GVSG-Entwurf: positive Zeichen für die Pflege, Ärzteschaft kritisch

20.07.2023, Sven C. Preusker
Politik & Wirtschaft, Versorgung


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Das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG), welches in einem Referentenentwurf vorliegt, hat zu gemischten Reaktionen bei den verschiedenen Professionen des Gesundheitswesens geführt. So betonte der Deutsche Pflegerat (DPR), die Einräumung von Antrags- und Mitberatungsrechten für die Berufsorganisationen der Pflegeberufe bei den Richtlinien und Beschlüssen über die Qualitätssicherung sowie bei weiteren Aufgabenbereichen des G-BA seien positive Zeichen. Mit deutlicher Kritik dagegen reagierte unter anderem der Deutsche Hausärzteverband (DHV) – insbesondere, dass die Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen bisher nicht Teil des Entwurfs sei, stieß auf Widerspruch.

Worum geht es im Entwurf? Gesundheitsregionen, Primärversorgungszentren (welche ja auch in der großen Krankenhausreform in Form der Level Ii-Häuser prominent vertreten sind) und Gesundheitskioske sollen helfen, die Versorgung vor Ort zu verbessern und vor allem sozial benachteiligten Gruppen einen besseren Zugang zu medizinischen Leistungen zu verschaffen. Im Entwurf heißt es, Kommunen sollen mehr Möglichkeiten bekommen, „auf die vor Ort bestehenden Bedarfe im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung zu reagieren.“

Zu den Gesundheitskiosken gibt es inzwischen keine konkreten Angaben mehr zur Anzahl der geplanten Einrichtungen – ursprünglich hatte Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) einmal von 1.000 Kiosken bundesweit gesprochen. Die Gesundheitskioske sollen zu 74,5 Prozent von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziert werden, heißt es im Entwurf. Die privaten Versicherer sollen 5,5 Prozent tragen, die verbleibenden 20 Prozent die Kommunen. Die Kosten pro Kiosk werden beziffert der Entwurf mit rund 400.000 Euro im Jahr. Aufgaben der Kioske sollen zum Beispiel die Beratung und Koordinierung von Gesundheitsleistungen sowie einfache, medizinische Routineaufgaben sein, sie sollen von einer Pflegefachkraft geleitet werden. Das Initiativrecht für den Aufbau eines Gesundheitskiosks soll bei den Kommunen liegen. Und die Kioske sollen langfristig Kosten sparen: „Über die Leistungen der Gesundheitskioske in den Bereichen Gesundheitsförderung sowie Prävention und die Beratungsleistungen ergeben sich für die gesetzlichen Krankenversicherungen mittel- und langfristig Minderausgaben,“ wird im Entwurf erläutert.

Für Kommunen soll die Gründung medizinischer Versorgungszentren mit den Regelungen des GVSG erleichtert werden. Außerdem sollen Primärversorgungszentren, in denen neben der regulären Versorgung durch Hausärztinnen und Hausärzte auch ältere Patienten gezielt betreut werden sollen, besonders die ländliche Versorgung verbessern. Über Kosten oder die Anzahl der Zentren steht nichts im Entwurf. 

Um regionale Aspekte stärker zu betonen und Kommunen bei der ihnen zukommenden Verantwortung für die Daseinsvorsorge besser einzubinden, sollen diese die Möglichkeit erhalten, mit den Kassen Gesundheitsregionenverträge zu schließen. Diese stießen auf scharfe Kritik von Seiten der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK). Damit solle eine „Parallelstruktur zur Regelversorgung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte aufgebaut werden, bei der letztlich unklar bleibt, wo die dafür erforderlichen Ärztinnen und Ärzte herkommen sollen,“ so Dr. Gerald Quitterer, Präsident der BLÄK. Überhaupt kommt der Entwurf bei den Verbänden der Ärztinnen und Ärzte nicht gut weg: so erklärten die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, Dr. Stephan Hofmeister und Dr. Sibylle Steiner, in einer ersten Reaktion: „Ein Wortgeklingel aus Gesundheitsregionenvertrag, Kiosken und Primärversorgungszentren prägt den Entwurf. Sicherlich alles gut gemeint, doch es stellt sich die Frage, wer alle diese neuen Schnittstellen und Sektoren bedienen soll. Bisher beklagte sich Politik eher darüber, es gebe jetzt bereits zu viele Sektoren. Nun will sie offenbar genau das Gegenteil und schafft selber neue Ebenen und neue Zuständigkeiten. Doch diese müssen mit dem vorhandenen, heute bereits zu knappen Personal, ausgefüllt werden. Wie diese Quadratur des Kreises funktionieren soll, ist absolut schleierhaft. Wer dann am Ende die Verantwortung für die medizinische Versorgung ambulanter Patienten hat, bleibt völlig offen.“

