Physiotherapieausbildung: Teilakademisierung geplant

21.02.2024, Sven C. Preusker
Heilberufe, Aus- & Weiterbildung, Politik & Wirtschaft

Die Physiotherapieausbildung soll mit einer umfassenden Reform den Anforderungen einer komplexer gewordenen Gesundheitsversorgung angepasst sowie zeitgemäß und attraktiv ausgestaltet werden – so heißt es in einem nach wie vor unveröffentlichten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der Berufe in der Physiotherapie (Physiotherapieberufereformgesetz – PhyThBRefG). Die bislang geltenden Regelungen des Masseur- und Physiotherapeutengesetz sind bereits 1994 in Kraft getreten, eine Überarbeitung und Anpassung an die aktuellen Anforderungen und Gegebenheiten wird seit langem gefordert. Das neue Gesetz soll laut BMG mit Übergangsregelungen zum 1. Januar 2025 in Kraft treten.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe gemeinsam mit den Gesundheitsressorts der Länder Eckpunkte zu einem „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“ erarbeitet – auf diesen baut der Entwurf nun auf. Er zielt auf eine „qualitativ hochwertige, stärker wissenschaftlich ausgerichtete, auf evidenzbasierten Konzepten basierende und gleichzeitig praxisnahe Ausbildung“ ab. Die zukünftige berufsfachschulische Ausbildung im Beruf der Physiotherapie soll mindestens dieselben Aufgaben in der Versorgung abdecken wie die bisherigen Berufe in der Physiotherapie. Daneben soll eine hochschulische Ausbildung in der Physiotherapie geschaffen werden, die Kompetenzen umfasst, die über die berufsfachschulische Ausbildung hinausgehen. Außerdem soll sie die eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen auf dem Gebiet der Physiotherapie ermöglichen. „Dies kann perspektivisch auch eine Heilmittelversorgung in der Physiotherapie im Direktzugang und Weiterentwicklungen im akademischen Bereich, insbesondere der Entwicklung weiterführender Masterstudiengänge, ermöglichen“, heißt es im Entwurf weiter. Die seit langem geforderte, größere Autonomie oder „freie Berufsausübung“ für Physiotherapeutinnen und -therapeuten würde also mit diesem Gesetz vorerst nicht kommen, sondern nur „perspektivisch“ ermöglicht werden. Im genannten Eckpunktepapier heißt es dazu: „Akademisierung und Direktzugang unter Einschluss der selbständigen Ausübung von Heilkunde können dabei Aspekte sein, die qualitativ hochwertige Patientenversorgung interprofessionell zu leisten, gut ausgebildeten Fachkräften weitergehende Betätigungsfelder zu ermöglichen, sie langfristig in einer ihrer Ausbildung entsprechenden Beschäftigung in den Gesundheitsfachberufen zu binden und die Ausbildungen insgesamt für junge, interessierte Menschen attraktiver zu gestalten.“

Im Koalitionsvertrag der derzeitigen Regierungskoalition war auch von Modellprojekten zum Direktzugang für therapeutische Berufe die Rede – eine Umsetzung ist im vorliegenden Entwurf allerdings nicht zu erkennen. Der GKV-Spitzenverband hatte den Direktzugang unter anderem Mitte 2023 thematisiert – damals hieß es: „Vergleicht man die Leitlinien der ‚World Confederation for Physical Therapy‘ (WCPT) mit der deutschen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten (PhysTh-APrV), so ist festzustellen, dass wesentliche Kompetenzen für den Direktzugang in Deutschland bisher nicht vermittelt werden.“ Es mangele vor allem an spezifischen Inhalten zur eigenständigen Diagnosestellung und Differentialdiagnostik sowie zur evidenzbasierten Problemlösung und Entscheidungsfindung. Nur so würden Therapierende in die Lage versetzt, selbstständig ohne ärztliche Verordnung zu behandeln. Weiter hieß es: „Die Ausbildungsstandards sind aufgrund der föderalen Bildungsstrukturen in Deutschland nicht einheitlich. In einigen Bundesländern existieren noch nicht einmal landeseinheitliche Lehrpläne, so dass der Umfang vermittelter Kenntnisse dort sogar von Schule zu Schule variiert. In der Physiotherapie qualifiziert bspw. die Primärausbildung bedauerlicherweise nicht für häufig nachgefragte Leistungen wie gerätegestützte Krankengymnastik, Manuelle Lymphdrainage oder Manuelle Therapie, sodass hierfür erst noch umfangreiche Weiterbildungen absolviert werden müssen. Ein Umstand, der mit einem Direktzugang nur schwer vereinbar ist.“ Einheitliche Ausbildungsstandards, die die notwendigen Kompetenzen für einen Direktzugang und ein ausreichendes Leistungsspektrum abbilden, seien zwingende Voraussetzung für einen Direktzugang auch in Modellvorhaben, resümierte der Verband.

