Weniger Ausbildungsverträge in der Pflege – warum?

23.08.2023, Sven C. Preusker
Pflege, Politik & Wirtschaft, Heilberufe

Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) Ende Juli mitgeteilt hat, gab es im Jahr 2022 sieben Prozent weniger neue Ausbildungsverträge in der Pflege, insgesamt wurden 52.100 Neuverträge, 4.100 weniger als im Vorjahr, im Ausbildungsberuf „Pflegefachfrau/-mann“ abgeschlossen. Über alle Ausbildungsjahre hinweg befanden sich zum Jahresende 2022 insgesamt rund 143.100 Personen in der Ausbildung zum Beruf der Pflegefachfrau beziehungsweise des Pflegefachmanns.

38.600 Frauen und 13.500 Männer schlossen im Jahr 2022 einen neuen Ausbildungsvertrag zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann ab. Der Anteil von Frauen in der Pflegeausbildung blieb damit zwar hoch, ging aber im Vergleich zum Vorjahr um zwei Prozentpunkte auf 74 Prozent zurück. Das Medianalter bei Ausbildungsbeginn im Bereich Pflege lag bei 21 Jahren. Damit stieg das Alter bei Ausbildungsbeginn im Vergleich zu 2020 um ein Jahr. Und: eine Ausbildung in der Pflege wird häufig auch im mittleren Alter begonnen – so starteten elf Prozent (6.000) der Auszubildenden ihre Ausbildung im Alter von 30 bis 39 Jahren. Weitere sieben Prozent (3.900) begannen ihre Ausbildung erst im Alter ab 40 Jahren. Im Vergleich dazu lag der Anteil der Altersgruppe ab 30 Jahre an den Neuabschlüssen im dualen Ausbildungssystem im Jahr 2021 bei nur drei Prozent. Der auch mögliche Weg der Teilzeitausbildung bleibt laut Destatis die Ausnahme, nur 500 Personen starteten ihre Ausbildung in Teilzeit. Die Angaben entstammen der amtlichen Datenerhebung auf Grundlage der Pflegeberufe-Ausbildungsfinanzierungsverordnung (PflAFinV).

In der Ausbildung zur Pflegefachfrau und zum Pflegefachmann, die mit dem Pflegeberufereformgesetz (PflBRefG) von 2017 begründet wurde, wurden die bis dahin getrennten Ausbildungen in den Berufen Gesundheits- und Krankenpfleger/-in, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/-in sowie Altenpfleger/-in zum Berufsbild Pflegefachfrau/-mann zusammengeführt. Die Ausbildung wird seit 2020 angeboten und dauert in Vollzeit drei Jahre. Die Ausbildung findet an Pflegeschulen und in Krankenhäusern, stationären oder ambulanten Pflegeeinrichtungen statt. Wie bei den meisten Gesundheits- und Pflegeberufen handelt es sich nicht um eine Berufsausbildung innerhalb des dualen Ausbildungssystems.

Allerdings stagnieren die Zahlen auch bei der dualen Ausbildung – und sinken im Vergleich zu Vor-Corona-Zeit. So wurden 2022 mit 469.900 neuen Ausbildungsverträgen zwar 0,8 Prozent mehr abgeschlossen als im Vorjahr, aber acht Prozent weniger als vor der Corona-Pandemie und 14 Prozent weniger als noch vor zehn Jahren. Mit einem Plus von 7.900 Neuverträgen beziehungsweise drei Prozent war der Ausbildungsbereich Industrie und Handel der einzige mit einem Zuwachs an neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Insgesamt markierten rund 1,2 Millionen Auszubildende 2022 erneut einen historischen Tiefstand, so Destatis.

Wo liegen die Gründe?

Die Frage danach, woran der Rückgang bei den Neuverträgen liegt, wird auch der Pflegebranche sehr unterschiedlich beantwortet – so sieht der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) den Rückgang als „hausgemacht und von der Politik zu verantworten: Vor der Zusammenlegung der Ausbildungen in der Kranken- und Altenpflegeausbildung gab es einen massiven Aufwuchs der Ausbildungszahlen. Vom Schuljahr 2009/2010 bis zum Schuljahr 2019/2020 war in der eigenständigen Ausbildung zur Altenpflegefachkraft allein ein Anstieg um 62 Prozent zu verzeichnen. Die Altenpflegeausbildung war der dringend benötigte Jobmotor und den haben die politisch Verantwortlichen in Deutschland fahrlässig abgewürgt,“ so der bpa-Präsident Bernd Meurer. „Die generalistische Pflegeausbildung ist kein Erfolgsmodell - sie verstärkt ganz offensichtlich den Personalmangel in der Langzeitpflege. Bei ehrlicher Bewertung kann sie nicht das Modell für die großen Herausforderungen in der pflegerischen Versorgung sein,“ so Meurer weiter. 

