Nach Einigung zur Krankenhausreform: Deutliche Kritik, wenig Substanz

14.07.2023, Sven C. Preusker
KMi Nachrichten, Politik & Wirtschaft, Krankenhaus

KMi (scp) – Nachdem sich Bund und Länder am 10. Juli dann doch deutlich schneller als erwartet auf Eckpunkte für eine Krankenhausreform geeinigt haben (bei einem „Nein“ aus Bayern und einer Enthaltung aus Schleswig-Holstein), gibt es nun bereits eine Menge an Reaktionen und Kommentaren zu dem Papier. 

Geeinigt hat man sich auf folgende, zentrale Punkte: Es wird eine Vorhaltefinanzierung (inkl. Pflegebudget) geben. Um den Krankenhäusern „schnellstmöglich“ eine von der Leistungserbringung unabhängige Vorhaltevergütung zukommen zu lassen, sollen die Vorhalteanteile zunächst normativ ermittelt werden, heißt es im Eckpunktepapier. „In einer Übergangsphase wird die Absenkung der Fallpauschalen daher pauschal um einen gesetzlich vorgegebenen, zunächst einheitlichen Vorhalteanteil in Höhe von durchschnittlich 60 Prozent der DRG-Vergütung erfolgen.“ 

Die Leistungen der Krankenhäuser sollen zukünftig nach mit Qualitätskriterien hinterlegten Leistungsgruppen organisiert erbracht werden, die sich an den Leistungsgruppen, die in Nordrhein-Westfalen bereits umgesetzt werden, orientieren. Allerdings soll es Ergänzungen dazu geben, so sollen zusätzlich die Leistungsgruppen Infektiologie, Notfallmedizin, spezielle Traumatologie, spezielle Kinder- und Jugendmedizin und spezielle Kinder- und Jugendchirurgie eingeführt werden. Sie sollen durch eine zustimmungsbedürftige Rechtsverordnung festgeschrieben werden. Im Papier heißt es außerdem: „Die Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung der Leistungsgruppen mit Qualitätskriterien sowie das Recht auf Ergänzungen und Streichung erfolgt in der ersten Stufe auf Initiative von Bund und Ländern; beide Seiten haben ein Initiativrecht.“ Zukünftig soll dann die zuständige Landesbehörde den Krankenhäusern einzelne Leistungsgruppen per Bescheid zuweisen. „Voraussetzung hierfür ist, dass das Krankenhaus die Qualitätskriterien für die jeweilige Leistungsgruppe erfüllt, einschließlich der verwandten Leistungsgruppen, die an demselben Standort zu erbringen sind,“ heißt es im Eckpunktepapier. 

Ein zentrales Element der neuen Versorgungslandschaft sollen sektorenübergreifende Versorger, also die Level Ii-Krankenhäuser, werden. Diese seien Plankrankenhäuser nach § 108 Nummer 2 SGB V, soweit sie stationäre Leistungen erbringen, heißt es in den Eckpunkten. Darunter könnten auch bettenführende Primärversorgungszentren (PVZ), Regionale Gesundheitszentren (RGZ), integrierte Gesundheitszentren oder andere ambulant-stationäre Zentren fallen. Diese Einrichtungen würden sich regelhaft aus dem stationären Bereich entwickeln, insbesondere durch die Umwandlung bisheriger Krankenhäuser, könnten sich aber auch aus ambulanten Versorgungsmodellen heraus entwickeln, steht in den Eckpunkten. Außerdem sollen diese Versorger, entgegen früheren Planungen, bei entsprechendem Bedarf auch neu vorgesehen werden können. Weiter heißt es: „Um den Leistungsumfang der sektorenübergreifenden Versorger (Level Ii-Krankenhäuser) zu bestimmen, wird bundesgesetzlich ein Katalog von stationären Leistungen definiert, die zukünftig nicht von sektorenübergreifenden Versorgern (Level Ii-Krankenhäuser) erbracht werden dürfen. Im Umkehrschluss ergibt sich hieraus der Leistungsrahmen, der für sektorenübergreifende Versorger (Level Ii-Krankenhäuser) maximal zur stationären Versorgung zur Verfügung steht.“ Klargestellt wird auch noch einmal, dass Level Ii-Krankenhäuser nicht an der Notfallversorgung im Sinne des G-BA-Notfallstufenkonzepts teilnehmen und damit grundsätzlich nicht vom Rettungsdienst angefahren werden. Zur Vergütung heißt es: „Die Vergütung der sektorenübergreifenden Versorger (Level Ii-Krankenhäuser) besteht aus einem Finanzierungsmix. Neben der Vergütung für stationär erbrachte Leistungen werden die von den sektorenübergreifenden Versorgern (Level Ii-Krankenhäuser) erbrachten Leistungen (z.B. ambulante Leistungen nach §§ 115b und 115f SGB V, Übergangspflege nach § 39e SGB V) nach den für sie geltenden Vergütungsregelungen vergütet. Perspektivisch soll eine sektorenübergreifende Vergütung erreicht werden. Bis dahin erhalten die Vertragsparteien auf Ortsebene für die von einem sektorenübergreifenden Versorger (Level Ii-Krankenhäuser) – innerhalb des vom Land zugewiesenen Versorgungsauftrags – erbrachten stationären Leistungen den Auftrag zur kurzfristigen Vereinbarung eines krankenhausindividuellen Tagessatzes sowie dessen Degression. Sofern dies für eine sachgerechte Vergütung der erbrachten Leistungen erforderlich ist, können die Vertragsparteien vor Ort mehrere Tagespauschalen vereinbaren. Der Bund wird darlegen, wie sektorenübergreifende Versorger (Level Ii-Krankenhäuser) im Bereich der stationären Versorgung mithilfe der Tagessätze wirtschaftlich auskömmlich agieren können.“

