Kommentar: Zurück auf Los

07.12.2023, Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft
Politik & Wirtschaft, Versorgung, Krankenhaus, Pflege

Die aktuelle Situation in der Krankenhausreform ist äußerst ungewiss. Nach der Bundesratssitzung am 24.11. ist klar, dass die Länder sich gegen einen Eingriff des Bundes in die Hoheit der Krankenhausplanung, gegen einen weiteren Bürokratiezuwachs in den Kliniken und gegen eine Verunsicherung der Patientinnen und Patienten durch ein vorgezogenes Transparenzgesetz ausgesprochen haben. Mit ihrem Entschließungsantrag zur wirtschaftlichen Absicherung der Kliniken und dem Verweis des Krankenhaustransparenzgesetzes an den Vermittlungsausschuss haben die Ländervertreterinnen und -vertreter die Bundesregierung förmlich „Zurück auf Los“ geschickt. Wie es nun weitergeht mit dem geplanten Krankenhaus-Transparenzverzeichnis von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach und welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die Krankenhausreform insgesamt hat, ist unklar.

Immerhin ist nun aber klar, dass auch die Bundesregierung endlich erkannt hat, dass sie handeln muss, um einen kalten Strukturwandel in den Krankenhäusern zu verhindern. In einer Protokollerklärung zur Bundesratssitzung, die öffentlich wurde, hat die Bundesregierung eingestanden, dass auch versorgungsnotwendige Krankenhäuser durch die derzeitige finanzielle Belastung in Schwierigkeiten geraten können. Als Konsequenz hat die Bundesregierung neben den mit dem Krankenhaustransparenzgesetz geplanten frühzeitigeren Auszahlungen von Ansprüchen insbesondere aus dem Pflegebudget (schnellere Liquidität, aber erlösneutral) einen Transformationsfonds ab 2025, eine unterjährige Reform des Landesbasisfallwerts sowie eine schnellere und umfassendere Berücksichtigung der Tarifsteigerungen aller Beschäftigten im Krankenhaus in Aussicht gestellt. Allerdings handelte es sich dabei nur um vage Versprechen.

Die Defizite der Kliniken sind derzeit enorm hoch, für Bayern rechnen wir alleine dieses Jahr mit etwa 870 Mio. Euro trotz Hilfsfonds, der im April nächsten Jahres ohne Ersatz auslaufen soll. Spätestens dann droht ohne neue Finanzierungsregelung der Kahlschlag. Die Anforderung einer positiven Fortführungsprognose führt bereits jetzt zu schwierigen Diskussionen mit den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und selbst bei den Banken werden Kliniken teilweise abgewiesen, weitere Insolvenzen und Klinikschließungen drohen. Unter diesen Umständen ist bisher völlig unklar, wie die Krankenhausversorgung bis zur Wirksamkeit der Reform im Jahr 2027 überhaupt sichergestellt werden soll. Es ist daher entscheidend, dass den losen Versprechungen der Bundesregierung nun rasch Taten folgen.

Handlungsbedarf besteht aber auch für verlässliche Rahmenbedingungen beim notwendigen Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft. Eine stärkere Konzentration von komplexen Behandlungen, sinnvolle Kooperationen und Fusion und auch der Abbau unnötiger Doppelstrukturen in Ballungsräumen sind unbestritten erforderlich. Dazu gehört auch die Umwandlung bestehender Krankenhäuser in sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen, die, abgekoppelt von der großen Krankenhausreform, möglichst vorgezogen noch 2024 möglich sein sollte. In diese Richtung gab es zwischenzeitlich sinnvolle Nachbesserungen wie z.B. ein Gesamtbudget, aber eine weitere Bürokratiereduzierung und Erweiterung der ambulanten Behandlungsmöglichkeiten wäre für den Erfolg dieser neuen Einrichtungsart wünschenswert. Bei vielen Krankenhausträgern wird auf diese Option gewartet.

Veränderungen benötigen einen planvollen Transformationsprozess auf einer abgesicherten Basis der bestehenden Krankenhausstrukturen. Dagegen wird ein weiteres kaltes Krankenhaussterben über Insolvenzen und Klinikschließungen die gesellschaftliche Akzeptanz einer so weitreichenden Reform massiv gefährden. 

