1. Berliner Care-Salon: knappe Güter müssen effizient eingesetzt werden

22.03.2023, Sven C. Preusker
Politik & Wirtschaft, Pflege, Case Management

Der 1. Berliner Care-Salon unter der Überschrift „Postwachstumsgesellschaft und Wohlfahrtsstaat“ betonte den Zusammenhang zwischen Care-Arbeit und Demokratie und stellte sie in ein Wechselverhältnis. Prof. Thomas Klie, Prof. Barbara Kavemann und Dr. Thomas Meysen stellten im Rahmen des Salons eine Reihe von Thesen auf und diskutierten diese mit den Teilnehmern. Der Demokratisierungsgrad einer Gesellschaft zeige sich daran, wie demokratisch und gerecht Care organisiert werde und sei, heißt es in der ersten These. In einer Postwachstumsgesellschaft mit Fachkräftemangel und knappen öffentlichen Ressourcen sei es entscheidend, wie effizient Personal und Geld eingesetzt werden, um eine Stärkung der wohlfahrtspluralistischen Konzepte zu erreichen. Caring Communities würden die Bedeutung von Sorgearbeit als politisches Thema betonen, das notwendig ist, um soziale Ungleichheit, Geschlechterhierarchien und Ausschluss von sozialen Gruppen zu verhindern. Care-Arbeit sei auch elementar für die Ermöglichung der gesellschaftlichen Teilhabe aller und für die Vermeidung von Segregation und Marginalisierung. Eine Übertragung an marktförmige und renditebasierte Organisationsformen führe zu sozialer Selektion und Ausgrenzung und gefährdet eine Caring Democracy, so die Wissenschaftler.

Caring Communities rücken die Fragen der Praxis des Sorgens ins Zentrum des gesellschaftlichen Zusammenlebens und seiner Regulierung und betonen, dass Sorge notwendig ist, um Empowerment und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Schutz vor Gewalt, Gewaltprävention und Aufarbeitung von Gewaltverhältnissen sind ebenfalls zentrale Themen. Care-Arbeit strebt nach gerechteren Lebensverhältnissen und beschreibt Wege zu mehr Geschlechtergerechtigkeit und Generationengerechtigkeit.

Care gilt es als Ausgangspunkt für politische Transformationsprozesse zu machen, heißt es in der fünften These – und dies in mehrfacher Hinsicht: 1. als ethische Haltung, 2. als ökonomisch notwendige Tätigkeit und 3. als politische Transformationspraxis. Menschen haben ein Recht darauf, gut versorgt zu werden und für andere zu sorgen – die Natur auch.

Investitionen in die Sorgefähigkeit der Gesellschaft seien als Investitionen in die Demokratisierung des Zusammenlebens zu verstehen und müssten nachhaltig und partizipativ angelegt sein, heißt es weiter. „Sorge ist mehr als eine Kompensation der Defizite eines marktorientierten Wohlfahrtsstaates. Sie ist nicht konjunkturabhängig. Wie beim Klimaschutz gilt: Es bedarf jetzt Investitionen in eine nachhaltige, demokratiesichernde Sorge – national und regional. Investiert werden muss auch in partizipativ angelegte Forschung und in Beteiligungsprozesse.“

Es sei entscheidend, die Tragfähigkeit und Erneuerungsfähigkeit sozialer Sorgenetzwerke in den Blick zu nehmen, insbesondere angesichts der demografischen Dynamiken in der autochthonen deutschen Bevölkerung. Der subsidiär angelegte Sozialstaat und die Demokratieförderung müssten hierbei eine wichtige Rolle spielen. „Der Staat muss Vorleistungen erbringen, damit die kleinen Einheiten der Gesellschaft in ihrem Ringen um Care und Demokratie nicht allein gelassen werden und weiter leistungsfähig bleiben.“

Das die mit dem Klimawandel verbundenen Transformationsprozesse sozial ungleich verteilt sein und zu regional unterschiedlichen Belastungen sowie Herausforderungen in Krisen führen werden, heißt es in der achten These. Werde der der Klimawandel, aber auch die Leistungsfähigkeit der Gesundheitssysteme nicht sozial- und gesellschaftspolitisch flankiert, würden eine weitere Erosion demokratischer und solidarischer Strukturen und Kulturen der Gesellschaft drohen.

Gefragt sei die Demokratisierung von Sozialpolitik, so die neunte These. Dazu gehörte die Bürgerinnen und Bürger aus der Kunden- und Versichertenhaltung herauszuführen, und das Ringen um robuste und zukunftsfähige Formen sozialer Sicherung neu zu vergesellschaften – und auch und gerade vor Ort zu verankern. Dann könne eine Postwachstumsgesellschaft auch mit Wachstum gedacht werden, so die Wissenschaftler – einem Wachstum von Qualitäten, von Geist, von Kultur, von Solidarität. In der Demokratie werde ebenso wie in der Debatte um soziale Nachhaltigkeit der Mensch nicht als Konsument und Schädling gesehen, sondern als Lösung, der versuche, mit seinesgleichen und der Natur der Welt auszukommen.

Zusammenfassend betonten die Teilnehmer des 1. Berliner Care-Salons die Bedeutung von Care-Arbeit für eine demokratische Gesellschaft und stellte heraus, dass Sorgearbeit als politisches Thema notwendig sei, um soziale Ungleichheit, Geschlechterhierarchien und den Ausschluss von sozialen Gruppen zu verhindern. Die Teilhabe aller an einer gewaltfreien, menschenwürdigen Existenz in möglichst selbstbestimmter Freiheit sei ein grundlegendes Menschenrecht, das durch eine vitale Zivilgesellschaft und professionelle Sorgearbeit ermöglicht werde. Investitionen in die Sorgefähigkeit der Gesellschaft sehen die Teilnehmer als eine Investition in die Demokratisierung des Zusammenlebens – sie müssten nachhaltig und partizipativ angelegt sein, hieß es.

Die von Prof. Thomas Klie, Prof. Barbara Kavemann und Dr. Thomas Meysen vorgestellten Thesen finden Sie hier.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 06-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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