Digitalstrategie des BMG: Opt-out-ePA bis Ende 2024

04.04.2023, Sven C. Preusker
Digital Health, Politik & Wirtschaft, Recht, Pflege, Krankenversicherung

© shutterstock_2209714889

 

80 Prozent der gesetzlich Versicherten sollen bis zum Jahr 2025 nach Plänen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) über eine elektronische Patientenakte (ePA) verfügen. Ebenso sollen bis zu diesem Zeitpunkt 80 Prozent der ePA-Nutzer, die in medikamentöser Behandlung sind, über eine digitale Medikationsübersicht verfügen. Der Weg dahin führt über die Opt-Out-Regelung zur ePA, es wird also für jeden gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte eingerichtet, sofern die/der Versicherte nicht ausdrücklich widerspricht. Diese und weitere Ziele sind Inhalt der von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) kürzlich vorgestellten Digitalisierungsstrategie für Gesundheit und Pflege.

Zwei konkrete Gesetzesvorhaben sind in dem Strategiepapier angelegt: Das Digitalgesetz, das den Behandlungsalltag mit digitalen Lösungen verbessern soll, und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz, mit dem Gesundheitsdaten für die Forschung erschlossen werden sollen. Mit dem Digitalgesetz soll bis Ende 2024 die elektronische Patientenakte für alle gesetzlich Versicherten eingerichtet werden. Wo immer möglich sollten die ePA-Daten strukturiert sein, sagte Lauterbach bei einer Anhörung im Digitalausschuss des Bundestages Mitte März. Am Anfang würden – gerade bei älteren Befunden – aber auch PDF-Lösungen zugelassen, kündigte Lauterbach an.

Das E-Rezept soll zum 1. Januar 2024 verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung und die Nutzung stark vereinfacht werden – es soll dann sowohl mit der elektronischen Gesundheitskarte als auch mit der ePA-App eingelöst werden können. In enger Verknüpfung mit dem E-Rezept soll die ePA für jeden Versicherten mit einer vollständigen, weitestgehend automatisiert erstellten, digitalen Medikationsübersicht befüllt werden. Die Gesellschaft für Telematik (gematik GmbH) soll mit dem Gesetz zu einer Digitalagentur in hundertprozentiger Trägerschaft des Bundes umgewandelt werden. Assistierte Telemedizin soll laut der Vorschläge künftig in Apotheken oder Gesundheitskiosken angeboten werden können, insbesondere auch in unterversorgten Regionen.

Disease Management Programme (DMP) sollen um stärker digitalisierte Programme ergänzt werden. Die Digitalagentur soll künftig bei allen Entscheidungen von einem interdisziplinären Ausschuss, der u.a. mit Vertretern von BfDI, BSI sowie aus Medizin und Ethik besetzt sein soll, mit Empfehlungen zu Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit, der Datennutzung und der Anwenderfreundlichkeit beraten werden. Dieses Verfahren soll den bisherigen Prozess der Einvernehmensherstellung mit BSI und BfDI ersetzen.

Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) soll eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle aufgebaut werden, die den Zugang zu Forschungsdaten aus verschiedenen Quellen (z.B. Krebsregister, Krankenkassendaten) ermöglichen soll. Die Verknüpfung unterschiedlicher Datenquellen soll dabei über Forschungspseudonyme ermöglicht werden, die Daten sollen dezentral gespeichert bleiben. Die federführende Datenschutzaufsicht für bundesländerübergreifende Forschungsvorhaben soll auf alle Gesundheitsdaten erweitert werden – so würde die datenschutzrechtliche Aufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben im Gesundheitswesen dann nur noch durch eine Landesdatenschutzbeauftragte bzw. einen Landesdatenschutzbeauftragten erfolgen, hieß es. Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim BfArM soll weiterentwickelt werden –künftig soll auch die forschende Industrie dort Anträge auf Datenzugang stellen können. Entscheidend für die Anfragen soll zukünftig der Nutzungszweck sei, nicht der Absender. Die Datenfreigabe aus der ePA soll vereinfacht und in der ePA-App steuerbar werden (Opt-Out). Pseudonymisierte ePA-Daten sollen künftig zu Forschungszwecken automatisch über das FDZ abrufbar sein.

Bekräftigt wurden vom BMG im Zuge der Veröffentlichung der Digitalstrategie die Pläne, im zweiten Quartal 2023 ein Messenger-Dienst für die Kommunikation zwischen Leistungserbringern und im Jahr 2024 ein Dienst für die Kommunikation zwischen Leistungserbringern und Versicherten zu etablieren – dieser Messenger soll auf Basis der Telematikinfrastruktur und einem offenen, interoperablem Messenger-Protokoll aufgebaut werden.

Für die bessere Nutzbarkeit der Möglichkeiten der Digitalisierung in der Langzeitpflege soll ein „Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege“ zur Identifizierung und Verbreitung der Potenziale zur Verbesserung und Stärkung der pflegerischen Versorgung für Betroffene und Pflegende aufgebaut werden, heißt es in dem Strategiepapier. Zudem sollen die Fördermöglichkeiten für Pflegeeinrichtungen zur Umsetzung digitaler Möglichkeiten ausgebaut werden. Um die Suche nach passgenauen pflegerischen Versorgungs- sowie flankierenden Unterstützungs- und Beratungsangeboten zu vereinfachen, soll ein entsprechendes Informationsportal zu Pflege- und Betreuungsangeboten für pflegebedürftige Menschen, Pflegepersonen, An- und Zugehörige und vergleichbar Nahestehende, Mitarbeitende in Sozialdiensten in Krankenhäusern sowie in Beratungseinrichtungen aufgebaut und betrieben werden.