Ausbildungsvergütung soll verpflichtend werden

Der Entwurf sieht für die berufsfachschulische Ausbildung in der Physiotherapie die verpflichtende Zahlung einer angemessenen, monatlichen Ausbildungsvergütung durch die Träger der praktischen Ausbildung vor. Das Ministerium schätzt, dass bisher rund ein Viertel der derzeit bundesweit 24.390 Auszubildenden in der Physiotherapie eine Ausbildungsvergütung und 75 Prozent aktuell keine Vergütung erhalten. Die Höhe der Vergütung wird im Entwurf nicht beziffert – die erwarteten jährlichen Mehrkosten durch eine flächendeckende Ausbildungsvergütung jedoch schon: für die Physiotherapie könnten künftig mindestens 441 statt derzeit rund 110 Millionen Euro anfallen. In der Ausbildung nach dem Masseur- und medizinische Bademeister-Gesetz sieht das Ministerium Mehrkosten von rund 19 Millionen Euro. Dabei wären die Mehrkosten der Ausbildungsvergütung vom Träger der Ausbildung zu tragen – im Falle von Krankenhäusern als Ausbildungsträger von der GKV. 

Neu und auch innovativ?

Prof. Dr. rer. med. Claudia Winkelmann, Inhaberin der Schwerpunktprofessur für Qualitätsgesicherte Strukturentwicklung in Studium und Lehre und wissenschaftliche Gesamtleitung des Bereichs Weiterbildung sowie Professorin für Betriebswirtschaft und Management im Gesundheits- und Sozialwesen  an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, kommentierte den Entwurf wie folgt: „In den vergangenen Jahren wurde in den verschiedenen Gremien der Politik, Forschungs-, Bildungs- und Praxis-Institutionen zum Physiotherapiegesetz debattiert. Der Referentenentwurf liegt, weil er durchgestochen wurde, nun einigen schon vor, erwartet wird er in Kürze. Meine dahingehenden Impulse für die Zukunft der Physiotherapie in Deutschland sind auf die Vollakademisierung gerichtet. Wie es der Verband für Physiotherapie (VPT) und der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) formulieren, kann die Teilakademisierung ein erster Schritt auch als Übergangslösung mit Blick auf dieses Ziel sein. Zudem werde ich mich auch weiterhin für das duale Studium ähnlich dem Medizinstudium in Deutschland engagieren. Nach dem Modell der staatlichen Dualen Hochschule Baden-Württemberg werden dann die Studierenden zum Studium delegiert. Die Praxiseinsätze definieren und begleiten die Teams in Kliniken und Praxiseinrichtungen gemeinsam mit der Hochschule. Studierende bearbeiten Forschungsfragen, die die Teams in der Praxis beschäftigen, und tragen so auch zum kontinuierlichen und beiderseitigen Transfer bei. Kleine Praxen, deren Möglichkeiten begrenzter sind, können Kooperationsverträge mit größeren Einrichtungen wie z. B. Rehakliniken, Maximalversorgern oder MVZ schließen. Auf diese Weise werden die Studierenden an die wertvolle ambulante Physiotherapieversorgung herangeführt, aber auch an Konzepte zur interdisziplinären, interprofessionellen und sektorenübergreifenden Versorgung. Um insbesondere für die Einrichtungsleitungen und die bestehenden Teams eine gewisse Verlässlichkeit der Erwartungen an die Kompetenzen der Absolventinnen und Absolventen zu schaffen, mache ich mich stark für einen deutschlandweit einheitlichen, kompetenzbasierten Lernzielkatalog. Dieser Impuls kommt aus dem Bachelorstudium der Sozialen Arbeit, das den Berufsabschluss enthält, sowie aus dem Medizinstudium in Deutschland. Der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM) nutzt außerdem das CanMEDS-Rollenmodell für die Ausdifferenzierung der für die optimale, qualitätsgesicherte Versorgung benötigten Kompetenzen oder besser der dahingehenden Performanz. Die hoch qualifizierten (zu einem großen Teil hinsichtlich der pädagogisch-didaktischen Qualifikation höher als Hochschullehrende) Lehrenden an Berufsfachschulen könnten eine tragende Rolle in praxisorientierten Seminaren und Workshops sowie in der Praxisanleitung spielen. Dies ist in vielen Fällen bereits Realität und ein großer Mehrwert für die Studierenden. Bei der bisher in Teilen schon erfolgten Praxis, Weiterbildungszertifikatskurse in die grundständige Ausbildung zu integrieren, stellen sich mir die Fragen nach den Voraussetzungen für Weiterbildung, nach der Definition von Weiterbildung und nach dem Volumen bzw. Workload und der Prüfungslast. Möglicherweise klären sich durch Anpassung der Curricula im Zusammenhang mit dem erwähnten einheitlichen Lernzielkatalog diese Fragen auf. Eine Weiterbildung zum Fachphysiotherapeuten (m/ w/ d) spezialisiert auf medizinische Fachgebiete könnte ebenfalls künftig eine Lösung sein. Die immer wieder geäußerte Sorge der Ärztinnen und Ärzte – insbesondere auf den Gebieten der physikalischen und rehabilitativen Medizin – hinsichtlich der Versorgungsqualität ließe sich möglicherweise somit ausräumen. Hier mündet auch die Thematik des Direktzugangs ein. In diesem Sinne wünsche ich allen Patientinnen und Patienten mit Physiotherapiebedarf den optimalen Zugang zu und die optimale Versorgung durch Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen.“

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 03-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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