teilweise droht bei einer entsprechenden Umsetzung eine Verschärfung der Probleme. Dies kommt nicht ganz überraschend, da in der Kommission weder die Berufsgruppe der FrauenärztInnen noch der Hebammen vertreten ist.“

Begrüßenswert sei, dass eine Unterstützung – zusätzlich zu den abgerechneten DRGs – durch hinzukommende, nicht leistungsabhängige Finanzmittel empfohlen werde. „Nicht zielführend ist dagegen die Empfehlung, größeren Kliniken die leistungsunabhängige Vergütung mit steigender jährlicher Geburtenzahl zu reduzieren und ab einer bestimmten Größe komplett zu verweigern. Der Hinweis, hier sei eine auskömmliche Finanzierung durch die leistungsabhängige Vergütung gegeben, steht klar im Widerspruch zur Feststellung der Kommission, dass diese Vergütung mit problematischen Fehlanreizen arbeitet.“ Vergessen werde von der Kommission auch, dass insbesondere in der Hochrisikogeburtshilfe von Perinatalzentren, also vor allem der größeren Kliniken, durch deren Strukturvoraussetzungen erhebliche Vorhaltekosten entstehen würden, die durch die fallbezogene Vergütung der Geburten nicht ausgeglichen werde.

Völlig vernachlässigt werde in den Empfehlungen, dass nur eine insgesamt bessere Finanzierung die Voraussetzungen schaffen könne, die Personalknappheit in der Geburtshilfe zu verringern. Weit entfernt sei man zudem vom Ziel einer eins-zu-eins Hebammenbetreuung in der Geburtshilfe, wie im nationalen Gesundheitsplan vorgesehen. Dies finde in den Empfehlungen nicht mal Erwähnung als anzustrebendes Ziel. Vielmehr werde durch die Empfehlungen die gegenwärtige unzureichende Finanzierung vor allem in den größeren geburtshilflichen Zentren zementiert. Dem Ziel einer sinnvollen Zentralisierung der Geburtshilfe werde damit ein Bärendienst erwiesen.

Mogelpackung

Der Deutsche Hebammenverband (DHV) übte noch deutlichere Kritik an den Empfehlungen. „Was uns hier vorgestellt wird, ist eine reine Mogelpackung und ein Schlag ins Gesicht für alle in der Geburtshilfe Tätigen“, so DHV-Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer. „Die hier vorgestellten Maßnahmen zementieren auf völlig unverständliche Weise bestehende, längst überholte Fehlanreize und belohnen unter dem Deckmantel einer bedarfsgerechten Vergütung wieder ausschließlich hohe Sectioraten und unnötige Interventionskaskaden. Die notwendigen Vorhaltekosten werden nicht gesichert. Das hat rein gar nichts mit den erst jüngst im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Zielen für eine zukunftsfähige Geburtshilfe zu tun.“ Weder würden die Empfehlungen die im Koalitionsvertrag zugesicherte Eins-zu-eins-Betreuung berücksichtigen, noch sei ersichtlich, wie dem Teufelskreis des Fachkräftemangels in der Geburtshilfe begegnet werden soll.

Auch sei es ein Schritt in die falsche Richtung, zu Lasten der Versorgungssicherheit in der Fläche weiterhin die Zentralisierung geburtshilflicher Angebote in Ballungsräumen zu fördern, sagte Geppert-Orthofer. Politik und Verwaltung seien angehalten, eine gute geburtshilfliche Versorgung sowohl in der Fläche als auch in der Spitzenversorgung sicherzustellen. Die Empfehlungen der beauftragten Arbeitsgruppe seien diesbezüglich aber völlig unzureichend und könnten dieses Ziel nicht erreichen. Und auch hier die Kritik an der Zusammensetzung der Arbeitsgruppe – weder Hebammen noch Frauenärztinnen oder -ärzte würden mit am Tisch sitzen. 

Bündnis Gute Geburt

In Berlin hat sich direkt nach der Veröffentlichung der Kommissionsempfehlungen das „Bündnis Gute Geburt“ gegründet. Die fünf Gründungsorganisationen – Arbeitskreis Frauengesundheit, Mother Hood, Deutscher Hebammenverband, Deutscher Frauenrat, Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen – fordern konkrete Verbesserungen und einen grundlegenden Kulturwandel in der Geburtshilfe, der Mutter und Kind ins Zentrum rückt. Das Bündnis will dazu nicht nur Akteurinnen und Akteure in Gesundheitswesen und Politik ansprechen, sondern auch die Gesellschaft über den besonderen Wert einer Geburt unter respektvollen, menschenwürdigen und sicheren Bedingungen aufklären.

Man reagiere damit auf die anhaltenden Missstände in der Versorgung von Frauen und Familien rund um die Geburt und in den ersten Lebenswochen des Säuglings, hieß es zur Gründung. Ihre Bedürfnisse würden oftmals ignoriert. Das „Bündnis Gute Geburt“ appelliert an alle Verantwortlichen, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um schnellstmöglich Verbesserungen in der Versorgung herbeizuführen. Ziel müsse sein, (werdende) Mütter und Familien in den Mittelpunkt der Geburtshilfe zu rücken, sie wertzuschätzen und rund um die Geburt angemessen zu unterstützen. Entsprechende Strukturen und Angebote seien in Praxen, Kreißsälen, auf Wöchnerinnenstationen und während des Wochenbetts zum Wohle von Frauen und Familien zu schaffen. Auch die interprofessionelle Zusammenarbeit aller beteiligten Berufsgruppen sei zu verbessern.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 16-2022. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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