Forderungen nach deutlichen Anpassungen an Krankenhaus-Reformvorschlägen werden lauter

22.02.2023, Sven C. Preusker
Politik & Wirtschaft, Krankenhaus

Nachdem zuerst das Bundesland Bayern und kurz darauf die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) Auswirkungsanalysen zu den Vorschlägen und Empfehlungen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung zu einer grundlegenden Reform der Krankenhausvergütung vorgestellt haben, werden die Forderungen nach deutlichen Anpassungen an den Plänen immer lauter. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) forderte eine massive Kurskorrektur bei dem Vorhaben. Die vorgesehene grundlegende Reform der Krankenhausvergütung würde drastische Einschnitte für die Kliniken in Bayern bringen, so Holetschek. Auch die DKG äußerte sich anlässlich der Vorstellung der in ihrem Auftrag erstellten Auswirkungsanalyse noch einmal kritisch zu den Vorschlägen der Kommission. „Die Auswirkungsanalyse von hcb und Vebeto hat gezeigt, dass der Vorschlag der Regierungskommission in seiner bisherigen Fassung zu einem sehr tiefen Eingriff in die Krankenhauslandschaft führen würde. Sehr viele Kliniken würden ihren bisherigen Auftrag zur Patientenversorgung ganz verlieren oder müssten sehr weitgehend umgestaltet werden. Derart massive Veränderungen würden zu erheblichen Verwerfungen führen und sind sicher nicht erforderlich, um die Krankenhausversorgung zukunftsfest zu machen“, sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß. Inzwischen wurde bekannt, dass auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Folgen der vorgeschlagenen Reformpläne wissenschaftlich analysieren lassen will, eine entsprechende Ausschreibung läuft. Dabei soll es fünf Einzelanalysen geben, die jeweils dem Verhandlungsstand angepasst erstellt werden sollen, hieß es in der Presse.

Bei der Vorstellung der von dem Analytik- und Beratungsunternehmen BinDoc für Bayern erstellten Auswirkungsanalyse warnte der bayerische Gesundheitsminister: „Mit dem derzeitigen Konzept drohen drastische Einschnitte in der bayerischen Krankenhauslandschaft. Wenn Bundesgesundheitsminister Lauterbach an den Plänen festhält, werden bewährte Strukturen zerstört, die wir weiterhin dringend benötigen.“ Laut der Ergebnisse würden bei einer eins-zu-eins-Umsetzung der Reformvorschläge 53 der rund 400 bayerischen Krankenhäuser (13 Prozent) auf das Level Ii herabgestuft. „Das bedeutet, sie könnten künftig nur noch eine ambulant-stationäre Basisversorgung anbieten [...]. An diesen Häusern könnten keine Notfallversorgung und keine reguläre stationäre Versorgung mehr stattfinden,“ so Holetschek. Das Gutachten zeige, dass es auch bei der Geburtshilfe und der Schlaganfallversorgung zu großen Einschnitten kommen würde. „Knapp 100 Krankenhäuser würden künftig nur noch eine stationäre Basisversorgung anbieten. Zahlreiche andere auch in der Fläche relevante Angebote würden nach der Konzeption des Bundes an diesen Häusern wegfallen.“

Holetschek betonte die Notwendigkeit einer Reform – „Aber es darf kein Diktat der Wirtschaftlichkeit zulasten der Strukturen vor Ort geben. Die Reform muss sich am Wohl der Patientinnen und Patienten orientieren.“ Er habe sich von Anfang an dagegen ausgesprochen, eine so grundlegende Reform vom grünen Tisch aus im Blindflug zu beraten oder gar zu beschließen. Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) müsse einen Krankenhaus-Gipfel mit den Ländern, Bundesfinanzminister Christian Lindner und Klinik-Vertretern einberufen. „Es wird Zeit, dass der Bundesgesundheitsminister mit allen Betroffenen redet, anstatt über ihre Köpfe hinweg zu planen. Völlig offen ist ja bislang auch die Frage, woher das Geld für die angedachte Reform kommen soll.“ Denn ohne finanzielle Unterstützung könnten die Krankenhäuser den notwendigen Transformationsprozess nicht bewältigen. „Umverteilungen im System reichen nicht, wir brauchen frisches Geld – für die Reform, aber auch schon zuvor zur Beseitigung der systematischen Unterfinanzierung der Krankenhäuser. Man sollte daher den Vorschlag von Prof. Christian Karagiannidis prüfen, einen Strukturfonds über 100 Milliarden Euro einzurichten, denn sonst laufen wir Gefahr, dass einige Kliniken die Strukturreform gar nicht mehr erleben.“ Auch die von der Regierungskommission vorgesehene Konvergenzphase von fünf Jahren hält Holetschek für deutlich zu kurz. Außerdem würden ihm die Bedürfnisse der Patienten, bessere Arbeitsbedingungen für das Personal und weniger Bürokratie bislang zu kurz kommen. „Daher muss es Korrekturen und Vereinfachungen bei den Voraussetzungen der sogenannten Level und den am jeweiligen Level möglichen Leistungsgruppen geben sowie Öffnungsklauseln für die Länder, um regionalen Besonderheiten Rechnung tragen zu können. Ich werde es nicht hinnehmen, wenn die Planungshoheit der Länder durch die Reform ausgehebelt wird. Notfalls bin ich auch bereit, dafür nach Karlsruhe zu gehen und vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen,“ schloss Holetschek.

