Prof. Augurzky: Fallmenge bedeutet nicht mehr alles!

21.12.2022, Sven C. Preusker
Interviews & Kommentare

Prof. Dr. Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs „Gesundheit“ am RWI und Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung, spricht im Interview mit Klinik Markt inside über die zentralen Punkte der dritten Stellungnahme und Empfehlung der Kommission, über den Zeitrahmen für die Umsetzung und weitere Punkte, die für eine mögliche Umsetzung der Empfehlungen kritisch sind. Die Fragen stellte KMi-Chefredakteur Sven C. Preusker.

Klinik Markt inside: Prof. Augurzky, die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ hat mit ihrer dritten Stellungnahme und Empfehlung ambitionierte Vorschläge zum Umbau der stationären Gesundheitsversorgung in Deutschland vorgelegt. Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Punkte für diese so tiefgreifende Reform, an deren Entwicklung Sie ja maßgeblich beteiligt waren – und welchen Zeitrahmen sehen Sie für die Umsetzung?

Prof. Boris Augurzky: Zentrales Element ist, dass der Anreiz für ein Krankenhaus, eine hohe Fallzahl erreichen zu wollen, sinkt. Es soll eine ausgewogenere Balance zwischen Vorhaltung einerseits und Leistungserbringung andererseits geben. Anders als bisher bedeutet die Fallmenge dann für das Überleben eines Krankenhauses nicht mehr alles. Hinzu kommen die Versorgungsstufen und Leistungsgruppen, an die die Vorhaltebudgets geknüpft werden. Die Leistungsgruppen müssen dabei noch detailliert ausgearbeitet werden, was eine große Aufgabe für das kommende Jahr ist. Im Idealfall tritt die Reform zum 1.1.2024 in Kraft und die vorgesehene Konvergenzphase läuft bis 31.12.2028.

KMi: Jetzt werden ja im kürzlich beschlossenen Krankenhauspflegeentlastungsgesetz mit der geplanten Unterstützung für Pädiatrie und Geburtshilfe sowie den Hybrid-DRGs wichtige Reformschritte vorgezogen, die manch einer lieber in einer „großen Reform“ gesehen hätte. Warum diese Stückelung?

Augurzky: Die Stückelung hat mit der Arbeitsweise der Kommission zu tun. Sie hat aber auch damit zu tun, dass ein riesengroßer Entwurf, der am Ende alles enthält, viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Man müsste lange darauf warten. In kleinerer „Stückelung“ lässt sich dagegen schon früher in der Öffentlichkeit darüber diskutieren. Auch der wichtige öffentliche Diskussionsprozess nimmt Zeit in Anspruch. Je größer das Paket würde, desto breiter und länger anhaltend müsste der Diskussionsprozess werden.

KMi: Direkt nach Veröffentlichung des Papiers kamen kritische Stimmen aus den Bundesländern, speziell aus Nordrhein-Westfalen und Bayern, es hieß, man wolle keine planerischen Befugnisse nach Berlin abgeben. Wie können die Länder ins Boot geholt werden und was sind die größten Hürden auf dem Weg zum nachhaltigen Umbau der stationären Versorgung?

Augurzky: Wenn die Länder die Vorhaltebudgets nach der Gießkanne verteilen würden, erhielte jedes Krankenhaus zu wenig, um damit über die Runden zu kommen. Es muss daher im Interesse der Länder sein, die Vorhaltebudgets zu bündeln, sodass die Standorte, die sie erhalten, auskömmlich finanziert sind. Zur Bündelung braucht es jedoch Kriterien. Die Regierungskommission hat mit den Leveln und Leistungsgruppen einen Kriterienkatalog vorgeschlagen, die die Bundesländer nur noch aufgreifen müssen. Allerdings braucht es zur Bündelung der Kapazitäten eine Menge Investitionen: Standorte könnten zusammengelegt werden, um größere Einheiten zu bilden und damit ein höheres Level zu erreichen; Schwerpunkte könnten durch den Tausch von Leistungsgruppen entstehen; manch kleiner Grundversorger wandelt sich in ein Level Ii-Klinikum. Um diese vielen damit zusammenhängenden Investitionen stemmen zu können, empfiehlt die Regierungskommission eine Aufstockung und Fortführung des Strukturfonds.

KMi: Zentral für die angedachten Reformen wird ja auch ein Wandel in den Gesundheitsberufen sein, vor allem Pflegefachpersonen sollen mehr Befugnisse bekommen und mehr Verantwortung übernehmen können, interprofessionelle Zusammenarbeit ist ein zentraler Bestandteil der Reformüberlegungen. Sehen Sie da eine ausreichende Bereitschaft zum Beispiel auf Seiten der Ärzteschaft?

Augurzky: Die Bereitschaft wird kommen, falls sie nicht schon da sein sollte. Wir laufen auf einen immensen Fachkräftemangel zu. Wir erleben derzeit nur erste Vorboten davon. Die Ärzteschaft wird froh sein, wenn sie durch interprofessionelle Zusammenarbeit Unterstützung bekommt.

KMi: Einige Lobbygruppen auf Seiten der Leistungserbringer und der Kostenträger haben immer wieder kritisiert, dass sie nicht Teil der Regierungskommission sind – wie wird die Beteiligung da in Zukunft aussehen und denken Sie, dass trotz des kritisierten „praxisfernen“ Ansatzes der Kommission ein Konsens geschaffen werden kann, mit dem sich alle Player bei dieser so wichtigen Reform beachtet fühlen werden?

Augurzky: Die Regierungskommission erarbeitet Vorschläge und bringt neue Ideen in die Debatte. Dabei kommen einige Mitglieder aus der Versorgungspraxis; sie sind in der Patientenversorgung tätig. Wichtig ist, dass anschließend die verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen auf die Vorschläge einen kritischen Blick werfen, insbesondere hinsichtlich möglicherweise nicht bedachter unerwünschter Nebeneffekte bei ihrer praktischen Umsetzung, darunter auch ihres bürokratischen Aufwands, den sie erzeugen könnten.

KMi: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Dieser Beitrag stammt aus der Klinik Markt inside 24-2022. Erfahren Sie hier mehr über die Themen von Klinik Markt inside.

 

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