Autorenkommentar – Entökonomisierung des Gesundheitswesens – ein Kandidat für das Unwort des Jahres?

17.01.2024, Prof. Dr. Andreas Schmid
Politik & Wirtschaft, Interviews & Kommentare

Für mich, trotz aller damit verbundenen guten Intentionen, ein Kandidat für das Unwort des Jahres. Warum ich mir wünsche, dass dieser Begriff 2024 wieder in der Schublade verschwindet:
„Marckmann (2021, S. 190 f.) definiert Ökonomisierung als eine Entwicklung, bei der medizinische Entscheidungen unangemessen durch betriebswirtschaftliche Überlegungen beeinflusst werden, was zu einer Über-, Unter- und Fehlversorgung von Patienten führt. D. h., es liegt eine Dominanz betriebswirtschaftlicher Motivation vor, die zu Ergebnissen führt, die den Interessen der Patienten widersprechen. Im Sinne dieser Definition ist Ökonomisierung ein Vorgang, der möglichst verhindert bzw. möglichst revidiert werden muss.
Der Begriff der Entökonomisierung ist jedoch nicht unproblematisch, wenn man sich mit der gängigen Definition einer Ökonomie auseinandersetzt. Eine Ökonomie ist beispielsweise bei Homann und Suchanek (2005) definiert als eine Gruppe von Individuen, die in einem gemeinsamen Kontext tätig sind, deren Handlungen sich mithin aufeinander auswirken und die gemeinsam mit dem Phänomen der Knappheit konfrontiert sind. Damit sind das Gesundheitswesen, jedes Krankenhaus und jede Arztpraxis Ökonomien. Im Fokus steht die Erkenntnis, dass mit knappen Ressourcen – Geld, aber auch Fachkräften oder Zeit – gemeinschaftlich umgegangen werden muss.

Bei Marckmann (2021) wird nicht impliziert, dass das Gesundheitswesen frei von ökonomischen Zusammenhängen sein kann. Im öffentlichen Diskurs wird „Entökonomisierung“ jedoch häufig verkürzt als genau dies, eine Aufhebung von Restriktionen im Handeln, mithin die Auflösung von Knappheit interpretiert. Dies kann jedoch nicht funktionieren, da Ressourcen stets limitiert sind. Außerhalb der wissenschaftlichen Fachlichkeit mit ihren für jeden Diskurs exakt formulierten Definitionen wird mit dem Begriff „Entökonomisierung“ entsprechend eine Hoffnung geschürt, die zwangsweise enttäuscht werden muss.
(…) Während Ökonomie schlicht eine Beschreibung inhaltlicher Zusammenhänge darstellt, ist Ökonomik die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Ökonomien. Wiederum bei Homann und Suchanek (S. 4) wird deutlich, worin das Potenzial liegt. Sie präsentieren unter anderem folgende Definition von Ökonomik: „Die Ökonomik befasst sich mit Möglichkeiten und Problemen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil.“ Es geht also um die Gestaltung von Regeln, die den gegenseitigen Vorteil befördern. Wird Ökonomik aufgrund einer pauschal negativen Konnotation als sinnvolles Instrument für die Gestaltung des Gesundheitswesens negiert, hat dies negative Konsequenzen zulasten aller.“
Der volle Text findet sich im zum Jahreswechsel erschienen Band „Nutzen, Wert und Public Value“


Prof. Dr. Andreas Schmid ist Manager bei der Oberender AG und außerplanmäßiger Prof. an der Universität Bayreuth. Er ist gemeinsam mit Prof. Dr. Herbert Rebscher und Prof. Dr. Jürgen Zerth Herausgeber des Buches „Nutzen, Wert und Public Value – Geschäftsmodelle in Gesundheits- und Sozialmärkten“

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