Auch aus anderen Bundeländern wurde die Kritik nach Vorstellung der Auswirkungsanalysen lauter – so sagte beispielsweise Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW): „Der Blick auf die Folgen, die das Reformkonzept der Bundesregierung für die konkrete Versorgung der Menschen in NRW hätte, bestätigt: Eine solche Krankenhausplanung vom grünen Tisch in Berlin folgt zahlengetriebenen Zielen, die am tatsächlichen Bedarf der Menschen in ihrem Umfeld vorbeigehen. Im Mittelpunkt muss aber eine verlässliche, gut erreichbare und qualitativ hochwertige Versorgung für die Patientinnen und Patienten in den Städten und auf dem Land stehen. Diesen Ansatz setzt die neue nordrhein-westfälische Krankenhausplanung mit dem Blick für die regionalen Erfordernisse um. Das geht nur auf Landesebene, weil die Länder den jeweiligen Bedarf kennen.“

DKG: sehr tiefer Eingriff in die Krankenhauslandschaft

Die DKG hat mit der Analyse das Institute for Health Care Business (hcb) von Kommissionsmitglied Prof. Boris Augurzky und das Analytikunternehmen Vebeto beauftragt. Diese haben auf Basis öffentlich zugänglicher Daten (wie auch BinDoc für Bayern) die Vorschläge der Reformkommission geprüft. Datengrundlage waren die Qualitätsberichte der Krankenhäuser des Datenjahres 2020, die Notfallstufen nach den G‑BA‑Richtlinien und eine manuelle Prüfung zur Identifikation von Fachkliniken. Auf dieser Grundlage kommen die Forscher zu dem Schluss, dass von den heute rund 1.700 Standorten ca. 630 entweder dem neuen Level 1i zugehörig wären oder keine Zuordnung zu einem Level bekämen. Darunter würden viele potentielle Fachkliniken fallen, so die DKG. Etwa 830 Kliniken würden dem Level 1n zugeordnet. Würde man dies noch mit der 30-Minuten-Regel kombinieren, laut der im Umkreis von 30 PKW-Fahrminuten um ein Haus des Levels II oder III kein Haus des Levels In existieren sollte, würden von diesen ca. 560 weitere Kliniken zu 1i-Einrichtungen. In den beiden oberen Leveln wären es laut der Untersuchung noch insgesamt rund 230 Krankenhäuser.

Wie groß die Auswirkungen sein würden, wenn die Kriterien der Regierungskommission streng angewendet würden, zeige sich bei der Verschiebung potentieller Patientenströme, so die DKG. So müssten sich 52 Prozent aller werdenden Mütter einen neuen Standort für die Geburt suchen. 56 Prozent der Patientinnen und Patienten in der interventionellen Kardiologie müssten das Krankenhaus wechseln. In der Urologie wären es 47 und in der Neurologie 39 Prozent. Augurzky gab allerdings zu bedenken, dass es äußerst unwahrscheinlich sei, dass dieser Fall eintritt. Weiterhin ist sicher anzumerken, dass diese potenziellen Patienten natürlich frei in ihrer Wahl des Krankenhauses sind und auch heute schon nicht ins nächstgelegene Krankenhaus gehen müssen und auch nicht zwangsläufig tun.

Andere Leistungsgruppen, so die DKG, hätten ähnliche Ergebnisse. „Wir werden weitere Szenarien durchspielen, um zu sehen, welche Änderungen der Kriterien welche Auswirkungen haben, zum Beispiel das Erreichen von Level 2, auch ohne Stroke Unit und ohne Geburtshilfe. Wichtig scheint mir zudem, dass jede Leistungsgruppe an mindestens einem Standort innerhalb der für die Leistungsgruppe passenden Region vorhanden ist. Darüber hinaus brauchen wir Simulationen, um Anpassungsreaktionen der Krankenhäuser zu antizipieren, worüber wir auch den dazu nötigen Investitionsbedarf abschätzen können. Damit wird zudem klar, dass wir einen ausreichenden Übergangszeitraum für die Reform benötigen“, so Augurzky.

„Die Auswirkungen des demografischen Wandels erfordern mutige, zukunftsorientierte Schritte zur Umgestaltung unseres Gesundheitswesens, nicht nur der Krankenhausversorgung. Es ist unstrittig, dass es nicht möglich sein wird, in den heutigen Versorgungsstrukturen die notwendigen Gesundheitsleistungen von morgen zu erbringen. Wir werden die vorhandenen Strukturen im ambulanten und stationären Bereich nicht unverändert lassen und sie mit einer ausreichenden Zahl an Fachkräften ausstatten können,“ sagte Gaß.

Weitere Hintergründe und Informatinen zur geplanten Reform der stationären Versorgung finden Sie alle zwei Wochen in „Klinik Markt inside

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