Psychotherapeutische Praxen waren während Pandemie schnell und flexibel

17.01.2024, medhochzwei
Psychotherapie, Versorgung, Wissenschaft & Forschung

Psychiatrische und psychosomatische Kliniken sowie Tageskliniken hatten laut der Ergebnisse eines Forschungsprojekts während der Corona-Pandemie erhebliche Schwierigkeiten, die Routineversorgung von Patientinnen und Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen aufrechtzuerhalten. Schneller konnten sich niedergelassene Psychiaterinnen und Psychiater sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in dieser krisenhaften Versorgungssituation an die neue Situation anpassen. Insbesondere in Zeiten der staatlich vorgegebenen Mobilitätseinschränkungen war der ambulante Versorgungsbereich laut der Ergebnisse des vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) geförderten Forschungsprojekts „CovPsych: Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Versorgung von Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen“. stabil. Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass das vermutlich mit dem schnellen, effizienten Einsatz von digitalen und telemedizinischen Angeboten zusammenhängt. Insgesamt seien die Einschränkungen im stationären Sektor für Versicherte mit schweren psychischen Erkrankungen überaus gravierend gewesen, da diese besonders von intensiven, engmaschigen Behandlungsangeboten abhängig sind. Auffällig sei der signifikante Anstieg des Suizidrisikos in der Pandemie um 27,4 Prozent im Vergleich zum Kontrollzeitraum. Verantwortlich für die Studie ist das Zentrum für Psychosoziale Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der Abschlussbericht wurde Anfang Dezember 2023 veröffentlicht.

„Niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben in der Covid-19-Pandemie schnell und flexibel reagiert. Per Telefon und Video waren wir für unsere schwer erkrankten Patientinnen und Patienten da. Die Studie bestätigt diesen Einsatz“, sagte Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV), zu den Ergebnissen. 

Untersucht wurden Versichertendaten von Patientinnen und Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, schizoaffektiver Störung, bipolarer Störung, schwerer Depression oder einer Persönlichkeitsstörung in den Jahren 2020 und 2021. 

Teilweise Nachholeffekte in Praxen

Die Untersuchung konnte zeigen, dass die Inanspruchnahme der psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken während der Pandemie in allen Kalendermonaten niedriger war als im Monat des Vorjahres. Zudem war der Rückgang während des ersten Lockdowns (März bis Mai 2020) und während der zweiten Lockdowns (Dezember 2020 bis Februar 2021) besonders stark ausgeprägt. Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich für die Tageskliniken. Für die Behandlungsminuten durch niedergelassene Psychiaterinnen und Psychiater zeigte sich eine deutlich reduzierte Inanspruchnahme zum Beginn der Pandemie im April und Mai 2020. Im Gegensatz zur Entwicklung in den Tageskliniken und den vollstationären Einrichtungen waren jedoch deutlich geringere Unterschiede zwischen den Kohorten während des zweiten Lockdowns zu erkennen. Zudem ließen sich sogar Nachholeffekte im Juni und September 2020 beobachten, sodass die Einschränkungen in der ambulanten Versorgung insgesamt deutlich geringer waren als im voll- und teilstationären Bereich. Dies zeigte sich ebenfalls für die Anzahl der abgerechneten Therapiestunden, die lediglich von März bis Mai 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat leicht reduziert waren. Ansonsten stieg die Anzahl der Psychotherapiestunden sogar während der Pandemie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum an.

Die Versicherten sind auf Grundlage der im Zuge der Behandlung dokumentierten ICD-10-Diagnosen ausgesucht worden. Es wurden alle Versicherten mit einer Schizophrenie (ICD-10: F20.x), schizoaffektiven Störung (F25.x), bipolaren Störung (F31.x), schweren Depression (F32.2, F32.3, F33.2 oder F33.3) oder einer Persönlichkeitsstörung (F60.x) ausgewählt. Für die Pandemie-Kohorte sind Versicherte berücksichtigt worden, die eine Diagnose für eine schwere psychische Erkrankung zwischen dem 1. Oktober 2019 und dem 29. Februar 2020 erhalten haben. Für die Kontrollkohorte mussten die entsprechenden Diagnosen zwischen dem 1. Oktober 2018 und dem 28. Februar 2019 dokumentiert worden sein. Berücksichtigt wurden Versicherte mit teil- und vollstationären Hauptdiagnosen, Diagnosen aus Hochschulambulanzen, aus psychiatrischen Institutsambulanzen und von niedergelassenen Psychiater:innen, Psychotherapeut:innen und Nervenheilkundlern sowie von weiteren niedergelassenen Fachärzt:innen. Letztere wurden jedoch nur dann in die Studie einbezogen, wenn eine gesicherte Diagnose in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen vorlag.

„Für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bleibt der persönliche Kontakt der Goldstandard. Dennoch haben sie während der Pandemie jede Möglichkeit genutzt, schwer erkrankten Patientinnen und Patienten auch per Video weiter Therapie anzubieten“, betonte Hentschel. Bereits im März 2023 bestätigte eine Untersuchung von Versichertendaten, dass fast die Hälfte der Patientinnen und Patienten in der ambulanten Versorgung vier oder mehr gesicherte Diagnosen aus dem F-Kapitel der ICD-10 (Psychische und Verhaltensstörungen) zeigten. „Die meisten Patientinnen und Patienten, die in unsere Praxen kommen, haben mehrere psychische Erkrankungen gleichzeitig“, so der DPtV-Bundesvorsitzende.

Anzeige
Anzeige