3 Fragen an den Geschäftsführer von Curaviva Dr. Markus Leser

12.10.2022, Dr. Stefan Arend, ProAlter
Interviews & Kommentare


 

Tariftreue, Bezahlung von Pflegekräften, Personalbemessungsverfahren, Fachkräftemangel und galoppierende Eigenanteile in vollstationären Einrichtungen – das sind nur einige der Themen, die Sozialwirtschaft, im speziellen die Pflegebranche in Deutschland zurzeit bewegen. Welche Themen beherrschen derzeit die Branche in der Schweiz?
Drei große Themenblöcke beschäftigen nach meiner Wahrnehmung die Einrichtungen in der Schweiz im Besonderen: Zunächst muss unbedingt unser Krankenversicherungsgesetz (KVG) reformiert werden, das mit Blick auf die Pflege noch sehr defizitorientiert ist und neue gerontologische Erkenntnisse ausblendet. So ist zwar die Finanzierung von Pflegeleistungen gesichert, aber Leistungen für Begleitung oder Betreuung – Fehlanzeige. Dann muss unsere neue Pflegeinitiative, die vom Volk angenommen wurde, auf nationaler und kantonaler Ebene Umsetzung finden. Da geht es darum, die Pflege selbst aufzuwerten und die entsprechenden Ausbildungsplätze zu schaffen sowie in die Ausbildung von Pflegekräften zu investieren. Und ohne bessere Arbeitsbedingungen wird dieses große Reformpaket, das mit einigen Milliarden Schweizer Franken veranschlagt ist, nicht gelingen. Auch die Finanzierung so genannter komplexer Pflegesituationen soll eine verlässliche Regelung finden. Und zuletzt, ganz aktuell, gibt es ähnlich wie in Deutschland das Problem der steigenden horrenden Energiekosten. Das Problem muss auch hier bei uns kurzfristig gelöst werden. Vor allem müssen Senioreneinrichtungen immer auch als systemrelevante Einheiten mitgedacht werden.

Die Suche und Anwerbung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Ausland ist in Deutschland – zum Teil mit großer staatlicher Förderung und Unterstützung – eine der Maßnahmen gegen den allgemeinen Fachkräftemangel. Gibt es solche Aktivitäten auch in der Schweiz?
Keine Frage, auch Schweizer Einrichtungen suchen im Ausland nach qualifizierten Mitarbeitenden, und einige Institutionen engagieren sich in diesem Sektor besonders stark. Aber öffentliche, staatliche Programme zur Rekrutierung im Ausland kenne ich nicht. Das wäre auch unter ethischen Aspekten nicht zu vermitteln. Anderen Ländern ihre Arbeitskräfte wegzunehmen, ist m.E. nationalstaatlicher Egoismus. In den Grenzgebieten, wie zum Beispiel in Basel, gibt es einen gewissen personellen Austausch über die Grenzen hinweg. Ich kenne Werbeanzeigen in Basel z.B. vom deutschen Detailhandel, die um Kunden werben und natürlich werben Schweizer Einrichtungen auch in Deutschland. Aber mit großangelegten Strategien hat das nach meinem Empfinden weniger zu tun. Es ist ein völlig normales Geschehen in einer Region, wo man über den Zaun schaut, was der Nachbar zu bieten hat und ob das vielleicht in die jeweiligen persönlichen Planungen passt.

In den Medien lesen wir von einem „Corona-Herbst“, auf den wir uns vorbereiten müssen. Auch die Politik erhebt vielerorten warnend die Finger. Wie sieht die Situation in der Schweiz, in Ihren Mitgliedseinrichtungen aus?
Im Herbst 2022 gehört für uns Corona zum Alltag, ist ein normales Infektionsgeschehen, so wie wir es von anderen Ereignissen und Erregern kennen. Die Einrichtungen müssen und können das handeln. Das ist eine ihrer Kompetenzen. Natürlich stehen wir und das Gesundheitswesen Stand-by, wenn sich zum Beispiel die Impfempfehlungen ändern oder andere Interventionen für einzelne Einrichtungen notwendig werden sollten. Aber allgemeine Vertretungsverbote oder das Abschotten der Heime, so wie in den ersten Phasen der Corona-Pandemie, dagegen wehren wir uns. Auch eine Impfpflicht für die Mitarbeitenden hat es bei uns nicht gegeben. Wie gesagt: Corona ist für uns alle zum jetzigen Zeitpunkt wirklich nicht schön, aber ein Stück weit gehört es nun zum normalen Pflegealltag.

 

Dr. Markus Leser (*1959), ist studierter Sozialpädagoge, Promotion 1992 in sozialer Gerontologie an der Universität Kassel bei Prof. Dr. Reinhard Schmitz-Scherzer, war in führenden Positionen der Altenhilfe in der Schweiz (Pro Senectute, Tertianum) tätig und ist seit gut 20 Jahren bei Curaviva – heute als Geschäftsführer - dem größten Heim-Verband der Schweiz. Dort vertritt er die Interessen von rund 1700 Einrichtungen (Wohnheime, Pflegeheime, teilstationäre Angebote) der Altenhilfe.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem ProAlter Newsletter 10-2022. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

 

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