Verbände plädieren für Einführung von Community Health Nursing

21.06.2023, Sven C. Preusker
Pflege, Versorgung, Politik & Wirtschaft


© shutterstock

Die Gesundheitsversorgung in Deutschland weist laut des Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), des Vereins demokratischer Ärzt*innen (vdää*) und des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) vor allem im Bereich der Grundversorgung bereits alarmierende Lücken auf, die sich absehbar ausweiten und zahlreicher werden könnten. Gegenmaßnahmen seien daher dringend notwendig. Dazu haben die drei Verbände gemeinsame Eckpunkte vorgestellt, in denen sie Reformen der Versorgungsstruktur fordern. Ein Faktor dabei ist die Einführung von Community Health Nurses (CHN) zur Stärkung der bevölkerungsbezogenen Gesundheit.

„Allen drei Professionen geht es darum, für die Menschen eine Gesundheitsversorgung zu sichern, die größtmögliche Lebensqualität und Selbstbestimmung bietet“, erläuterte DBfK-Bundesgeschäftsführerin Dr. Bernadette Klapper den Vorstoß. „Prävention, Gesundheitsförderung und soziale Faktoren sind anerkannt in ihrem Einfluss auf den Gesundheitszustand und auf Krankheitsverläufe“, so Dr. Nadja Rakowitz, die Geschäftsführerin des vdää*. Der Erfolg gesundheitlicher Versorgung, insbesondere bei chronischen Erkrankungen, hänge wesentlich von der Berücksichtigung der individuellen Lebensführung und den Lebensverhältnissen der Patientinnen und Patienten ab. Ein auf diese Anforderungen ausgerichtetes Gesundheitssystem müsse daher vor Ort wirken und dort medizinisch-pflegerische Angebote bedarfsgerecht mit Maßnahmen der Verhaltens- und Verhältnisprävention verbinden. „Schon jetzt haben wir spürbare Lücken in der wohnortnahen Versorgung, die sowohl hausärztliche Praxen, Apotheken als auch die pflegerische Versorgung betreffen“, konstatiert Dr. Udo Puteanus vom VdPP. „Primärversorgungszentren können mit ihrem interprofessionellen Zuschnitt der Bevölkerung im Einzugsgebiet einen wohnortnahen und niedrigschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung bieten.“

Um Gesundheit und Wohlbefinden für die Bevölkerung auch in Zukunft zu sichern, fordern die Verbände drei Maßnahmen für eine substanzielle Weiterentwicklung des Gesundheitssystems. Nötig sei zum einen die multiprofessionelle Teamarbeit der Gesundheits- und Sozialberufe, denn Gesundheit sei ein komplexes, biopsychosoziales Geschehen, das auf das Zusammenspiel verschiedener Professionen angewiesen sei. Dazu kommt die Einführung von Community Health Nurses (CHN) zur Stärkung der bevölkerungsbezogenen Gesundheit („Public Health“). Eine gute Gesundheitsversorgung erfordere neue Berufsprofile mit erweiterten Kompetenzen, hieß es dazu. 

In anderen Ländern gebe es gute Erfahrungen mit der CHN – ein Profil, das auch für die Versorgung in Deutschland viel Potenzial habe, heißt es in dem Papier. Die CHN stelle eine Weiterentwicklung pflegerischer Tätigkeit im Sinne des Advanced Practice Nursing (APN) dar. Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit würden die Gesundheitsförderung, die Prävention und der Gesundheitsschutz einschließlich der Arbeit an gesundheitsunterstützenden Umfeldern stehen, dazu komme die Erfassung des spezifischen Bedarfs der in einer Kommune oder Region lebenden Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppen sowie die konsequente Ausrichtung der Versorgung darauf. 

CHN begleiten Einzelpersonen und Familien im Krankheitsfall und in Pflegesituationen, sie arbeiten im multiprofessionellen Team eigenverantwortlich und können in Primärversorgungszentren erste Einschätzungen sowie im weiteren Verlauf die Routineversorgung bei chronischen Erkrankungen übernehmen. Zusätzlich können sie beispielsweise Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen durchführen und leichtere Akuterkrankungen behandeln und im Bedarfsfall den richtigen weiteren Behandlungspfad eröffnen. 

Das Berufsprofil beinhaltet aufsuchende Arbeit in der Kommune bzw. im Quartier, sowohl in der Form von Hausbesuchen als auch im Hinblick auf gesundheitsförderliche Settings. Sie können als fachkundige Case-Managerinnen und -Manager die verschiedenen medizinischen, pharmazeutischen, therapeutischen und pflegerischen Behandlungen sowie weitere soziale Hilfen koordinieren und Behandelnde an einen Tisch bringen. Eine solche Stellung setze voraus, dass die Erlaubnis zur Heilkunde im Rahmen ihrer fachlichen Kompetenzen insbesondere auf CHN bzw. APN ausgeweitet werde, so die Verbände.

