Im Desaster muss mutig, schnell und ohne Sicherung gehandelt werden

10.01.2023, Matthias Michael
Politik & Wirtschaft, Coronavirus

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Krisenmanagement gehört in Krankenhäusern zum Tagesgeschäft, es ist idealerweise professionell vorbereitet worden und läuft begleitet ab

Die Situation ist wie in der Notfallambulanz, wenn ein Schwerverletzter per Hubschrauber eingeliefert wird: Alle sind hoch konzentriert, sie arbeiten für den Patienten, tun alles, um ihn zu retten. Jeder hat seine Aufgabe. Das Team handelt ohne Sicherheit, das Ende: ungewiss. Im schlimmsten Fall stirbt der Verunglückte. Immerhin kann er sich darauf verlassen: Alle Beteiligten hier wissen genau, was sie tun, sie haben viel Erfahrung mit ähnlichen Fällen. Das Opfer ist in guten Händen. Wenn es diese Profis nicht schaffen, schafft es niemand. Das gleiche Prinzip gilt in Krisensituationen für die Organisation Krankenhaus: Auch hier sollten sich Experten abstimmen und den Schaden sofort begutachten, minimieren und das Notwendige tun, um den Organismus zu stabilisieren. Denn auch hier kann es um die bare Existenz gehen.

Krankenhäuser können und sollten ein exzellentes Krisenmanagement pflegen – ebenso wie Nahrungsmittelhersteller, Fluglinien und Tourismusunternehmen. Eigentlich benötigen alle Organisationen inzwischen profunde Kenntnisse im Umgang mit schwierigen Situationen, besonders im Falle zusätzlicher kritischer Öffentlichkeit. Klinika, in denen täglich Dutzende unterschiedlicher Zwischenfälle passieren können, sollten gelernt haben, ihre Reputation jederzeit professionell zu schützen.

Immer wieder fragen mich Mandanten und Interessierte, was man in Krisen grundsätzlich tun müsse. Dafür gibt es aber keine Schablone. Jede Krise ist anders. Jedes Mal sollten die Verantwortlichen und ihre Berater individuell nachdenken, entscheiden und handeln. Das Rezept für die eine Situation kann in der nächsten grundfalsch sein und zur Katastrophe führen. Aber es gibt sechs Prinzipien, die wir bei der Deutschen Gesellschaft für Reputationsmanagement formuliert haben und stets beherzigen.

Schnell sein,aber nicht vorschnell

Erstens, die Haltung: Hier gilt der Grundsatz: „Sei schnell, aber nicht vorschnell!“ In Krisensituationen ist Geschwindigkeit normalerweise ein Erfolgsmerkmal (mal abgesehen von einigen Kartellrechtsangelegenheiten, aber das ist eine andere Geschichte). Gleichzeitig muss alles, was man tut uns sagt, Hand und Fuß haben. Schließlich steht die Organisation nie so unter Beobachtung und Erfolgsdruck wie jetzt.

Zweitens gibt es für die Erstkommunikation der Krise nur eine Chance – diese Information kann man danach nicht mehr zurückdrehen und nochmals versuchen. Also: „Der erste Schuss muss sitzen!“ Schon jetzt sollte die störfallgeschüttelte Einrichtung signalisieren, dass sie die Dimension des Problems erkannt hat, dass sie darauf vorbereitet war, dass die richtigen Menschen an den entscheidenden Stellen den Störfall beheben. Damit dokumentieren die Verantwortlichen: Zwar ist die Krise noch nicht behoben, aber wir haben schon zuvor viel getan (Corporate Governance, Risikominimierung, Störfall-Vorbeugung, interne Abläufe, Alarmstufen, Krisenstabsexperten, Krisen-Übungen, Qualitätsverbesserungen, Nachhaltigkeit etc.) und sind dauerhaft mit allen denkbaren Kräften dabei, die Problemlage aus der Welt zu schaffen. Die erwünschte Wirkung: Die Krise ist bei diesen engagierten und kompetenten Leuten gleichsam in guten Händen.