Laut bpa müssten das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend „umgehend mit den Ländern für eine Absicherung und einen deutlichen Ausbau der Ausbildungskapazitäten sorgen.“ Dazu gehöre in einem ersten Schritt die bessere und vor allem gesicherte finanzielle Ausstattung der Pflegeschulen im Bereich der Investitionskosten ebenso wie ausreichend Studienplätze für Pflegepädagoginnen und -pädagogen und das Überdenken der Anforderungen an die Lehrkräfte in der Pflegeausbildung sowie organisatorische Vereinfachungen bei der Ausbildung, z.B. die Sicherstellung digitaler Weiterbildungsmöglichkeiten zur Praxisanleitung in den Pflegeeinrichtungen. „Und dann muss in einem zweiten Schritt die neue generalistische Pflegeausbildung ehrlich und ideologiefrei auf den Prüfstand,“ so die Forderung Meurers.

VdPB: Generalistik Lösung, nicht Ursache

Die Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) sieht das ganz anders: der Start der generalistischen Pflegeausbildung sei schon im Vorfeld von Unkenrufen und Kritik begleitet worden. Dabei habe der Gesetzgeber mit dem Pflegeberufegesetz und der darin verankerten generalistischen Ausbildung nicht nur den Grundstein für ein neues Berufsverständnis in der Pflege gelegt, sondern auch für eine EU-weite Anerkennung des Abschlusses und für die Entwicklung der Profession hin zu internationalen Standards. VdPB -Präsident Georg Sigl-Lehner konterte Meurers Schuldzuweisungen: „Die Behauptung, die Generalistik sei schuld an Personalnot und sinkenden Azubi-Zahlen, entbehrt jeglicher belastbaren Datengrundlage. Die neue Ausbildung und mit ihr ein neues Berufsverständnis sind vielmehr Lösung als Ursache des Problems.“ Die tatsächlichen Ursachen für den Rückgang der Azubi-Zahlen lägen woanders. Vergleiche man die Zahlen über die vergangenen Jahre hinweg, erkenne man jeweils deutliche Schwankungen, das Absinken um sieben Prozent sei noch kein Beleg für einen Trend, insbesondere, da die Zahlen aufgrund der höheren Aufmerksamkeit durch die Pandemie sowohl 2020 als auch 2021 deutlich angestiegen seien. „Inzwischen hinterlassen die demografischen Entwicklungen jedoch Spuren im gesamten Ausbildungsmarkt. In allen Branchen gibt es spürbar weniger Auszubildende. Die Pflege-Azubis selbst stellen der neuen Pflegeausbildung aber ein gutes Zeugnis aus: Eine Befragung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) hat ergeben, dass die Auszubildenden in der Pflege die Generalistik positiv bewerten,“ so Sigl-Lehner.

Auch die Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), Christel Bienstein, kommentierte die Zahlen und die mit der Veröffentlichung verbundene Suche nach der Ursache: „Der Rückgang der Ausbildungszahlen in den Pflegeberufen ist für uns keine Überraschung. Junge Menschen suchen einen sinnstiftenden Beruf, der ihnen attraktive Karrierewege bietet. Während der Hochphase der Pandemie hatten die Pflegeberufe große Aufmerksamkeit. In den Medien wurde gezeigt, wie wichtig die Kompetenz der Pflegefachpersonen für die Bevölkerung ist. Mittlerweile ist der Beruf in der medialen Versenkung verschwunden und politisch ist nichts passiert, um die Rahmenbedingungen zu verbessern.“ Trotz allem sei der Pflegeberuf der am häufigsten gewählte Ausbildungsberuf. Aufgrund des zunehmenden demografischen Ungleichgewichts befinde man sich bereits in einem Personalnotstand, der sich allein durch Ausbildungsinitiativen und die Anwerbung ausländischer Kolleginnen und Kollegen nicht beheben lasse. Mit der generalistischen Pflegeausbildung sei zwar ein erster wichtiger Schritt getan worden, damit der Pflegeberuf nicht in eine Sackgasse führe, aber noch immer fehlten akademische Rollen und Karrierewege, die sich nach Weiterbildungen auch finanziell lohnen würden, so die DBfK-Präsidentin. Ohne grundsätzliche Reformen im Gesundheitswesen, die zu einer deutlichen Aufwertung des Berufs führen, werde sich die Situation weiter zuspitzen. Bienstein: „In Deutschland wird die Relevanz pflegerischer Fachkompetenz im gesamten Gesundheitssystem noch immer verkannt und das rächt sich natürlich: Wer will denn einen Beruf lernen, der politisch und gesellschaftlich wie unwichtiges Beiwerk der Ärzteschaft behandelt wird? Das Ruder erst rumzuwerfen, wenn niemand mehr da ist, um professionell zu pflegen, wird zu spät sein.“

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 15-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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