Interview: Vergütungssysteme lösen keine Strukturprobleme

23.02.2023, medhochzwei
Politik & Wirtschaft, Interviews & Kommentare

Prof. Andreas Beivers, Studiendekan für Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius in München, beantwortet in diesem Interview Fragen zu den Finanz- und Strukturreformplänen von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) sowie zu den kürzlich veröffentlichten Auswirkungsanalysen der Deutschen Krankenhausgesellschaft und des Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege zu den Reformvorschlägen der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“. Inzwischen wurde bekannt, dass auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Folgen der vorgeschlagenen Reformpläne wissenschaftlich analysieren lassen wird, eine entsprechende Ausschreibung läuft. Die Fragen stellte medhochzwei-Redakteur Sven C. Preusker. Es handelt sich bei diesem Text um eine redaktionell überarbeitete und gekürzte Version eines Video-Interviews, das in voller Länge hier verfügbar ist.

medhochzwei: Prof. Beivers, nachdem die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung im Dezember vergangenen Jahres ihre dritte Stellungnahme vorgelegt hat, ist schon viel darüber diskutiert worden, was eine stringente Umsetzung der Vorschläge für die stationäre Versorgung und somit die Krankenhäuser bedeuten würde. Nun liegen erste Auswirkungsanalysen vor – unter anderem von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, beauftragt für die Bundesebene, sowie vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, beauftragt für das Bundesland Bayern. Diese ersten Analysen zeigen, dass bei strikter Anwendung der vorgeschlagenen Versorgunglevel und Leistungsgruppen eine erhebliche Umschichtung der Patientenströme stattfinden würde sowie eine bedeutende Anzahl von Krankenhäusern die Vorgaben nicht erfüllen und somit in das Meta-Level Ii fallen würde, welches ja eher eine Art aufgebohrtes MVZ darstellt als ein Krankenhaus im bisherigen Sprachgebrauch. Wie schätzen Sie die Auswirkungsanalysen ein, die ja selbst auf große Unwägbarkeiten hinweisen?

Prof. Andreas Beivers: Das ist ein Thema, was uns gerade alle bewegt. Die Gutachter arbeiten methodisch sauber und weisen auch auf die Limitationen hin. Ich glaube, man kann die Ergebnisse schon nutzen, weil sie ein ganz guter Benchmark sind. Bevor ich aber dazu weiter etwas sage, möchte ich noch etwas einschieben. Ich glaube, das ist ganz wichtig, auch um ein bisschen Ruhe in die aktuelle, durchaus aufgeheizte Diskussion zu bringen: Bis dato liegen ja nur Vorschläge einer Regierungskommission von Expertinnen und Experten vor und es ist noch kein Gesetzesentwurf da, auch noch kein Referentenentwurf. Das heißt, wir sind jetzt noch in einem eher normativen Bereich, und man wird dann im weiteren Prozess sehen, wie das Gesetz aussieht und was wirklich die Auswirkungen sein werden.

Der Casus Knacksus, und da kommen wir dann ja vielleicht später noch drauf zu sprechen, sind sicher Öffnungsklauseln und vor allem regionale Öffnungsklauseln. Trotzdem ist es interessant, das mal anzugucken. Zum einen wird es für viele Häuser bedeuten, dass sie beispielsweise in ein neues Versorgungslevel Ii fallen, wo ja nicht so ganz klar ist, ist das eine Art Hybrid, ist es ein MVZ plus? Natürlich ist da einiges dazu geschrieben ¬– aber im „Doing“, was bedeutet es dann wirklich? Denn Ambulantisierung und ambulante Leistungserbringung sind ja immer noch eine Art Worthülsen, die irgendwie im Raum stehen. Und da brauchen wir schon noch mehr Granularität, das wünsche ich mir als Gesundheitsökonom. Und es bedeutet natürlich auch für andere Versorgungsstufen, die heute Leistungen erbringen nach der Krankenhausplanung der Länder, dass sie einem neuen Level zugeordnet werden und Leistungen eventuell nicht mehr erbringen dürfen. Da kann man zum Beispiel über Tauschen diskutieren. Aber natürlich geht es auch um Tragfähigkeitsgefährdung, geht es um Veränderungen. Veränderungsprozesse sind immer schwierig. Wenn wir die gesamte Versorgung in Deutschland neu strukturieren wollen, ist klar, dass dieser Umwälzungsprozess nicht von heute auf morgen geschehen kann und dass wir eine Konvergenzphase brauchen. Dass wir auch Öffnungsklauseln in den Regionen brauchen, Abweichungen brauchen, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.

