Zeitarbeit: Einschränkungen würden Fachkräftemangel in der Pflege eher verschärfen

17.05.2023, Sven C. Preusker
Pflege, Politik & Wirtschaft

Eine jetzt im Auftrag des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP) und des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) durchgeführte Kurzstudie, für die gut 4.000 Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer in der Pflege befragt wurden, kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass eine Einschränkung der Zeitarbeit in der Pflege zum Verlust von rund 21.000 Fachkräften in der Pflege führen könnte. 

Grundlage für die Umfrage ist eine in der Branche verbreitete Annahme – unter anderem die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht in der Abwanderung von Pflegepersonal zu den Unternehmen in der Zeitarbeit eine ernsthafte Gefahr im Hinblick auf die Fachkräftesicherung, und damit auch für die Gewährleistung der Patientenversorgung. Sie forderte daher analog zum Bauhauptgewerbe ein weitgehendes Verbot der Zeitarbeit in der Pflege sowie im ärztlichen Dienst und stützt sich dabei auf eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts unter Krankenhäusern, wonach 40 Prozent der Einrichtungen ein generelles Verbot und 50 Prozent eine stärkere Regulierung der Zeitarbeit befürworten würden, die in einer Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung in der Krankenpflege münden würde. Mitte Februar hatte der Verband dazu ein Positionspapier veröffentlicht, in dem tiefgreifende Reformen der Bedingungen für Zeitarbeit gefordert werden. Sollten diese nicht greifen, so sein ein generelles Verbot der Zeitarbeit in den genannten Bereichen „Ultima Ratio“, schrieb die DKG damals. Konkret schlagen die Krankenhäuser vor, Leiharbeit auf ihren ursprünglichen Zweck, Belastungsspitzen auszugleichen, zu beschränken. Zudem müsse der Stundensatz in der Leiharbeit einschließlich aller Kosten auf das 1,5-fache der üblichen Vergütung fest angestellter Pflegekräfte begrenzt werden, die Kosten müssen außerdem in den Pflegebudgets abgebildet werden.

Die Anzahl der Zeitarbeitskräfte, die in der Arbeitnehmerüberlassungsstatistik im Bereich der Gesundheits-/Sozial-/Erziehungsberufe geführt werden, ist zwischen 2013 und 2021 um ein Drittel auf rund 65.000 Personen angestiegen. Der Anteil der in der Arbeitnehmerüberlassungsstatistik geführten Zeitarbeitskräfte bewegt sich im gleichen Zeitraum in einem Korridor von 0,82 bis 0,98 Prozent. Eine Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigt, dass zur Jahresmitte 2022 knapp 47.000 sozialversicherungspflichtige und geringfügig Beschäftigte als Zeitarbeitskraft in den Berufsgruppen 812-814 und 821 (Medizinisches Laboratorium, Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst, Geburtshilfe, Human- und Zahnmedizin, Altenpflege) tätig waren. Davon waren 32.000 Betrieben der Arbeitnehmerüberlassung zuzurechnen. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten waren in Berufen der Gesundheits- und Krankenpflege (inkl. Rettungsdienst und Geburtshilfe) tätig (53,6 Prozent), mehr als vier von zehn in Berufen der Altenpflege (42,7 Prozent), drei Prozent zählen zum ärztlichen Personal. 

Nicht wieder in die Festanstellung

Deutlich werde, so die Autoren Holger Schäfer und Dr. Oliver Stettes, dass die Erwartung seitens der Politik, Zeitarbeitskräfte würden bei einer gesetzlichen Einschränkung der Zeitarbeit in die Stammbelegschaften der Einsatzbetriebe zurückkehren, ohne empirische Grundlage sei. Lediglich 18 Prozent der Befragten zeigten sich bereit zu einem solchen Schritt. Die überwiegende Mehrheit würde hingegen in einen anderen Tätigkeitsbereich wechseln oder ihre Arbeit gar ganz aufgeben, geht aus den Ergebnissen der Befragung hervor. Das Ziel einer besseren Verfügbarkeit von Personal würde für die Pflegeeinrichtungen also nicht erreicht, der Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel könnte sich im Gegenteil sogar weiter verschärfen und die Stabilität der Patientenversorgung verschlechtern. Gleichzeitig bleibe den betroffenen Beschäftigten das Recht auf ihre freie berufliche Entfaltung versagt, wie die Studie betont.

Außerdem würden die Ergebnisse auch deutlich machen, dass für den Wechsel in die Zeitarbeit die Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser zu einem großen Teil selbst die Verantwortung tragen würden, weil Pflegekräfte sich dort nicht wertgeschätzt fühlen, zu wenig Einfluss auf ihre Dienste haben und nicht leistungsgerecht vergütet werden, heißt es in der Studie.

