e-Health Monitor: Digitalisierung im Gesundheitswesen geht voran – aber stockend

06.02.2024, Sven C. Preusker
Digital Health, Politik & Wirtschaft, Versorgung


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Trotz der großen Zahl an Initiativen und vielen gesetzlichen Neuregelungen geht der Fortschritt in Sachen Digitalisierung im Gesundheitswesen nach wie vor eher langsam voran. Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die Erkrankte bei der Behandlung unterstützen sollen, werden seit ihrer Einführung im September 2020 immer häufiger von Ärzten verschrieben. 2023 dürfte sich die Zahl der DiGA-Verordnungen auf rund 235.000 belaufen – mehr als doppelt so viele wie 2022, wie aus dem jetzt veröffentlichten E-Health Monitor 2023/24 hervorgeht. Bei einer durchschnittlichen Erstattung von 529 Euro pro Verordnung für die Hersteller lag das DiGA-Marktvolumen damit bei rund 125 Millionen Euro. 2022 hatte dieses noch circa 60 Millionen Euro betragen.

Auch die Zahl der Anwendungen, die inzwischen ein breites Spektrum an Krankheiten abdecken, stieg deutlich. Bis Mitte Januar 2024 wurden 53 Anwendungen für zwölf Therapiegebiete in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen – 20 mehr als im Jahr zuvor. Im Rahmen der Publikation des neuen „E-Health Monitor“ der Unternehmensberatung McKinsey & Company haben die Autorinnen und Autoren anhand von rund 30 Indikatoren den digitalen Fortschritt des deutschen Gesundheitssystems gemessen – vom Digitalisierungsgrad der Krankenhäuser und Arztpraxen in Deutschland bis zur Akzeptanz von E-Health-Lösungen und deren Nutzen für Patientinnen und Patienten.

Laura Richter, Partnerin bei McKinsey und Herausgeberin der Studie, sieht in der wachsenden Bedeutung digitaler Gesundheitsanwendungen in der Versorgungslandschaft „ein Beispiel für die Fortschritte bei der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen.“ Das Interesse von Ärztinnen und Ärzten an DiGA nehme zu, mittlerweile habe rund ein Drittel von ihnen bereits eine DiGA verschrieben, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Weitere 14 Prozent planen laut der Untersuchung, die Apps auf Rezept in naher Zukunft auszuprobieren.

Patientinnen und Patienten wollen digitale Services

Auch auf Seiten der Patientinnen und Patienten verstärke sich die Nachfrage nach digitalen Gesundheitsservices, heißt es in dem Report. Zusätzlich zu den DiGA wurden im Jahr 2023 über 14 Millionen Downloads der 40 beliebtesten Gesundheits-Apps verzeichnet, ein Anstieg von fast 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr (zwölf Millionen Downloads). Auch der Anteil der Patienten, die sich Online-Terminvereinbarungen und digitale Rezeptbestellungen wünschen, sei vergangenes Jahr auf 78 beziehungsweise 69 Prozent gestiegen – und damit um jeweils elf Prozentpunkte gegenüber 2022. Parallel dazu habe sich auch der Anteil der ambulanten Arztpraxen, die digitale Services anbieten, um fünf Prozentpunkte auf 66 Prozent erhöht. Auch die Forschung beschäftige sich zunehmend mit dem Thema E-Health, heißt es in der Veröffentlichung. 112 Studien haben demnach 2022 den Nutzeneffekt von E-Health-Lösungen quantifiziert, 88 davon wiesen einen positiven Nutzeneffekt von E-Health-Anwendungen nach.

Insgesamt verlaufe die Digitalisierung im Gesundheitswesen allerdings „oft noch holprig,“ so die Autorinnen und Autoren. So seien zwar inzwischen nahezu alle Apotheken (99 Prozent) und Arztpraxen (98 Prozent) an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen. Gleichzeitig würden jedoch über zwei Drittel (69 Prozent, Zahlen aus dem Praxisbarometer Digitalisierung 2022 der KBV) der angeschlossenen Arztpraxen von wöchentlichen oder sogar täglichen Problemen mit der Technik berichten. Im Vorjahr (2021) betrug dieser Wert noch 50 Prozent.

Im „Praxisbarometer Digitalisierung 2022“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, welches einige Daten für den E-Health Monitor geliefert hat, konnte man einen Blick auf die Hemmnisse für Digitalisierung im ambulanten Sektor werfen. Dort hieß es, 2022 seien im Vergleich zum Vorjahr in einigen Bereichen weniger Hemmnisse wahrgenommen worden. Die Einschätzung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, der Fehleranfälligkeit der EDV-Systeme und mangelnden Nutzerfreundlichkeit sei jedoch weitgehend gleichbleibend gewesen, ein großer Teil der Niedergelassenen nehme diese Punkte in der Praxis weiterhin als ungünstig wahr. In den Fokusgruppeninterviews hätten viele Befragte betont, dass der zeitliche Aufwand für die Einführung der Anwendungen sehr hoch sei und mit hohen Zusatzkosten für die Praxen einhergehe, der Nutzen für die Versorgung der Patientinnen und Patienten aber sehr überschaubar sei.