Damit wären wir beim dritten handlungsleitenden Prinzip in Störfällen und Krisen: „Tue mehr, als die Menschen in dieser Situation von Dir erwarten würden!“ Auf diese Weise nimmt eine Organisation die Betroffenen, die Öffentlichkeit und alle interessierten Gruppen für sich ein. Die Organisation sollte sich mithin fragen, was von ihr erwartet wird und wie sie diese Erwartungen weit übertreffen kann.

In Krisen ist oft durchgreifendes, mitunter rücksichtsloses Verhalten angezeigt

Der vierte Krisenleitsatz lautet: „Greife frühzeitig auf kompetente Hilfe von außen zurück!“ Oftmals werden Experten und spezialisierte Firmen benötigt, um einen Störfall effektiv zu analysieren und zu beheben. Solche Krisenstabsmitglieder können Ingenieure sein oder Psychiater, Kriminalisten oder Feuerwehrleute, Hygieniker oder Bakteriologen, Medientrainer oder Krisenberater oder andere Koryphäen ihrer Fächer. Erfahrene Störfallmanager haben den Blick von oben auf das Geschehen und wissen, was die unterschiedlichen Anspruchsgruppen von der betroffenen Organisation erwarten. Zudem kennen Krisenberater die Produktionsbedingungen, die Tricks und die Selbstverständnisse der Medienschaffenden. Und sie können sich in die Beschäftigten, die Kunden, die Lieferanten und vor allem die Opfer und Geschädigten hineinver-setzen und entsprechend deren Erwartungen und bevorstehende Handlungen antizipieren. Reputationsexperten beraten Geschäftsführer in Augenhöhe, sie sagen ihnen auch, wenn ggf. die Position des Vorstandsvorsitzenden oder des Finanzchefs oder des Aufsichtsratsvorsitzenden durch die Folgen der Krise bedroht sind und wie sie nicht nur das Ansehen des Unternehmens, sondern auch ihre persönliche Reputation wahren oder verbessern können.

Fünftens gilt in Krisen: „Klotzen – nicht kleckern!“ Finanzielle Aspekte müssen in brenzlichen Situationen als nachrangig behandelt werden. Besonders dann, wenn es um Menschenleben geht. Jeder in die Bekämpfung der Störung gesteckte Euro zahlt sich hinterher hundertfach aus. Krisen sind nicht die Zeit für Krämerseelen.

Schließlich unser Credo Nummer sechs: „Oft ist durchgreifendes, mitunter verstörend rücksichtsloses Handeln angezeigt, um zum Erfolg zu kommen!“ Dieses sechste Postulat stößt bei vielen Menschen, die zuvor noch nicht mit Störfällen und Krisen zu tun hatten, auf Ablehnung. Sie wollen so rasant nicht handeln, weil sie sich dabei unsicher fühlen. Sie möchten jede Aktivität komplett unter Kontrolle haben und deshalb in der extrem ereignisreichen Krisenphase am liebsten gar nichts tun, nur zuschauen – oder nach Hause gehen. Aber in Krisen sind Macher gefragt, die mutig und ohne Sicherungsnetz handeln, auch wenn sie dabei unkonventionell vorgehen und alte Normen überspringen müssen.  

Um schnell und grundlegend die Ursache der Krise zu beheben und den Schaden maximal zu begrenzen werden Mimikry und Mikromanagement nicht geduldet. Insoweit widerspricht die Haltung eines professionell handelnden Krisenmanagers derjenigen von Sachstandswahrern und sonstigen Zögerern und Zauderern. Der Krisenmanager muss sich gegen Duckmäuser, Ignoranten, Höflinge und Bürokraten durchsetzen. Dazu benötigt er die Unterstützung der Spitze der Organisation. Sie sollte vom richtigen Vorgehen überzeugt und von der richtigen Haltung beseelt sein.  

Nachfolgend einige Beispiele und Erkenntnisse aus mehr als 20 Jahren Risikominimierung, Störfall- und Krisenmanagement in Krankenhäusern.

Operation mit Todesfolge

Eine ansonsten gesunde junge Frau muss sich in einem mittelgroßen Klinikum in Ostdeutschland einer Bauchoperation unterziehen. Nach dem Eingriff ist sie tot. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den zuständigen Chirurgen, und die Angehörigen verklagen ihn obendrein zivilrechtlich. Der Fall ist medizinisch kompliziert, unglückliche Umstände haben sich bei dem Eingriff verkettet und zur Katastrophe im OP geführt. Die Wahrscheinlichkeit dieses Ablaufs bei einer jungen und gesunden Patientin tendiert gegen Null. Aber keine Operation bleibt ohne Risiko.

