DigiG: Katalysator im Gesundheitswesen?

09.08.2023, Sven C. Preusker
Digital Health, Politik & Wirtschaft

Der parlamentarische Prozess rund um das „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (DigiG) schreitet voran – Anfang August haben diverse Verbände ihre Stellungnahmen abgegeben. Vor allem von Seiten der Krankenkassen kamen viele positive Reaktionen, andere Stakeholder sehen Verbesserungsbedarf und -möglichkeiten. 

Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, sagte, mit dem Referentenentwurf des DigiG könne es gelingen, dass die digitale Transformation des Gesundheitswesens einen großen Sprung nach vorne macht – wenn noch ein paar Dinge nachgebessert würden. „Insbesondere was die Weiterentwicklung der elektronischen Patientenakte angeht, kann das Gesetz wie ein Katalysator wirken“, zeigte sich Reimann überzeugt. Der Entwurf habe das Potenzial, der ePA zum Durchbruch in der Praxis zu verhelfen. Die Einführung des Opt-out-Verfahrens in Kombination mit einem vereinfachten Authentifizierungsverfahren für die elektronische Patientenakte (ePA) ist nach Einschätzung der AOK-Gemeinschaft ein echter Fortschritt. Mit der Speicherung der elektronischen Patientenkurzakte und des Medikationsplans in der ePA werde der Ausbau zur zentralen Versichertenplattform weiter vorangetrieben. Hier entstehe ein Mehrwert für die Patientinnen und Patienten, aber auch für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. „Es wäre aber konsequent, diesen Ansatz auch auf die Notfalldaten auszuweiten. Die schon heute existierende Möglichkeit zur Speicherung auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) wird de facto kaum genutzt und sorgt für unnötige bürokratische Aufwände“, kritisierte die AOK-Vorständin.

Nach wie vor ungelöst bleibt aus Sicht der AOK das Problem eines einfachen initialen Zugangs der Versicherten zur ePA. Der AOK-Bundesverband plädiert dafür, die Doppelstruktur von elektronischer Gesundheitskarte (eGK) und PIN durch den neuen elektronischen Personalausweis abzulösen. Der Fokus auf ein einfaches Verfahren erleichtere den Zugang für die Versicherten und verhindere den unwirtschaftlichen Einsatz von Versichertengeldern. Als irritierend bezeichnete Reimann den Plan, dass die gesetzlichen Krankenkassen ältere Papierdokumente von Versicherten scannen und in die ePA übertragen sollen. Die Befüllung der ePA sollte nicht Aufgabe der Krankenkassen sein, sondern gehöre grundsätzlich in die Hand der Patientinnen und Patienten sowie der behandelnden Ärztinnen und Ärzte.

Die Ausweitung des Leistungsanspruchs von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) auf Medizinprodukte höherer Risikoklassen lehnt der AOK-Bundesverband ab. Die Anwendung risikobehafteter DiGAs ohne Nutzennachweis gefährde die Patientensicherheit, kritisierte Reimann. Bevor diese in die Versorgung kommen, sei eine Nutzenbewertung zwingend erforderlich. Angesichts der knappen finanziellen Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung dürfe das Geld der Beitragszahlenden nur für Anwendungen eingesetzt werden, deren Nutzen klar wissenschaftlich belegt sei.

Auch die vorgesehene, unbefristete Fortsetzung des Innovationsfonds wird vom AOK-Bundesverband abgelehnt. „Es bestehen erhebliche Zweifel an Effektivität und Effizienz des Innovationsfonds. Deshalb ist eine unveränderte und unbefristete Fortsetzung der falsche Weg. Außerdem sollte die Übertragbarkeit der Mittel auf maximal 10 Millionen Euro pro Jahr beschränkt werden“, so die AOK-Vorständin. Seit 2020 würden zudem die Fördermittel für die neuen Versorgungsformen nicht ausgeschöpft, sodass eine Absenkung des Förderbudgets auf 100 Millionen pro Jahr sachgerecht wäre. Vor diesem Hintergrund sei die geplante unbegrenzte Übertragbarkeit der Fördermittel nicht zu verantworten.