Dynamik durch verpflichtende Vorgaben

Auch die elektronische Patientenakte (ePA) verbreite sich – trotz ihrer angedachten Schlüsselrolle bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems – bislang nur schleppend, so die Autorinnen und Autoren des E-Health Monitors. Im Jahr 2023 wurden rund 350.000 ePA aktiviert, circa 41 Prozent mehr als 2022 – aber immer noch erschreckend wenig. Dennoch hat damit immer noch nur rund ein Prozent der gesetzlich Versicherten in Deutschland eine ePA aktiviert. Mit der Einführung des Opt-out-Verfahrens, bei dem Versicherte automatisch eine ePA erhalten, sofern sie nicht aktiv widersprechen, sollen die Verbreitung und Nutzung der ePA einen Schub erfahren. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) strebt im Rahmen seiner Digitalstrategie bis 2025 eine ePA-Abdeckung von 80 Prozent unter gesetzlich Versicherten an. Das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digitalgesetz, DigiG), mit dem unter anderem die Umstellung von Opt-In auf Opt-Out bei der ePA umgesetzt werden soll, ist nach dem Bundestagsbeschluss Ende 2023 und der Zustimmung des Bundesrats Anfang Februar 2024 nun verabschiedet.

Wie verpflichtende Vorgaben die Dynamik bei der Nutzung verstärken können, werde am E-Rezept deutlich, heißt es im E-Health Monitor. Zwar habe sich bereits in der zweiten Jahreshälfte 2023 ein deutlicher Nutzungsanstieg gezeigt – lag die Zahl der eingelösten E-Rezepte 2022 noch unter 900.000, waren es 2023 schon rund 18 Millionen. Dies entsprach allerdings nur etwa zwei Prozent der jährlichen GKV-Rezepte. Erst mit der verpflichtenden Einführung Anfang 2024 habe die Dynamik bei E-Rezepten mehr Fahrt aufgenommen. Bereits Mitte Januar wurden mit rund 22 Millionen mehr E-Rezepte eingelöst als im gesamten Jahr 2023 (Stand 22.1.2024). Damit ist inzwischen rund jedes zweite eingelöste Rezept ein E-Rezept.

„ePA und E-Rezept sollen tragende Säulen der digitalen Versorgung in Deutschland werden. Die internationale Erfahrung zeigt, dass die Einführung des Opt-out-Verfahrens der ePA zum Durchbruch verhelfen könnte,“ so Matthias Redlich, Partner bei McKinsey und Herausgeber der Studie. „Darüber hinaus wird es essenziell sein, kontinuierlich die Nutzerfreundlichkeit digitaler Services zu verbessern, damit diese in der Praxis echten Mehrwert stiften und langfristig erfolgreich werden.“

Telemonitoring könnte von regulatorischen Impulsen profitieren

Von regulatorischen Impulsen könnte der Studie zufolge auch Telemonitoring, also der Kontrolle und Auswertung von Gesundheitswerten wie Blutdruck, Puls oder Blutzuckerspiegel aus der Ferne, profitieren. Bislang sei Telemonitoring (Fokusthema dieses E-Health Monitors) in Deutschland nur wenig verbreitet. Das zeige ein Vergleich mit den USA, wo inzwischen rund zwölf Prozent der Bevölkerung über Telemonitoring-Anwendungen versorgt werden. In Deutschland hingegen wird die Zahl der Telemonitoring-Patienten – etwa wegen Herzinsuffizienz – auf rund 200.000 geschätzt. Dabei könnten Telemonitoring-Anwendungen für Patienten einen hohen therapeutischen Nutzen haben und bei der Versorgung von chronischen Krankheiten eine wichtige Rolle spielen. Sie würden einerseits die laufende Betrachtung von Vitalparametern erlauben, sodass Ärztinnen und Ärzte eine breitere Datenbasis erhalten und schnellere Diagnosen stellen und Therapieentscheidungen treffen könnten. Andererseits müssten Erkrankte für eine Testung nicht mehr jedes Mal persönlich in die Praxis kommen. Neben dem Beitrag zur verbesserten Patientenversorgung könne Telemonitoring auch erheblichen ökonomischen Nutzen für das Gesundheitssystem stiften. Nach Berechnungen von McKinsey beträgt das Nutzenpotenzial von Telemonitoring-Technologien rund 4,3 Milliarden Euro jährlich, 67 Prozent dieses Potenzials würden dabei auf die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten entfallen, 26 Prozent auf kürzere Liegezeiten und die Verschiebung der Behandlung in ambulante Versorgungsformen, hieß es. Weiteres Potenzial ergebe sich aus der Vermeidung von Anschlussbehandlungen und Notfalltransporten chronisch Erkrankter.

