Studien zur Digitalisierung: Online-Terminvereinbarung wird viel genutzt, DiGA nahezu bedeutungslos

05.10.2023, Sven C. Preusker
Digital Health, Versorgung, Wissenschaft & Forschung

Zwei aktuelle Umfragen beschäftigen sich mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Demnach wird diese von einer breiten Mehrheit der Menschen als positiv bewertet. 83 Prozent der Deutschen halten die Digitalisierung des Gesundheitswesens grundsätzlich für richtig. 74 Prozent meinen, mehr Digitalisierung würde das teilweise als „marode“ angesehene Gesundheitssystem Deutschlands stärken. 72 Prozent beurteilen das Tempo der Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland jedoch als zu langsam, 20 Prozent bewerten das Tempo als genau richtig und sieben Prozent geht es zu schnell. Das geht aus einer aktuellen repräsentativen Befragung unter 1.138 Personen in Deutschland hervor, die im Auftrag des Digitalverbands Bitkom durchgeführt wurde.

Ein Großteil der in den letzten Jahren eingeführten digitalen Innovationen ist den Befragten bereits bekannt: 97 Prozent haben bereits vom E-Rezept gehört, 95 Prozent können etwas mit der elektronischen Patientenakte anfangen, die nach Plänen der Bundesregierung ab Anfang 2025 alle Versicherten automatisch erhalten, sofern sie nicht aktiv widersprechen. 93 Prozent ist auch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) ein Begriff, 85 Prozent haben von der Video-Sprechstunde gehört. 

In der Befragung geben 59 Prozent an, die ePA nutzen zu wollen – 33 Prozent antworteten „Ja, auf jeden Fall“ und 26 Prozent „eher ja“. Weitere 31 Prozent tendieren zu „eher nein“ wohingegen nur sechs Prozent die Nutzung für sich kategorisch ausschließen. Insgesamt ist laut der Ergebnisse das Informationsbedürfnis allerdings noch groß: 73 Prozent wollen besser über die elektronische Patientenakte informiert werden. Zwei Drittel (65 Prozent) halten die Einführung in Deutschland für überfällig. Doch es gibt auch Vorbehalte: 59 Prozent sorgen sich bei der ePA um die Sicherheit ihrer Daten. „Die elektronische Patientenakte ist das Kernstück der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Mit ihr werden die Menschen informierter, souveräner und können sich besser um ihre eigene Gesundheit kümmern“, betonte Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst. „Die Hürden zur Beantragung und Nutzung sind aktuell noch zu hoch. Das vorgesehene Opt-out ist der richtige Weg. Der angekündigte Zeitplan muss jetzt unbedingt eingehalten werden.“

Video-Sprechstunde ist in der Versorgung angekommen

Ein weiteres Ergebnis der Bitkom-Untersuchung ist, dass die Video-Sprechstunde in Deutschland mittlerweile ein fester Bestandteil des Versorgungsalltags geworden ist. 22 Prozent der Menschen hat schon einmal per Video-Sprechstunde mit einer Ärztin bzw. einem Arzt oder einer Therapeutin bzw. einem Therapeuten kommuniziert – 2022 seien es noch 15 Prozent und im Vor-Corona-Jahr 2019 nur fünf Prozent gewesen, so die Autorinnen und Autoren der Bitkom-Untersuchung. Die Kosten für Videosprechstunden werden erst seit 2017 von den Krankenkassen übernommen. Insbesondere während der Corona-Pandemie wurden bürokratische Hürden für Medizinerinnen und Mediziner, die Video-Sprechstunden anbieten wollten, abgebaut. Im aktuellen Digital-Gesetz des Bundesgesundheitsministeriums ist zudem die Abschaffung der noch immer geltenden Deckelung bei der Vergütung von Video-Sprechstunden in Aussicht gestellt. „In Zeiten von Social Distancing hat die Video-Sprechstunde einen großen Schub erfahren. Viele, die sie während Corona ausprobiert haben, sind jetzt dabei geblieben“, so Wintergerst. „In Zeiten abnehmender Praxisdichte und einer alternden Bevölkerung werden Video-Sprechstunden unverzichtbar, um immobile Menschen oder solche in ländlichen Regionen weiter optimal zu versorgen.“