Auch den Vorwurf der Abwerbung von Pflegepersonal seitens der Zeitarbeitsunternehmen scheint die Studie vorerst zu entkräften. Die Befunde würden belegen, dass es keine nennenswerte Abwerbung seitens der Zeitarbeitsunternehmen gibt, heißt es. Ausschlaggebend für den Wechsel seien vielmehr persönliche Kontakte und Hinweise aus dem persönlichen Umfeld. Tatsächlich würden sich Belege für Abwerbeversuche eher von Seiten der Pflegeeinrichtungen zeigen: 60 Prozent der Zeitarbeitnehmer haben laut der Untersuchung ein Übernahmeangebot eines Einsatzbetriebes erhalten. Für die Aufnahme einer Beschäftigung in der Zeitarbeit zeigt sich bei den Befragten eine komplexe Motivlage. Eine attraktive Vergütung und Einfluss auf die Arbeitszeitgestaltung sind dabei von großer Bedeutung, viele Zeitarbeitnehmerinnen und -nehmer fühlen sich in der Zeitarbeit aber auch in höherem Maße wertgeschätzt. Die Zeitarbeit sei mithin in der Lage, Kriterien für eine gute Qualität der Arbeit zu erfüllen, folgern die Autoren. 

Tabelle: Gründe für Zeitarbeit – nach Bereich

Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft, Kurzstudie "Zeitarbeiterbefragung – Zeitarbeit in der Pflegebranche", 2023

Mit Blick auf die Befragungsergebnisse betont BAP-Präsident Sebastian Lazay: „Die Studie zeigt es schwarz auf weiß: Eine Einschränkung oder gar ein Verbot der Zeitarbeit in der Pflege riskiert einen massenhaften ‚Pflexit‘– mit erheblichen Folgen für die hinreichende Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Denn 55 Prozent der befragten Zeitarbeitskräfte gaben an, in einem solchen Fall in einen anderen Tätigkeitsbereich wechseln zu wollen, weitere elf Prozent würden ihre Erwerbstätigkeit sogar ganz aufgeben. Oder anders gesagt: Für die meisten Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer in der Pflegebranche sind die Personaldienstleister ein oder gar der Arbeitgeber ohne Alternative. Dies sollten die Akteure aus der Gesundheitsbranche und der Politik dringend bedenken, bevor sie weiterhin an ihren gegen die Zeitarbeit und die dort Beschäftigten gerichteten Forderungen festhalten.“

Der iGZ-Vorsitzende Christian Baumann sagte: „Die Ergebnisse der Befragung attestieren der Zeitarbeitsbranche ein hohes Maß an Wertschätzung ihrer in der Pflege tätigen Angestellten und dokumentieren eindrucksvoll, dass sich die Personaldienstleistung mit ihrer attraktiven Vergütung und der Möglichkeit, Einfluss auf die Arbeitszeitgestaltung zu nehmen, seit jeher auch an den Arbeitnehmerinteressen orientiert und damit überaus zukunftsorientiert aufgestellt ist.“

Die Studie steht hier zum Herunterladen zur Verfügung.

Bundesratsinitiative zur Eindämmung der Leiharbeit gestartet

Ungeachtet dessen hat der bayerische Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek bekanntgegeben, dass Bayern eine Bundesratsinitiative zur Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege starten wird. Holetschek sagte: „Wir müssen der steigenden Tendenz zur Leiharbeit in der Pflege mit aller Entschiedenheit entgegentreten! Auf Initiative des bayerischen Gesundheits- und Pflegeministeriums startet Bayern nun eine Bundesratsinitiative, in der die zuständige Bundesregierung aufgefordert wird, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Leiharbeit in der Pflege zu begrenzen. Die Einrichtungen müssen in die Lage versetzt werden, Leiharbeit nur noch in Ausnahmefällen in Anspruch nehmen zu müssen – und dazu müssen die Arbeitsbedingungen des Stammpersonals so gut sein, dass ein Wechsel der Beschäftigten in die Leiharbeit nicht mehr attraktiv ist.“ 

Mit der Initiative fordert Bayern die Bundesregierung auf, eine Regelung auf den Weg zu bringen, um die Gleichbehandlung von Stammpersonal einerseits und Leiharbeitskräften andererseits in der Praxis stärker als bisher zu gewährleisten, entgegenstehende Abreden für unzulässig zu erklären und Verstöße zu sanktionieren. Darüber hinaus soll die Bundesregierung prüfen, ob durch bundesrechtliche Regelungen „überzogene“ Vergütungen der Leiharbeitsunternehmen im Pflegebereich unterbunden werden können, etwa in Form eines Vergütungsdeckels. Die Refinanzierung der Kosten der Leiharbeit entsprechend der Kosten für Stammpersonal zu beschränken, reiche allein nicht aus, um die „Auswüchse“ in der Leiharbeit einzudämmen. Zusätzlich wird der Bund aufgefordert, zu prüfen, ob bei der erforderlichen Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung an das Leiharbeitsunternehmen die besondere Situation in der Pflege berücksichtigt werden kann.

Holetschek ergänzte: „Um langfristig und flächendeckend Ausfall- bzw. Springerkonzepte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen umzusetzen, brauchen wir praktikable, finanzierbare und effiziente Lösungen. Der Vorschlag der Bundesregierung im Entwurf des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG) wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, Pflegeeinrichtungen zu verpflichten und gleichzeitig wirtschaftlich in die Lage zu versetzen, für ihre Pflegekräfte belastbare Personalausfall-Konzepte aufzustellen. Zudem muss die Bundesregierung sicherstellen, dass entstehende Mehrkosten für Springerkonzepte nicht auf die ohnehin finanziell stark belasteten Pflegebedürftigen abgewälzt werden. Auch den Krankenhäusern müssen entstehende Mehrkosten zur Schaffung von Springerpools sowie übertarifliche Vergütungen für das Springerpersonal gesichert refinanziert werden.“

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 10-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

Anzeige
Anzeige