Im Eckpunktepapier heißt es zu Beginn außerdem: „Alle nachfolgenden Eckpunkte stehen unter dem ausdrücklichen Vorbehalt einer zukünftigen finalen Gesamteinigung zwischen Bund und Ländern über die Grundstruktur einer Krankenhausreform. Eine solche Einigung umfasst auch die notwendige finanzielle Ausstattung durch Bund und Länder für den Transformationsprozess. Darüber hinaus wird der Bund gesetzliche Anpassungen prüfen, um die schnellere Auszahlung des Pflegebudgets zielgerichtet sicherzustellen. Im Laufe der Beratungen wird ebenfalls geprüft, ob weitere Maßnahmen zur Liquiditätssicherung auch in Bezug auf Tarif- und Inflationsentwicklung der Krankenhäuser außerhalb des Bundeshaushalts notwendig sind.“ 

Zur angekündigten „Transparenzoffensive“ heißt es, der Bund werde nach der Sommerpause ein eigenes Gesetz zur Transparenz vorlegen, welches zum 1. Januar 2024 in Kraft treten soll.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) sagte: „Ich bin sehr dankbar, dass wir uns auf detaillierte Eckpunkte einigen konnten. Ich bin sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Wir sind voll im Zeitplan. Mit dieser Einigung ist zu erwarten, dass das Gesetz am 1. Januar in Kraft treten kann.“ Über den Sommer soll auf Grundlage der vereinbarten Eckpunkte der Gesetzentwurf erarbeitet und danach ins parlamentarische Verfahren eingebracht werden. Nachdem das Gesetz verabschiedet wurde, soll die Reform fortlaufend evaluiert werden, um die Wirkung beurteilen zu können.

DKG: Politik trägt Verantwortung für geordneten Übergang in neue Krankenhauswelt

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß, sagte: „Wir sind fassungslos, dass Bund und Länder tatsächlich das unkontrollierte Kliniksterben hinnehmen. Von einer Existenzgarantie, gerade für die Krankenhäuser im ländlichen Raum, in den kommenden Jahren kann überhaupt keine Rede sein.“ Es sei Aufgabe von Politik zu gestalten, es sei aber auch die Verantwortung von Politik für einen geordneten Übergang in die neue Krankenhauswelt zu sorgen, um Schaden von der Bevölkerung durch Versorgungslücken abzuwenden. „Wenn sowohl Bund als auch Länder hier nicht aktiv werden, ist das ein politischer Offenbarungseid. Wir laufen Gefahr bis 2027, bis die Finanzierungsreform tatsächlich greift, Versorgungslücken in Deutschland zu schaffen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Und dies mit extremen Auswirkungen sowohl für die Gesundheit der Menschen als auch für das politische System. Wir sollten uns alle daran erinnern, dass im Grundgesetz die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse von Stadt und Land verankert ist. Diesem Anspruch muss man gerecht werden.“ Die Diskussionen und Interpretationen der Ministerinnen und Minister der Bundesländer beim Krankenhausgipfel Spezial der DKG würden zeigen, „welche Probleme auf dem Weg zur Krankenhausreform noch auf uns zukommen werden. Die Eckpunkte sind an vielen Stellen nicht mehr als Formelkompromisse, Überschriften, Prüfaufträge und Absichtserklärungen. Die beschworene Einheit steht hier durchaus infrage,“ so Gaß.