Zwei Gutachter, einer bestellt vom Gericht, einer beauftragt von der Nebenklage, waren zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Das Nebenklagegutachten sah eine mögliche Verantwortung des Operateurs, wogegen der vom Gericht bestellte Gutachter trotz des tragischen Verlaufs erkannte: Der Chirurg hat medizinisch-fachlich korrekt gearbeitet. Im Sinne der Anklage sei er unschuldig, weil ihm kein Vorsatz oder eine Fahrlässigkeit oder ein medizinisches Fehlverhalten nachzuweisen sei – trotz des tragischen Verlaufs der Operation.

Richter sind medizinische Laien – es kommt im Prozess auch auf die Diktion und die Semantik an

Wir wurden vor dem ersten Tag der Hauptverhandlung eingeschaltet. Was haben wir getan? Die Situation: Das Strafgericht muss entscheiden und hat zwei Gutachten mit unterschiedlichen Ergebnissen vorliegen. Viel würde vom Verhalten des Angeklagten vor Gericht abhängen. Wir haben ihm empfohlen, im Prozess ausführlich auszusagen. Dabei kam es darauf an, dass die Juristen tatsächlich verstehen, in welcher Situation der Chirurg sich bei der Operation befunden hat, welche außergewöhnlichen Umstände plötzlich eintraten, welche Entscheidungen er treffen musste und was dann jeweils passierte. Nun sind die Richter medizinische Laien – sie kennen die Definitionen der ärztlichen Fachbegriffe nicht. Deshalb ging es darum, eine verständliche Diktion zu nutzen. Dazu zählten auch Vergleiche und Metaphern, um den Menschen im Gerichtssaal das Geschehen während des Eingriffs in Bildern zu veranschaulichen.

Nicht nur der Inhalt der Einlassung war wichtig, sondern auch die Form. Der angeklagte Chirurg sollte sicher, ruhig, konzentriert und im höchsten Maße kompetent erscheinen. Er musste also auf alle plausiblen Fragen des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage sachlich, korrekt und verständlich antworten können. Zu allem Überfluss konnten auf dem Weg ins Gerichtsgebäude oder in den Verhandlungspausen auch Medienvertreter Fragen stellen oder den Angeklagten mit ihren Kameras bedrängen.

All das haben wir durchgespielt. Am Ende eines langen Trainingstages fühlte sich der Chefarzt gut vorbereitet. Wir haben ihm und seiner Anwältin die Ergebniszusammenfassung des Trainings mit den vielfältigen Tipps und Formulierungen nochmals zukommen lassen. So konnte er nachlesen, was wir geübt hatten. Darüber hinaus haben wir auch sein Verhalten gegenüber den Angehörigen und nach dem Prozess besprochen. Das hat ihm zusätzlich Sicherheit gegeben.

Der Chefarzt ist freigesprochen worden. Damit hatte auch die angekündigte Zivilklage der Angehörigen keine Chance mehr auf Erfolg. Der Mediziner war komplett rehabilitiert und konnte seinen Beruf weiter erfolgreich ausüben.

Standortschließung

Fast alle Veränderungsprozesse in einem Klinikum haben Störfall- und Krisenpotenzial. Das betrifft z.B. Standortschließungen. Jedes Jahr werden in Deutschland etliche Krankenhäuser aufgegeben, weil ihr Betrieb wirtschaftlich nicht mehr darstellbar ist. Viele Betreiber wollen ihre Krankenhausgebäude nicht mehr sanieren, sondern neu bauen und dabei möglicherweise mehrere Standorte durch ein zentrales Klinikum ersetzen. Das ist in Zeiten von Ambulantisierung, Fallpauschalen, Qualitätsrichtlinien, Zentrenbildungen und Mengenvorgaben vielerorts erforderlich, damit Krankenhäuser ihre Angebote weiterentwickeln oder überhaupt aufrechterhalten können. Die Klinikbetreiber müssen beachten: Solche grundlegenden Veränderungen verlangen viel mehr Kommunikation in den nächsten Monaten und Jahren als zuvor. Deshalb müssen die Geschäftsführungen dafür erheblich mehr ihrer Zeit einplanen.  