Das BMG strebt mit der Digitalstrategie an, dass 50 Prozent aller im Rahmen des Krankenhauszukunftsfonds geförderten Krankenhäuser bis zum Jahresende 2025 den digitalen Reifegrad in mindestens zwei Kategorien um mindestens zwei Stufen verbessern (entsprechend dem Reifegradmodell des DigitalRadars).

DKG: finanzielle Grundlagen müssen geschaffen werden

Man unterstütze die Kernpunkte der Digitalisierungsstrategie des Bundesministeriums für Gesundheit ausdrücklich, hieß es von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Die Einführung einer Opt-Out-Lösung bei der ePA könne dazu beitragen, die Vorteile digital verfügbarer Dienste für die Versorgung greifbar zu machen. Der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß sagte: „Die Belange des Daten- und Patientenschutzes müssen dabei genauso Berücksichtigung finden, wie der Anspruch der Versicherten, die medizinische Versorgung unter Nutzung vorhandener Gesundheitsdaten laufend zu verbessern. Das gilt für die medizinische Versorgung des Einzelnen, wie auch für die Weiterentwicklung der Versorgungsforschung für alle. Daher begrüßen wir, dass die Gesundheitsdaten nicht nur in der elektronischen Patientenakte für die individuelle Versorgung der Patientinnen und Patienten genutzt werden sollen, sondern dass mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz auch die Grundlage für einen nationalen Gesundheitsdatenraum und die Nutzung für Forschungen und Innovationen geschaffen wird.“

Es müssten allerdings auch die finanziellen Grundlagen geschaffen werden, um die in der Digitalisierungsstrategie genannten Ziele umzusetzen, so die DKG. Gerade die Umsetzung der ePA verursache in den Krankenhäusern, bezogen auf Interoperabilität und Sicherheit der Daten, enormen Aufwand. Die Betriebskostenfinanzierung digitaler Lösungen sei nach wie vor ungelöst, gleichzeitig würden noch immer Sanktionen drohen, wenn bis Ende kommenden Jahres nicht alle gesetzlich geforderten Lösungen umgesetzt seien. Die Krankenhäuser in Deutschland würden gespannt auf die Frage blicken, wie die Umsetzung dieser Digitalisierungsbeschleunigung finanziell sichergestellt werde, hieß es.

KBV: fatale Fehler nicht wiederholen

Kritik an den Plänen kam unter anderem auch von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), von deren Vorständen Dr. Andreas Gassen, Dr. Stephan Hofmeister und Dr. Sibylle Steiner es hieß, das derzeitige Vorgehen von Politik und gematik erinnere „fatal an die Fehler der vergangenen Jahre bei der Digitalisierung, in denen Anwendungen teilweise unausgereift als verbindlich erklärt wurden.“ Die ePA und das, was sie für eine noch bessere Versorgung leisten könne, sei zu wichtig, um überhastet angestoßen zu werden – „ohne Ziele, Abläufe, geschweige denn die Versorgungsrealität in den Praxen ausreichend einzuplanen und abzubilden und darüber hinaus als eine Art Zwangsbeglückung für die Versicherten.“

Zu wiederkehrenden Datenschutz-Bedenken äußerte sich der Bundesgesundheitsminister in einer Anhörung des Bundestags-Digitalausschusses Mitte März. Berechtigte Datenschutz-Bedenken seien „wie Gold“, um Fehler zu vermeiden, so Lauterbach. Trotzdem müssten Prioritäten gesetzt werden. Die Lösung, die man derzeit noch verhandle, werde mit allen nötigen Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet sein und die Datenschützer überzeugen, zeigte er sich sicher. Der öffentliche Teil dieser Sitzung steht als Video hier zur Verfügung.

GKV-SV spürt Rückenwind

Der GKV-Spitzenverband sieht mit der Digitalisierungsstrategie „Rückenwind für die Digitalisierung.“ Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, sagte, die elektronische Patientenakte habe das Potenzial, zum Herzstück eines digital modernisierten Gesundheitswesens zu werden. „Wir unterstützen das Vorhaben, sie künftig allen gesetzlich Versicherten obligatorisch zur Verfügung zu stellen. [...] Allerdings kann sie nur dann selbstverständlicher Teil der Versorgung sein, wenn ihre Nutzung durch einen einfachen und möglichst intuitiven Zugang alltagstauglich ausgestaltet wird. Hier erwarten wir möglichst schnell neue rechtliche Vorgaben, die dies ermöglichen.“

Kritik kam an den Plänen, die gematik zu einem hundertprozentigen Bundesunternehmen zu machen: „Wir glauben nicht, dass es sinnvoll ist, zentrale Akteure wie die Ärzteschaft, die Krankenhäuser, Apotheken und die Krankenkassen im Rahmen der Verstaatlichung der gematik von der Trägerschaft dieser zentralen Institution für die Weiterentwicklung der Digitalisierung des Gesundheitswesens auszuschließen. Der Blick auf andere staatliche Digitalisierungsprojekte, wie beispielsweise das Bürgerportal, stimmt uns leider nicht optimistisch.“ Man gehe davon aus, dass eine eventuelle künftige gematik als staatliche Institution auch vom Staat finanziert werde, betonte Pfeiffer.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 07-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

Anzeige
Anzeige