Dem Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) fehlen in den Eckpunkten konkrete Lösungsansätze zur Überwindung der zentralen Probleme. Die aktuell bestehende Unterfinanzierung der Kliniken würde ebenso wenig beseitigt wie der Fachkräftemangel und die Überbürokratisierung. Zentraler Kritikpunkt des BDPK am Eckpunktepapier ist die nach wie vor isolierte Fokussierung auf die Planung von Krankenhausangeboten. Da die ambulante, rehabilitative und pflegerische Versorgung weitgehend ausgeblendet würden, bringe die Reform keinen wirklichen Fortschritt für die Patientinnen und Patienten.

Der Verband der Ersatzkassen (vdek) sieht in der Einigung eine Chance auf mehr Qualität in der Krankenhausversorgung. Die Einführung von einheitlichen Leistungsgruppen auf Grundlage bundeseinheitlicher Qualitätsstandards eröffne die Chance, die Krankenhausversorgung zukünftig stärker nach Qualitätskriterien zu strukturieren. Das dürfe aber nicht durch weitreichende Ausnahmeregelungen für die Länder verwässert werden, betonte Dr. Jörg Meyers-Middendorf, Vertreter des Vorstandes des Verbands. Bedauerlich sei allerdings, dass die ursprüngliche Maßgabe einer erlösneutralen Reform nicht eingehalten werde. Die Reform werde zu deutlichen Mehrkosten für die Krankenkassen führen, auch durch die zusätzlichen Sicherstellungzuschläge.

Beivers: Vorhaltepauschalen zu hoch

Der Gesundheitsökonom Prof. Andreas Beivers von der Hochschule Fresenius kommentierte die Einigung: „Als äußerst positiv ist anzumerken, dass sich Bund und Länder nun auf den grundlegenden Modus Operandi der zukünftigen Krankenhausfinanzierung geeinigt haben: Die Fallpauschalen werden in ihrer Bedeutung deutlich gestutzt, eine Vorhaltekostenfinanzierung der Kliniken in Höhe von 60 Prozent soll kommen. Auch wenn dieser Prozentsatz aus gesundheitsökonomischer Sicht als etwas zu hoch erscheint und die Gefahr mit sich bringt, dass sich Mehrleistungen für Kliniken nicht mehr so lohnen, sprich der Anreiz für Fleißige damit gedrosselt wird, ist dies ein Schritt in die richtige Richtung.“ Reduziere man Leistungsanreize zu stark, bestehe aber die Gefahr von Rationierung und Wartezeiten, wie man es aus staatlichen Gesundheitssystemen kenne, so Beivers. Auch, dass die Planungshoheit bei den Ländern bleibe, sei gut. Es sei allerdings schade, dass kein Bund-Länder-Durchbruch bei der Lösung der maroden Investitionskostenfinanzierung der Kliniken gelungen sei. „Im Grunde bleibt hier vieles beim Alten, erweitert um einen Krankenhausstrukturfonds, den es schon gibt. Wie auch die Prognosen des aktuellen Krankenhaus Rating Reports zeigen, sind viele deutsche Kliniken von Insolvenz bedroht“ – und dies auch aufgrund mangelnder Investitionskostenfinanzierung, die in den jeweiligen Bundesländern sehr heterogen sei. Dies gefährde nicht nur die Existenz vieler Krankenhäuser an sich, sondern könne auch zu einer Verstärkung und Manifestation sozioökonomischer Versorgungsunterschiede in Deutschland führen, so der Ökonom. 

Als besonders positiv hob Beivers hervor, dass sich Bund und Länder nun auf eine Konkretisierung der Aufgaben, der Rolle und der Finanzierung der Level-Ii-Kliniken hätten einigen können. „Dadurch kann es zum ersten Mal seit Jahrzenten gelingen, die sektorale Trennung des Gesundheitssystems zwischen ambulant und stationär zu durchbrechen und gerade auch den Pflegefachberufen eine sehr attraktive berufliche Perspektive zu bieten.“

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