Für eine Studie der hkk Krankenkasse in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) zur Nutzung und Akzeptanz digitaler Gesundheitsangebote wurden im Januar und Februar 2023 über 1.800 hkk-Versicherte in Deutschland befragt, unter denen 712 Nutzerinnen und Nutzer von Videosprechstunden waren. Die Studie zeigt, dass die Mehrheit der Videosprechstunden-Nutzenden (71 Prozent) von ihren Ärztinnen und Ärzten zu dieser Möglichkeit beraten wurde. Lediglich 27 Prozent informierten sich online, während sieben Prozent selbst das Gespräch mit ihrer Ärztin bzw. ihrem Arzt suchten. „Die Ergebnisse unterstreichen die bedeutende Rolle der Ärzteschaft bei der Einführung der Videosprechstunde“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Hajo Zeeb.

Die Zufriedenheit der Nutzenden mit der Videosprechstunde ist laut der Untersuchung deutlich: Über 90 Prozent fühlten sich während ihrer jüngsten Videosprechstunde gut betreut, würden sie erneut nutzen und auch weiterempfehlen. Die Nutzung ist beständig, denn mehr als die Hälfte (51 Prozent) griffen zwischen zwei bis fünf Mal auf die Videosprechstunde zurück. Als Vorteile wurden genannt: Keine Anfahrt zur Praxis (92 Prozent), örtliche Flexibilität (86 Prozent) und keine Wartezeit (81 Prozent).

Gleichwohl identifizierten die Befragten auch Nachteile: So sei die Videosprechstunde nicht für alle Situationen geeignet (76 Prozent) und das Fehlen körperlicher Untersuchungen oder persönlicher Kontakte (53 Prozent) negativ. Dr. Cornelius Erbe, Leiter des hkk-Versorgungsmanagements: „Die Videosprechstunde ist eine Ergänzung, kein Ersatz für den persönlichen Arztbesuch.“ 

Fehlende Mobilität ist laut der Bitkom-Befragung allerdings bisher nur für einen sehr geringen Anteil von drei Prozent der Nutzerinnen und Nutzer der Grund für die Video-Sprechstunde gewesen. Die große Mehrheit (51 Prozent) möchte demnach vor allem Zeit sparen, 38 Prozent finden es schlicht bequemer und 31 Prozent haben vor Ort keinen zeitnahen Termin bekommen und sind deswegen auf die Video-Sprechstunde ausgewichen. 21 Prozent brauchten außerhalb regulärer Praxisöffnungszeiten Rat. 

Übrigens gibt es im europäischen Ausland klare (und abweichende) Einschätzungen zur Videosprechstunde: In Finnland hat ein großer privater Gesundheitsdienstleister die Video-Angebote durch Chat-Angebote ersetzt, die deutlich besser angenommen wurden. Nur im Bereich der Psychotherapie gibt es weiterhin Video-Sprechstunden.

Online-Terminvergabe ist Spitzenreiter

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten für die hkk zudem die häufigsten digitalen Gesundheitsangebote im Arzt-Patienten-Kontakt. Die Online-Terminvereinbarung (81 Prozent) und der E-Mail-Kontakt mit Praxen (62 Prozent) führen die Liste an, gefolgt von Bewegungsmesser-Nutzung (59 Prozent) und Gesundheits-Apps (52 Prozent).

Zertifizierte digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) – also „Apps auf Rezept“ – nutzen bisher lediglich drei Prozent der Befragten. Die Einführung der DiGA war eines der Leuchtturm-Projekte von Jens Spahn (CDU), Vorgänger des jetzigen Gesundheitsministers. Diese Apps sind zertifizierte Medizinprodukte, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüft und von Ärztinnen und Ärzten verordnet werden können.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 19-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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