Wenn in einer Kleinstadt oder einem Mittelzentrum ein Krankenhaus geschlossen werden soll, gibt es oft Proteste: Lokalpolitiker geben Medieninterviews, Gemeinderatsfraktionen votieren gegen die Schließung, Bürgerinitiativen gründen sich, Bürgerbegehren und -entscheide werden angeschoben, Bewohner schreiben Leserbriefe, niedergelassene Mediziner melden sich zu Wort usw.

Lokal-, Landes- und Bundespolitiker kennen sich häufig nicht aus im Gesundheitswesen

Deshalb sollte der Klinikbetreiber frühzeitig und ausführlich über die Notwendigkeit der Standortschließung informieren, z.B. durch Medienmitteilungen, Newsletter, Masterpläne, Projektzusammenfassungen, Bürgerinformations-Veranstaltungen, Zeitpläne, Videos, Statements der Geschäftsführung und der politisch Verantwortlichen u.V.m. Es geht darum, die Menschen in der Umgebung gründlich aufzuklären über die Notwendigkeit und Begründung dieser unpopulären Maßnahme, die sich verändernde Versorgungssituation in der Region, womöglich die Verbesserung der Versorgungsqualität durch geeignete Kompensationen oder durch den Neubau eines Zentralkrankenhauses außerhalb der Stadt.

Bei diesen kommunikativen Aktivitäten darf nicht vorausgesetzt werden, dass sich die jeweiligen Anspruchsgruppen im Gesundheits- bzw. Krankenhauswesen auskennen. Immer wieder erleben wir: Auch Bürgermeister, Landräte, Fraktionsvorsitzende, Landtags- und Bundestagsabgeordnete sind über viele Zusammenhänge nicht im Bilde und interpretieren Abhängigkeiten, Zahlen, Prognosen und Entwicklungen deshalb falsch. Manchmal lassen sich Kritiker auch leiten von persönlichen Befindlichkeiten und ganz egoistischen wirtschaftlichen Interessen.

Nach Störfällen geht es auch darum, die Deutungshoheit über das Thema zu wahren

Der Prozess einer Standortschließung oder einer Entwicklung eines Zentralklinikums dauert Jahre. Hier sind Geduld, Beharrlichkeit und manchmal auch ein dickes Fell wichtig. Das Ziel des Klinikbetreibers sollte sein, die Deutungshoheit über sein Thema, nämlich die Standortschließung oder den Neubau, jederzeit zu wahren. Dafür sind Transparenz, Diskussionsfreude und ein strategisches Kommunikationsverständnis notwendig. Mitunter muss auch klare Kante gezeigt werden. Wenn beispielsweise Kritiker immer wieder falsche Tatsachen behaupten oder Medien diese Falschdarstellungen sogar verbreiten, sollten die Krankenhausgesellschafter einschreiten, die falschen Darstellungen löschen und richtigstellen lassen sowie den jeweiligen Stänkerer in die Schranken weisen. Er muss wissen: Sein Verhalten ist deliktisch und insoweit justiziabel. Er kann dafür rechtlich jederzeit belangt werden.

Vor solchen Maßnahmen schrecken Organisationen häufig zurück. Die Folge: Die Nörgler finden Gehör und mithin Anerkennung. Das stärkt ihre Motivation zum Weitermachen und zu schärferen Attacken. Gerüchte schießen ins Land, die Stimmung unter den Beschäftigten im Klinikum sinkt, die Menschen sind verunsichert, die Medien berichten über die Vorhaltungen, schließlich gipfelt die Auseinandersetzung in persönlichen Angriffen – die Krankenhausgesellschafter wirken hilflos, agieren ohne Mut und verharren in der Defensive. Sowohl sie persönlich als auch der Klinikbetreiber erleben, was Reputationsverluste sind und welche Konsequenzen sie nach sich ziehen.