Als dritte Maßnahme führen die Verbände die Förderung von Primärversorgungszentren an – dadurch könnten Gesundheitsförderung, Prävention und personenzentrierte medizinisch-pharmazeutisch-pflegerische Versorgung sowie soziale Arbeit ideal verankert werden.

Das Positionspapier steht hier zum Herunterladen zur Verfügung.

Fachtagung: Vorarbeiten sind geleistet – es ist Zeit, die Hebel umzulegen!

Auf einer Fachtagung wenige Wochen nach der Vorstellung des Positionspapiers hat der DBfK mit der Agnes-Karll-Gesellschaft und dem Bosch Health Campus der Robert Bosch Stiftung internationale Lösungswege beleuchtet. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um Community Health Nurses in Deutschland zu etablieren, so das Ergebnis für den Verband. 

„Der demografische Wandel stellt unser Gesundheitssystem vor große Herausforderungen. Das erfordert innovative Lösungen. Daher setzt sich die Robert Bosch Stiftung seit mehr als einem Jahrzehnt für einen Paradigmenwechsel in der Primärversorgung ein. Wir freuen uns, heute Einblicke in Erfahrungen aus anderen Ländern zu gewinnen.“ Mit diesen Worten begrüßte Bernhard Straub, Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung, die Gäste am Standort Berlin der Robert Bosch Stiftung sowie an den Bildschirmen. 

Klapper betonte, die Vorarbeiten seien geleistet – das Aufgabenprofil sei beschrieben, ein Rechtsgutachten liege vor und ein Ansatz für die flächendeckende Umsetzung sei entwickelt worden. Der Koalitionsvertrag könne aus Sicht des DBfK an dieser Stelle realisiert werden.

Warum der Einsatz von Community Health Nurses in Deutschland sich positiv auf die Gesundheitsversorgung auswirken dürfte und wo man in dieser Hinsicht im internationalen Vergleich steht, erläuterte Michael Ewers von der Charité Universitätsmedizin Berlin, der auch Sprecher des Fachbereichs Public Health Nursing der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH) ist.

Dank Meta Zitnik aus Ljubiljana konnten die Gäste am slowenischen Beispiel lernen, dass Heilkundeausübung auch eine Aufgabe für die Pflegenden ist und wie Community Health Nurses in einer umfassend gedachten Primärversorgung wirksam werden.

Die Primärversorgung hatte auch Jens Wiethege aus Linköping im Fokus: Der Allgemeinmediziner zeigte am schwedischen Modell, dass interprofessionelle Zusammenarbeit für die aktuellen und kommenden Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung und in einem zunehmend digitalisierten Gesundheitswesen unumgänglich ist. 

Maureen Cava aus Kanada machte die Leistungen von Community Health Nurses im Öffentlichen Gesundheitsdienst während der Corona-Pandemie deutlich. Test- und Impfkampagnen wurden dort ebenso von Community Health Nurses organisiert und durchgeführt wie die Schulung und Information der Bevölkerung zu Schutzmaßnahmen.

Modellprojekt in Österreich

Und auch in Österreich laufen, gefördert von der Europäischen Kommission, Modellprojekte zum Community Nursing, die Anita Sackl von der Gesundheit Österreich GmbH bei der Fachtagung der Österreichischen Gesellschaft für Public Health Ende Mai in St. Pölten vorstellte. Die Rahmendaten sehen dort so aus: Das Projekt läuft von 2021 bis 2024, mit einer Vorbereitungsphase im ersten Jahr und der Umsetzungsphase von 2022-2024. Von der Kommission gibt es rund 55 Millionen Euro an Fördergeldern für das Projekt. Sand April 2023 laufen 111 Projekte mit 257 Community Nurses, die rund 170 Vollzeitäquivalente darstellen. Mehr dazu wird Sackl in einem Interview im kommenden medhochzwei-Newsletter berichten.

In der Berliner Podiumsdiskussion ging es um die Weichen, die für die Etablierung von Community Health Nurses in Deutschland gestellt werden müssen. Zum Abschluss der Fachtagung erläuterte Manne Lucha, Sozialminister in Baden-Württemberg und Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz, den aktuellen Stand in der Gesetzgebung sowie die kommenden politischen Schritte. Aus Luchas Sicht gehört zur Krankenhausstrukturreform ein Primärversorgungsangebot, das von Community Health Nurses erbracht werden könne. Deren substituierende Rolle sei im Koalitionsvertrag angelegt und es bestehe Einigkeit, dass die rechtlichen Weichen dafür gestellt werden müssten. 

„Die Podiumsdiskussion und auch Minister Lucha haben gezeigt: Wir wissen, wo die Hebel sind. Jetzt ist die Zeit, sie umzulegen“, zog Klapper als Fazit aus der Veranstaltung.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 12-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

Anzeige
Anzeige