„Telemonitoring-Anwendungen können die Grundlage für lebenswichtige medizinische Entscheidungen sein und ermöglichen darüber hinaus eine strukturierte Auswertung von Gesundheitsdaten, von der auch die Therapie- und Versorgungsforschung profitieren kann. Natürlich ist essenziell, dass diese Technologien sicher und verlässlich sind“, sagte Tobias Silberzahn, Partner bei McKinsey und Herausgeber der Studie. „Noch ist Deutschland nicht am Ziel, aber langfristig trägt die Digitalisierung im Gesundheitswesen dazu bei, sowohl die Spitzenmedizin als auch die Routineversorgung zu verbessern sowie effizienter und sicherer zu machen.“

PraxisBarometer: Sektorengrenzen weiterhin Digitalisierungsgrenzen

Einen wichtigen Punkt haben die Befragten im Praxisbarometer Digitalisierung 2023 der KBV angesprochen: So bleiben in vielen Fällen Sektorengrenzen weiterhin auch Digitalisierungsgrenzen. Gerade im Austausch mit den Krankenhäusern sei der Anteil der digitalen Kommunikation weiterhin gering, heißt es. Laut PraxisBarometer sagen nur knapp sieben Prozent der Befragten, dass die schriftliche Kommunikation mit Krankenhäusern nahezu oder mehrheitlich digital erfolge. Besonders gravierend sei dies angesichts der Tatsache, dass 71 Prozent der Befragten einen großen Anwendungsnutzen in der digitalen Übermittlung von Krankenhaus-Entlassbriefen sehen.

Beim deutlichen Zuwachs der Kommunikation der Niedergelassenen untereinander sei dagegen insbesondere ein starker Anstieg des Anteils des E-Mail-Dienstes „Kommunikation im Medizinwesen“ (KIM) an der digitalen Kommunikation zu verzeichnen. Innerhalb eines Jahres habe sich der Anteil der Praxen, die KIM-Nachrichten an andere Praxen versenden, von 20 auf 38 Prozent fast verdoppelt. 

Laut der KBV ist die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) die meistgenutzte TI-Anwendung. Fast 92 Prozent der Befragten setzen sie ein. Aktuell weise die eAU unter den TI-Anwendungen zudem den höchsten Zufriedenheitswert auf: Fast 50 Prozent der Praxen geben an, eher bis sehr zufrieden zu sein. Die niedrige Verbreitung der ePA lässt sich laut KBV insbesondere auf die geringe Nutzung durch die Patienten zurückzuführen. 65 Prozent der Praxen würden zudem angeben, dass der Aufwand für die ePA höher sei als ihr Nutzen. Von den Praxen, die die ePA nutzen, berichteten fast 60 Prozent, dass sie sie lediglich vorhalten würden, um Sanktionen zu vermeiden.

Dr. Sibylle Steiner, Vorstandsmitglied der KBV, wies darauf hin, dass Verfahren so schnell wie möglich vollständig digitalisiert werden müssten. „Eine teilweise Digitalisierung schafft doppelte Aufwände und verringert damit die Akzeptanz in der Vertragsärzteschaft.  Bevor neue Bereiche für die Digitalisierung in den Blick genommen werden, sollte daher eine vollständige Digitalisierung bereits eingeführter Verfahren erfolgen.“ Bei der eAU sollte spätestens mit Einführung der Opt-Out-ePA ein volldigitalisiertes Verfahren etabliert werden. Beim eRezept müsse zeitnah eine digitale Möglichkeit der Übermittlung von Rezepten an Pflegeheime geschaffen werden.

Steiner plädierte bei der Vorstellung des PraxisBarometers außerdem für eine flächendeckende Sicherstellung der Qualität der Hard- und Softwarekomponenten. „Das aktuell genutzte Mittel der sanktionsbewehrten Einführung von Anwendungen ist ein Ausdruck der Hilflosigkeit des Gesetzgebers angesichts unzureichend funktionierender Technik“, kritisierte die KBV-Vorständin. Dort, wo derzeit Marktmechanismen versagen, müssten andere Instrumente genutzt werden. Die Qualität und Nutzerfreundlichkeit von Anwendungen sei ein zentraler Aspekt bei der Digitalisierung von Prozessen. Steiner: „Hierzu müssen unter anderem Performanz- und Usability-Vorgaben sektorübergreifend und zentral durch die verantwortliche Stelle – beispielsweise durch die gematik – vorgegeben, zugelassen und durchgesetzt werden.“

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 02-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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