Nach der Verständigung von Bund und Ländern auf Eckpunkte zur Krankenhausreform hat sich aber in den letzten Monaten gezeigt, dass die Skepsis von Bayern (gegen die Eckpunkte gestimmt) und Schleswig-Holstein (Enthaltung) sich leider bewahrheitet hat. Die konkrete Umsetzung in nicht offiziell bekannten Arbeitsentwürfen hat mehr neue Fragen als Antworten gebracht, eine verlässliche Auswirkungsanalyse fehlt weiterhin. Die Übersetzung der Eckpunkte in Gesetzestexte macht deutlich, wie komplex und technokratisch die Reformüberlegungen im Detail sind. Von den Zielen Entökonomisierung, Verbesserung der Qualität und Entbürokratisierung sind die vorliegenden Entwürfe dagegen weit entfernt. Daher wird auch die fachliche Kritik an den grundsätzlichen Reformansätzen lauter. 

Ein Kritikpunkt bleibt der vermittelte Eindruck, dass nur große Krankenhäuser qualitativ gute Krankenhäuser sein sollen. Besonders deutlich wird dies im Krankenhaustransparenzgesetz und den Begründungen dazu. Dies könnte zu einer Benachteiligung kleinerer Kliniken führen, die eine wichtige Rolle in der regionalen Versorgung spielen und eigentlich durch die Reform eine „Existenzgarantie“ erhalten sollten. Elemente einer besseren Prozess- und Ergebnisqualität spielen dagegen nach aktuellem Stand weiterhin praktisch keine Rolle bei der Krankenhausreform.

Die benötigten Transformationsmittel für den umfangreichen Umbau nach den Kriterien der Strukturqualität (hohe Strukturvorgaben führen auch zu hohen Umbaubedarfen) würden nicht im Verhältnis zum Veränderungsbedarf und zum Nutzen stehen. Es dürfte effektivere Möglichkeiten geben, die Qualität und Effizienz der Krankenhausversorgung zu verbessern ¬– beispielsweise durch eine konsequente Förderung der Ambulantisierung mit Qualitätsvorgaben. Es ist bedauerlich, dass die Reform nicht konkretere Anreize schafft, um mehr Behandlungen ambulant am Krankenhaus durchzuführen und die eingesparten Mittel teilweise zur Steigerung der Erlöse je stationärem Behandlungsfall zu nutzen, wie es international üblich ist.

Ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommt die Reform bei der derzeitigen Ausgestaltung der Vorhaltevergütung, die das Versprechen einer Überwindung des DRG-Systems nicht erfüllen kann. Das jetzt konzipierte Vorhaltebudget ist nichts anderes als ein weiterer DRG-Vergütungsbaustein, der über den DRG-Grouper durch die Bildung von Vorhaltebewertungsrelationen ermittelt und verwaltet wird. Die Ökonomisierung im Krankenhaus wird dadurch nicht überwunden, es wird eine weitere Fokussierung auf wirtschaftliche Effizienz und Profitabilität geben, anstatt die Patientenversorgung in den Mittelpunkt zu stellen. 

Weitere Kritikpunkte sind fehlende Maßnahmen gegen die Überversorgung in Ballungsräumen, die wachsende Bedrohung der Sicherstellung der Versorgung im ländlichen Raum und die fehlende Perspektive gezielterer Patientensteuerung, auch mit digitaler Unterstützung – trotz vorliegender Empfehlungen der Regierungskommission.

Insgesamt besteht die Gefahr, dass mit den jetzigen Reformüberlegungen die gewünschten Verbesserungen in der Krankenhausversorgung nicht erzielbar sein werden. Gleichzeitig besteht für die Krankenhäuser die Sorge, dass die Hängepartie sowohl bezüglich der akuten Unterfinanzierung als auch bezüglich der Zukunftsleitplanken bestehen bleibt. Beides wäre fatal. Daher bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen auf fundierte Kritik hören und gemeinsam eine Reform auf den Weg bringen, die die genannten Ziele auch wirklich erreichen kann. Es wäre an der Zeit, die Partner der Selbstverwaltung und Praktiker aus den Krankenhäusern und der gesamten Versorgungskette ab jetzt an der weiteren Ausgestaltung zu beteiligen. Es wäre jetzt, nachdem die Reform „Zurück auf Los“ ist, an der Zeit, dass sich Bund und Länder auf ein Vorschaltgesetz zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Kliniken und auf eine gemeinsame Reform einigen können. Nur gemeinsam und mit guter Kommunikation wird es gelingen, die Reform erfolgreich umzusetzen. 

 

Roland Engehausen ist Geschäftsführer der bayerischen Krankenhausgesellschaft. Er beschäftigt sich insbesondere mit Versorgungsmanagement, Digitalisierung und Finanzierung im Gesundheitswesen. Bei medhochzwei hat er unter anderem als Herausgeber am Buch Zukunft der Pflege im Krankenhaus gestalten mitgewirkt.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 23-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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