Aber ich finde es durchaus sinnvoll, jetzt mal zu simulieren, was kann das bedeuten, und keine Panik zu machen, sondern vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse und dem Bewusstsein um die Limitationen noch mal genauer hinzuschauen. 

medhochzwei: Auf die Finanzierungskomponente der Reformvorschlags gehen die Analysen nicht ein – Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, wies kürzlich darauf hin, dass mit der Einführung von erheblichen Vorhaltekostenanteilen in der Krankenhausvergütung hohe zweistellige Milliardenbeträge auf die Krankenhäuser verteilt würden. Es wäre es eine vertane Chance, wenn damit keine bedarfsorientierte Krankenhausplanung im Sinne eines geordneten Strukturwandels erfolgen würde, so Hecken. Wie schätzen Sie die Bedeutung der Finanzierungskomponente für einen Erfolg der Reform ein?

Beivers: Ja, das ist ganz entscheidend. Aber da sind noch viel, viel mehr Unwägbarkeiten drin. Da ist zum einen das, was die Regierungskommission vorschlägt, mit Vorhaltekosten und dann die Residual-DRG, die noch übrigbleiben. Das soll ja laut der Eckpunkte der Regierungskommission erst mal Nullsummenspiel bleiben. Worüber man sich ja noch gar nicht ausgesprochen hat, wo aber eigentlich des Pudels Kern liegt, ist ja die duale Finanzierung ¬– über die Investitionskosten-Finanzierung und wie es damit weitergehen soll wird ja noch gar nicht gesprochen. Man sollte das sinnhafterweise aus einem Guss machen. Die Vorhaltekosten-Finanzierung gänzlich von der Diskussion um weitere Fördermittel abzugrenzen halte ich für unlogisch, es ist aber natürlich eine juristische Herausforderung. 

Das sieht man auch, wenn wir zum Beispiel nach Dänemark schauen, die ja diesen Prozess schon hinter sich haben und einen Transformationsprozess in dieser Art gegangen sind. Man wird erstmal mehr Geld in die Hand nehmen und investieren müssen. Da, glaube ich, dürfen wir uns nicht anlügen. Die Betriebskosten werden sich mittelfristig vielleicht auch auf einem anderen Niveau einpendeln, ebenso die Vorhaltekosten.

Dieser Transformationsprozess, der wird Mehrkosten verursachen, eine Restrukturierung bedeutet mittelfristig Mehrkosten. Und erst langfristig haben wir da einen Return on Investment und Skaleneffekte, die wir ja auch erhoffen, sowohl in der Qualität, aber auch Skaleneffekte beim Personal und vieles andere mehr. 

Ich stutze auch, dass es keine Vorhaltekosten-Finanzierung geben soll für die Level Ii-Häuser. Diese sollen ohne Vorhaltekosten klarkommen, nur mit Tagespauschalen. Da würde ich mal ein Fragezeichen dahinter setzen. Denn wenn wir wirklich sagen, wir brauchen neue Versorgungsstrukturen, wir brauchen Umwandlung von heutigen Krankenhäusern in neue ambulante Versorgungsstrukturen, dann brauchen wir dafür ja eine sehr gute ambulante Nachsorge-Infrastruktur, Case Management und Entlassmanagement. Diese ambulante Infrastruktur wird Investitionen brauchen. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob man da ohne Vorhaltekosten und ohne investive Kosten auskommt. Von da her glaube ich, wird das insgesamt noch viel, viel spannender – und eins hat die Empirie gezeigt: man muss aufpassen, dass man nicht einen Fehler wiederholt – dass die Krankenhaus Landschaft einer Restrukturierung bedarf, das ist ja bekannt, das war schon in den 90ern bekannt. Da hat man das DRG-System eingeführt, um über ein Vergütungssystem Strukturprobleme zu lösen. Das ist nicht aufgegangen, und es ist auch nicht günstiger geworden damit. 