Außerdem sollten bei solchen langwierigen Prozessen Zuständigkeiten geklärt, ein Veränderungsgremium (z.B. eine Taskforce Neubau) und ggf. auch eine Ombudsstelle etabliert werden. Das Gremium dient als Ansprechpartner für alle Belange der Umstrukturierung. Mitunter ist auch ein Krisenstab notwendig, der akute Beschlüsse trifft, um Störfälle zu beheben. Die Geschäftsführung sollte sowohl im Veränderungsgremium als auch im Krisenstab vertreten sein, damit Entscheidungen dort getroffen und umgehend umgesetzt werden können.

Listerien

In jedem Krankenhaus kann es zu Listerien-Befällen kommen. Besonders bei Altbauten muss mit den Bakterien gerechnet werden, und zwar vor allem im Wasser. Damit aus einem solchen Störfall keine Krise wird, sollte viel unternommen werden, um diese schwierige Situation hausintern zu bewältigen, ohne dass die Medien darüber berichten.

Den Unterschied zwischen einem Störfall und einer Krise definieren wir bei der Deutschen Gesellschaft für Reputationsmanagement genau so: Ein Störfall kann intern aus der Welt geschafft werden. Hingegen sprechen wir von einer Krisensituation, wenn kritische Öffentlichkeit hinzukommt.

Patienten beschweren sich oftmals, wenn nicht ausführlich mit ihnen gesprochen worden ist

Bei einem Listerienbefall ist Eile geboten. Die Patienten müssen sofort geschützt werden. Erstens sind Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen notwendig, zweitens müssen die Patienten in nicht befallene Teile des Krankenhauses oder in andere Häuser verlegt werden. Sollten Patienten bereits an Listeriose erkrankt sein, empfehlen sich ausführliche Gespräche mit den Betroffenen, so dass sie Verständnis für die Situation entwickeln und Maßnahmen unterlassen, die das Klinikum zusätzlich schädigen könnten. Den insoweit Geschädigten muss erläutert werden: Das Krankenhaus tut alles, was erwartet werden kann (und noch mehr), damit die Listerien sofort und dauerhaft eliminiert werden – hier wird umfassend, konsequent und schnell gehandelt.

Selbstverständlich müssen die Patienten bei ihrer Verlegung über die Verunreinigungen und deren (erfolgreiche) Bekämpfung informiert werden. Wenn aber durch Medienberichte auch die Öffentlichkeit von Listerien im Krankenhaus erfährt, werden die Bürger das ganze Klinikum meiden, darüber sollten sich die Verantwortlichen im Klaren sein und das Störfallgeschehen deshalb priorisieren.

Corona-Todesfälle

Ob ein Patient an oder mit Corona verstarb, ist medizinisch nicht einfach zu diagnostizieren. Der Nachweis, ob die Patientin oder der Patient das Virus schon vor dem Krankenhausaufenthalt im Körper trug oder sich erst in der Klinik angesteckt hat, gilt ebenfalls nicht als trivial. Wichtig bleibt in solchen Fällen: Das Krankenhaus kann seine Qualitätskriterien, seine entsprechenden Standards, Zertifizierungen und Maßnahmen sowie sein ausgebildetes und engagiertes Hygienepersonal nachweisen. Wenn trotzdem überdurchschnittlich viele Patienten im Klinikum an Corona erkranken, müsste das Krankenhaus schnellstens reagieren und die Hygienemaßnahmen sowie die Zahl der Tests, die Kontaktbeschränkungen, die Einzelzimmerbetreuung und die Isolierung der Coronakranken weiter verschärfen oder Patienten gegebenenfalls in ein anderes Klinikum verlegen lassen.

In einzelnen Fällen, wenn ein Fehler des Klinikums nahe liegt, sollte versucht werden, die Angehörigen in Gesprächen einzubeziehen und gemeinsame Lösungen mit ihnen zu entwickeln, so dass sie sich nicht an die Bildzeitung oder RTLexplosiv wenden. Denn negative Medienberichterstattung führt oft zu vielfältigen Friktionen, die eine Spirale nach unten in Gang bringen können: Kritik in den sozialen Medien; Gerüchte; weitere ähnliche Fälle werden publik; Zweit-, Dritt-, Viertberichterstattung über den auslösenden Fall sowie über weitere Kritikpunkte; erhöhte Fluktuation im Krankenhaus; Unzufriedenheit; Personalmangel; öffentliche Auseinandersetzung zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung; sinkende Patientenzahlen und Betriebserlöse; Reputationsschaden; wirtschaftlicher Niedergang… Wenn sich ein solcher Sog immer weiter verstärkt, kann am Ende der Ruin der Organisation stehen.