Entbudgetierung fehlt

Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, sagte: „Sowohl im Koalitionsvertrag als auch in unzähligen Gesprächen hat die Ampelkoalition den Hausärztinnen und Hausärzten klipp und klar zugesichert, dass die Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen so schnell wie möglich umgesetzt wird. Dass dies nun nach aktuellem Stand nicht Teil des GVSG sein soll, ist extrem enttäuschend. Noch haben die Koalitionspartner die Chance, ihr Versprechen zu halten und eine entsprechende Änderung des Entwurfs in die Wege zu leiten. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass das Wort der Bundesregierung gilt.“

Die erste stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth ergänzte: „Den Kolleginnen und Kollegen ist nicht mehr zu erklären, weswegen die Bundesregierung bereit ist, Milliarden Euro für Gesundheitskioske und ähnliche Experimente auszugeben, aber kein Geld dafür da sein soll, die Arbeit der Hausärztinnen und Hausärzte zu vergüten. Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort haben in den letzten Jahren immer wieder den Karren aus dem Dreck gezogen, wenn das überforderte Gesundheitswesen an seine Grenzen gestoßen ist. Statt diejenigen, die wirklich Versorgung sicherstellen, unter die Arme zu greifen, wird lieber ein Leuchtturmprojekt nach dem anderen aufgesetzt. Das führt zu einer immer größeren Frustration. Sollten die zugesagte Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen nicht zeitnah umgesetzt werden, wird sich die Situation an der Basis weiter zuspitzen.“

Irene Maier, Vize-Präsidentin des DPR, sagte: „Der vorliegende Referentenentwurf eines Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes setzt um, was der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP beinhaltet und was eine langjährige Forderung des Deutschen Pflegerats ist. Die Einräumung von Antrags- und Mitberatungsrechten für die Berufsorganisationen der Pflegeberufe bei den Richtlinien und Beschlüssen über die Qualitätssicherung sowie bei weiteren Aufgabenbereichen des G-BA, die die Berufsausübung der Pflegeberufe betreffen sowie deren finanzielle Unterstützung, sind klare, positive Zeichensetzungen für die Profession Pflege und für die Zukunft der pflegeberuflichen Versorgung. Das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung und eine echte Stärkung der Profession Pflege. Gestützt werden muss dieser Schritt durch ausreichende personelle Ressourcen für die Arbeit der Berufsorganisationen der Pflegeberufe im G-BA und deren Finanzierung, bis hin zu umfassenden Mitentscheidungsrechten. Diese beiden Punkte gehen bislang nicht aus dem Referentenentwurf hervor.“

BLÄK-Chef Quitterer kritisierte hingegen, bei der angestrebten „Weiterentwicklung“ des G-BA von einer noch besser auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten ausgerichteten Gesundheitsversorgung zu sprechen, sprenge alle Vorgaben eines solidarisch finanzierten Gesundheitssystems, in dem bedarfs- und nicht bedürfnisgerechte Versorgung festgelegt sei. Zusammen mit einer Erleichterung der vorgesehenen Gründung von kommunalen Medizinischen Versorgungszentren und der Erweiterung der Entscheidungskompetenz der Länder in den Zulassungsausschüssen sei das aus Sicht der BLÄK ein Angriff auf die ärztliche Selbstverwaltung. „Gesundheitsregionen können die medizinische Versorgung nach dem Entwurf des Gesetzes an Dritte übertragen – ein klassisches Einfallstor für Inverstoren. Vergeblich warten wir auf gesetzliche Regelungen, um diese Einflussnahme zu stoppen“, so Quitterer. „Wenn dann auch noch der Einheitliche Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM) auf nichtärztliche Leistungen angepasst werden soll, ist das eine Geringschätzung der Arbeit niedergelassener Ärztinnen und Ärzte. Der Minister tut besser daran, die bestehenden Versorgungsprobleme nicht wieder durch Referenten aus seinem Ressort, sondern zusammen mit der Ärzteschaft zu lösen“.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 14-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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