Man geht jetzt einen ähnlichen Weg, auch wenn der Kommissionsvorschlag einiges mehr an Strukturkomponente beinhaltet. Man versucht, durch ein angepasstes Vergütungssystem Strukturprobleme zu lösen. Es ist sicherlich besser als bei DRG 1.0, aber allein Anpassungen des Vergütungssystems, und wenn sie noch so strukturgetragen sind, werden Strukturprobleme vor Ort niemals lösen. Und es wird meistens auch nicht dazu führen, dass es günstiger wird. Das sollte man aus der Historie gelernt haben.

medhochzwei: Prof. Beivers, in einem ersten Kommentar von Ihnen zu den Vorschlägen in der Zeitschrift „Klinik Markt inside“ im Dezember 2022 schrieben sie, dass Gesundheit vor allem auch eine wichtige, regionale Aufgabe sei und auch bleibe – ein Punkt, der auch in vielen Reaktionen, vor allem der Bundesländer, auf die Reformvorschläge zum Tragen kam. Welche Möglichkeiten sehen Sie, diese Diskrepanz zwischen strengen, bundesweiten Planungsvorgaben und regionalen Unterschieden und Besonderheiten zu überbrücken?

Beivers: Ja, das ist genau der Spannungsbogen, in dem wir uns immer wieder befinden. Wir brauchen ja schon irgendwelche bundeseinheitlichen Vorgaben. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum sollten die Kriterien für eine gute Hüft-TEP in Schleswig-Holstein andere sein als in Bayern? Die Anatomie der Menschen ist im Grunde genommen relativ ähnlich und die Kriterien für eine gute Medizin sollten auch ähnlich sein. Natürlich machen bundeseinheitliche Kriterien Sinn, für diejenigen Sachen, die eben überall durchgeführt werden müssen. Das heißt, es wird immer ein Spannungsbogen geben zwischen „was für Vorgaben brauchen wir auf Bundesebene und was und wie setzen wir vor Ort in den Regionen um?“

Die Landschaft ist ganz heterogen und Gesundheit ist eine regionale Aufgabe und sie muss auch vor Ort umgesetzt werden. Und vor allem um Populismus zu vermeiden, müssen Bürgerinnen und Bürger vor Ort auch mitgenommen werden in diesem Prozess. Das heißt, ich glaube, wir müssen gucken, wir brauchen bundeseinheitliche Vorgaben und dann müssen die Regionen diese adaptieren, müssen gucken, was geht, und dann muss man in einer Art Clearingstelle sagen „Was ist unser Konzept und wo können wir begründen, warum wir das nicht umsetzen können? Was sind die Effekte?“

Ich glaube, da müssen wir jetzt diskutieren, wie wir vor dem Hintergrund bundeseinheitlicher Kriterien regionale Lösungen finden. Und das ist viel Arbeit, das ist kleinteilige Arbeit. Und ich denke wir müssen uns diese Arbeit machen.

medhochzwei: Ein immer im Vordergrund stehender Faktor ist der wachsende Personalbedarf und -mangel in der Gesundheitsversorgung. Werden die geplanten Reformen da Abhilfe schaffen können oder müssen noch weitere Schritte folgen, um in Zukunft eine auch aus dieser Sicht bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten?

Beivers: Dass wir jetzt zu wenig Leute haben, ist ein Problem, was vor 30 Jahren an der Fertilität lag. Die Babys, die vor 30 Jahren nicht geboren wurden, die können wir jetzt nicht herzaubern. Man versucht ja, Kapazitäten zu bündeln und damit Skaleneffekte zu generieren, und zwar auch im Personal. Man versucht zu ambulatisieren, um dort auch Personal zu entlasten, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie attraktiver zu machen, den Beruf attraktiver zu machen. Die Frage wird sein, ob die Bürokratie, die dahintersteht, es schafft, bis das umgesetzt wird, dass das wirklich am Ende dann auch ankommt in den einzelnen Einrichtungen.

Deswegen brauchen wir jetzt einen runden Tisch vor Ort mit den Menschen, es muss ja das einzelne Krankenhaus operativ umsetzen. Das sind ja ganz konkrete Fragestellungen in den einzelnen Häusern und da muss man eher mehr Freiheiten, mehr Flexibilität schaffen, um eben flexible Konzepte anpassen zu können.

Man muss versuchen, mit den bestehenden Ressourcen die besten Ergebnissen zu erreichen. Und da brauchen wir eben Spitzfindigkeit. Dieses Problem wird nur mit einem Portfolio an Maßnahmen zu lösen sein, sei es mit ausländischen Pflegekräften, sei es mit mehr Gewinnung von Pflegefachkräften bei den jungen Leuten ¬– wobei das auch ein Phantomdiskussion ist, überall herrscht Fachkräftemangel. Wenn wir die sozialen Bereiche gegeneinander ausspielen – und da rede ich noch gar nicht über die Industrie ¬– dann kommen in diesem Land auch nicht weiter.

medhochzwei: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 04-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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