Deshalb sind in solchen kritischen Situationen auch mitunter besondere Maßnahmen notwendig. Wenn beispielsweise ein erster Journalist gezielt anfragt, kann er gebeten werden, ausnahmsweise einmal nicht zu berichten, die „Medienstory“ ist möglicherweise nämlich anders gelagert, als er oder sie dachte. Journalisten sind auch Menschen, und als solche sind sie plausiblen Argumenten gegenüber aufgeschlossen. Man sollte allerdings auch wissen, wie das Selbstverständnis, die Produktionsbedingungen, die Standards sowie die Marktsituation in der Medienwelt und zudem die Ziele und die Herangehensweise der Journalisten funktionieren. Nur so kann man auf Augenhöhe mit Redakteuren und Reportern sprechen und ihnen eine Notlage erklären, die sich erheblich verschlimmern würde, wenn Medienberichte Öl ins Feuer gössen.

Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen

Wenn eine Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts beispielsweise eines Finanzbetrugs, einer Unterschlagung, einer Bestechung oder eines Diebstahls gegen Verantwortliche eines Klinikums ermittelt, sind einige Besonderheiten zu berücksichtigen. In der Regel kann die verdächtigte Organisation dann nicht proaktiv über Details der Vorwürfe kommunizieren. Vielmehr werden standardisierte Fünfsatz-Antworten veröffentlicht. Darin bestätigt das Management zwar die Ermittlungen, sagt aber nichts über seine eigenen Erkenntnisse dazu, um sich nicht zu belasten oder einer kritischen Berichterstattung weiteres Futter zu geben.

Sofern Staatsanwälte Ermittlungen und Verdachtsmomente öffentlich preisgeben, müssen sie entsprechend schwerwiegende Hinweise vorliegen haben. Denn allein die Ermittlungen und ggf. die Durchsuchungen sowie die behördliche Kommunikation darüber schädigt bereits die Reputation der betroffenen Organisation, in diesem Fall des Klinikums. In unserer Mediokratie werden Menschen, gegen die staatlicherseits vorgegangen wird, mitunter vorschnell vorverurteilt. Diese Gefahr besteht, wenn mehrfach und über einen längeren Zeitraum immer wieder in dieser Weise berichtet wird, ohne dass sich die verdächtigte Organisation bzw. deren Führung wehren kann.

In solchen Fällen helfen einige Maßnahmen: Erstens sollten Anspruchsgruppen des Klinikums die medizinische und pflegerische Qualität, die Erfolge und die Besonderheiten des Krankenhauses kennen und kommunizieren. Auch könnten vergleichbare Fälle und Praktiken von anderen Kliniken dargelegt werden, so dass die hier in Rede stehenden Vorwürfe ihre Einmaligkeit verlieren. Drittens sollte die Klinikleitung erstens die Vorwürfe auch intern untersuchen und zusätzlich möglicherweise ein externes Gutachten über den benannten Verdacht beauftragen. All dies dokumentiert: Die Geschäftsführung handelt, sie ist an der schnellen Aufklärung der Vorwürfe interessiert und schaltet kompetente unabhängige Stellen ein.

Unabhängige Gutachten können Licht ins Dunkel von Verwaltungsabläufen bringen

Wie aber sollte die Organisation mit den Beschäftigten umgehen, gegen die ermittelt wird? Einerseits gilt der Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten. Das bedeutet: Solange es kein rechtskräftiges Urteil gegen einen Menschen gibt, gilt er in unserem Rechtssystem als unschuldig. Zweitens aber sollte das Klinikum dem Verdacht entgegentreten, es habe nicht gehandelt und den Verdächtigen sogar die Möglichkeit gegeben, Indizien und Beweise beiseitezuschaffen. Deshalb wird es die entsprechenden Personen möglicherweise von ihrer Arbeit freistellen, bis die Gefahr der Beweisbeseitigung nicht mehr als gegeben erscheint.