Die Vorstandsvorsitzende des Verbands der Ersatzkassen (vdek), Ulrike Elsner, sagte anlässlich der Verbändeanhörung, das Digital-Gesetz biete die Chance, dem deutschen Gesundheitswesen einen kräftigen Digitalisierungsschub zu verleihen. Vor allem die Opt-out-Lösung für die elektronische Patientenakte (ePA), die verpflichtende Einführung des E-Rezepts und mehr Flexibilität beim Einsatz von Videosprechstunden würden die digitale Gesundheitsversorgung in den Alltag der Versicherten integrieren. Wichtig sei, dass der Fokus auf der Benutzerfreundlichkeit liege. Denn nur wenn die digitalen Anwendungen sehr einfach zu handhaben seien, würden sie einen echten Mehrwert für Versicherte und Leistungserbringer bieten. Dass das Befüllen der ePA mit strukturierten Daten weitestgehend automatisiert laufen solle, sei ein Schritt in die richtige Richtung.

MB: Digitalisierung muss Verbesserung der Versorgung dienen

Der Marburger Bund (MB) begrüßt die mit dem Gesetzentwurf vorgesehenen Verbesserungen bei der elektronischen Patientenakte (ePA), dem E-Rezept, den Videosprechstunden und Telekonsilien und der Cybersicherheit, weist aber zugleich auf den Mehraufwand hin, der Arztpraxen und Krankenhäusern durch einige der Maßnahmen entstehen wird. Digitalisierung müsse vom Anwender her gedacht werden, entsprechende IT-Lösungen müssten nutzbringend und praktikabel sein, forderte der Verband der angestellten Ärztinnen und Ärzte in seiner Stellungnahme zum Entwurf.

„Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern muss der Verbesserung der Gesundheitsversorgung dienen. Wenn dadurch Arbeitsabläufe vereinfacht und Prozesse optimiert werden können, bleibt mehr Zeit für die individuelle Behandlung und Betreuung der Patienten. Dieses Potenzial muss jetzt endlich ausgeschöpft werden. Dafür brauchen wir aber eine Einbeziehung derjenigen, die IT in den Praxen und Krankenhäusern anwenden und nicht selten auch darunter leiden“, betonte Dr. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des MB.

Die elektronische Patientenakte bleibe trotz Opt-out eine freiwillige Anwendung, so der Verband. Die Erstbefüllung der Akte und die regelmäßige Übertragung der Behandlungsdaten allerdings werde insbesondere für die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, aber auch für die Krankenhausärztinnen und -ärzte mit einem hohen zusätzlichen zeitlichen Aufwand verbunden sein, der durch das vorhandene Personal nicht erledigt werden könne. Diesen Aufwand gelte es unbedingt zu minimieren: „Wir befürchten, dass gerade in den Krankenhäusern kein zusätzliches Personal für den mit der Befüllung einhergehenden bürokratischen Aufwand eingestellt werden wird und die vorhandenen ärztlichen und pflegerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bereits mit einer erheblichen Überbürokratie belastet sind, diese Aufgabe zusätzlich übernehmen müssen“, heißt es in der Stellungnahme des MB.

Verbraucherzentrale sieht Opt-out kritisch

Thomas Moormann, Leiter Team Gesundheit und Pflege im Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), kommentierte: „Die ePA hat ein großes Potenzial, die gesundheitliche Versorgung zu verbessern, wenn mit ihr alle relevanten Daten zur Verfügung stehen und zum Beispiel alle verordneten sowie selbst erworbenen Medikamente auf Wechselwirkungen geprüft werden können.“ Für die Autonomie, das Vertrauen und die Mitwirkung der Patientinnen und Patienten sei es aber entscheidend, dass ein Widerspruch gegen die ePA sowie die individuelle Verwaltung der Zugriffsrechte auf die Inhalte der ePA einfach und barrierefrei möglich seien. Dies gelte auch für einen möglichen Widerspruch gegen die Datenfreigabe für die Forschung. Die Datenfreigabe sei grundsätzlich auf gemeinwohlorientierte Forschungsprojekte zu beschränken und streng zu reglementieren. Nur unter diesen Voraussetzungen befürworte der vzbv die vorgeschlagene Widerspruchslösung.

BDP fordert Beibehaltung von Opt-in

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) fordert in einer Stellungnahme ausdrücklich die Beibehaltung der Opt In-Regelung bei der Speicherung von Gesundheitsdaten in der elektronischen Patientenakte, zumindest bei Daten zu psychischen Erkrankungen. Nur so könne sichergestellt werden, dass Patientinnen und Patienten die Hoheit über ihre Daten behalten würden.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 15-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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