Die Kommunikation des Klinikums sollte in dieser Zeit nicht ruhen. Es muss möglich sein, weiter in Form von Eigenpublikationen und von Medienarbeit und auch mittels Veranstaltungen über das Tagesgeschehen zu berichten – nur eben nicht über den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens. Aber der Austausch mit den Verantwortlichen für die Ermittlungen sollte jederzeit sachlich, professionell und auch mit persönlichen Besuchen stattfinden. Wenn die Ermittler spüren: Das Klinikum unterstützt uns, es agiert integer und überaus kooperativ, nichts wird vertuscht –, dann lassen die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in aller Regel auch über die öffentliche Kommunikation mit sich reden und gehen nicht vorschnell mit Ermittlungsdetails an die Öffentlichkeit. Es ist wie im ganzen Leben: Wir haben es mit anderen Menschen zu tun – wir sollten freundlich, vorausdenkend und ehrlich mit ihnen umgehen. Dann werden sie auch fair zu uns sein: Quit pro quo.

Zuweiserprobleme

Wenn ein Klinikum versäumt hat, seine Zuweisenden zu pflegen und an sich zu binden, wird es wirtschaftliche Schwierigkeiten erleben. Denn die niedergelassenen Haus- und Fachmediziner empfehlen ihren Nicht-Notfall-Patienten oft gezielt eine bestimmte Krankenanstalt, in die sie dann die Erkrankten einweisen. Sofern das örtliche Klinikum bei den Niedergelassenen ein schlechtes Ansehen hat, muss es womöglich mittelfristig um seine Zukunft fürchten. Dagegen gibt es eine Strategie mit hilfreichen Maßnahmen.

Leitende Mediziner sollten das Vertrauen der Niedergelassenen beständig pflegen

Zunächst sollten die leitenden Klinikmedizinerinnen und ihre männlichen Kollegen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie für die Beziehungen zu den Zuweisern verantwortlich sind. Dann geht es darum, die Zahlen zu analysieren: Welche Zuweiserpraxen gibt es in der relevanten Umgebung? Wer weist wie zu? Welche Gründe könnte es für das jeweilige Verhalten der Praxen geben? Was können die Medizinerinnen und Mediziner tun, um das Vertrauen ihrer selbstständigen Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen und sie zu begeistern?

All das trainieren wir in Workshops mit Chefärztinnen und Chefärzten. Hier werden Ziele definiert, Ressourcen festgelegt, Strategien entwickelt, Maßnahmen besprochen und die Kommunikation mit den Zuweisenden geübt, z.B. in Rollenspielen. Außerdem wird dementsprechend ein Aktivitätenprogramm für die nächsten Monate entwickelt. Nach Ablauf dieser Zeit evaluieren wir, was umgesetzt wurde, welche Erlebnisse und Erfolge es dabei gab und was man daraus für die Zukunft ableiten kann. Nach einem weiteren halben Jahr kann abermals gemeinsam geprüft und justiert werden. Auf diese Weise professionalisiert das Klinikum sein Zuweisermanagement, und das leitende medizinische Personal gewinnt Sicherheit in der Beziehungspflege mit den Zuweiserpraxen.

Im Umgang mit den Niedergelassenen ebenso wie im Umgang mit der Öffentlichkeit ist das höchste Gut die Glaubwürdigkeit. Denn vom glaubwürdigen Reden und Handeln hängt das Vertrauen der Menschen ab. Treffend hat Dr. Alfred Herrhausen, ehemaliger Vorstandssprecher der Deutschen Bank, den Anspruch in ein einfaches Diktum gefasst: „Wir müssen das, was wir denken, auch sagen. Wir müssen das, was wir sagen, auch tun. Und wir müssen das, was wir tun, dann auch sein.“

 

Prof. Dr. Matthias Michael, Gründer der Deutschen Gesellschaft für Reputationsmanagement und der Agentur Dr. Michael & Partner, berät und unterstützt Krankenhausträger seit mehr als 20 Jahren in allen Fragen der Reputation, der Strategie, der Kultur, der Kommunikation, des Services und des Störfall- und Krisenmanagements

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 01-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

 

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