Interview mit Prof. Karl Einhäupl: Wir müssen Arbeitsmodelle schaffen, die mit den Lebensentwürfen vereinbar sind

20.03.2024, medhochzwei
Interviews & Kommentare, Veranstaltungen, Wissenschaft & Forschung

Der Neurologe Prof. Karl Max Einhäupl ist Kongresspräsident des diesjährigen Hauptstadtkongresses. Er absolvierte das Studium der Humanmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, legte 1974 das Examen ab und promovierte ein Jahr später an der LMU München. 1986 habilitierte er im Fachgebiet Neurologie. Einhäupl arbeitete in der Neurologischen Klinik der LMU München mit einem Schwerpunkt in der „neurologischen Intensivmedizin“. Von 1993 bis 2008 war er der Direktor der Klinik für Neurologie der Charité Berlin. Von 2008 bis September 2019 war der Neurologe Vorstandsvorsitzender der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Seit 2021 ist er Vorsitzender des Kuratoriums der Freien Universität Berlin.

medhochzwei: Ende Juni findet der diesjährige Hauptstadtkongress in Berlin statt – in einer Zeit, die von vielen Ungewissheiten für die Zukunft der Gesundheitsversorgung geprägt ist, gleichzeitig aber auch von Aufbruchstimmung, was neue Technologien und Möglichkeiten angeht. Wie ist ihr „Blick in die Zukunft“ geprägt?

Prof. Karl Einhäupl: Gemessen an den Zugangsmöglichkeiten zu allen medizinischen Leistungen für jeden Patienten ist Deutschland noch immer das beste Gesundheitssystem der Welt. Um diese Position zu halten, sind aber größte Anstrengungen erforderlich. Die Zukunft der Medizin wird in der Tat von grandiosen, aber auch teuren Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz, Nanotechnologie oder personalisierter Medizin – um nur einige zu nennen – bestimmt sein. Um das Gesundheitssystem darauf anzupassen, bedarf es einer Überwindung der vielfältigen Partikularinteressen, die heute noch dringende Schritte verhindern. 

mhz: Seit einiger Zeit sind die Begriffe „künstliche Intelligenz“, „Machine Learning“, „Large Language Models“ oder „Generative Artificial Intelligence“ ja nicht mehr nur in Fachkreisen, sondern auch in der Bevölkerung mehr oder weniger geläufig. Welche dieser Schlagworte haben in der Medizin der Zukunft (oder auch heute schon?) Bedeutung und werden sie entscheidend prägen?

Einhäupl: ChatGPT hat die rasante Entwicklung der Möglichkeiten künstlicher Intelligenz für jeden erfahrbar gemacht. Ihr Potenzial in der Medizin wird maßgeblich vom Zugang zu Daten abhängen. Dies erfordert ein stetiges Ringen, um die Balance zwischen Bereitstellung von Daten und Datenschutz zu gewährleisten und ebenso einen neuen Typus medizinischen Personals, der darauf vorbereitet ist, dieses Potenzial verantwortungsvoll zu nutzen.

mhz: Eins der größten Probleme in der Gesundheitsversorgung nicht nur in Deutschland, sondern praktisch weltweit, ist der zunehmende Mangel an Fachkräften, gerade im Bereich der Pflege. Werden die Schlagworte aus der letzten Frage da Abhilfe schaffen können?

Einhäupl: Der Mangel an qualifiziertem medizinischem Personal hat zwischenzeitlich alle Berufsgruppen erreicht und er wird nicht durch höhere Löhne beherrschbar sein. Es muss uns gelingen, Arbeitsmodelle zu schaffen, die mit den Lebensentwürfen vereinbar sind, die Karrieremöglichkeiten eröffnen und Wertschätzung erfahrbar machen. Und wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass alles wieder so wird, wie es in den besten Jahren war. Es wird mehr Arbeit mit weniger Personal geleistet werden müssen. Digitale Strukturen, insbesondere künstliche Intelligenz, kann dazu einen Beitrag leisten, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie selbst einen deutlichen Aufwuchs einschlägig qualifizierten Personals erfordert.

mhz: Nicht nur im Bereich der KI etc. finden Innovationen statt, sondern auch an anderen Stellen. Welche Erkenntnisse in der medizinischen Wissenschaft und welche anderen, neuen Technologien werden die Medizin und Versorgung der Zukunft prägen?

Einhäupl: Für jede Krankheit sind letztlich gengesteuerte Prozesse maßgebend. Diese und die davon geleitete komplexe Steuerung zu entschlüsseln, wird durch moderne biologische, chemische und physikalische Technologien immer präziser. Daraus abgeleitete, präventive und therapeutische Ansätze müssen aber schließlich in qualifizierten klinischen Studien ihre Wirksamkeit und Sicherheit beweisen. Nur wo diese Evidenz erbracht ist, darf ein Verfahren ausgerollt und finanziert werden. Die gilt insbesondere auch für Interventionen wie Operationen oder diagnostische Eingriffe.

mhz: Seit einigen Jahren wird nun schon über ein zukunftsfestes Gesundheitssystem gesprochen und diskutiert, in einigen europäischen Ländern hat es schon große Veränderungen gegeben. Wie sieht aus Ihrer Sicht das deutsche Gesundheitssystem der Zukunft 2030 (oder 2035?) aus? 

Einhäupl: Entscheidend für unsere Gesellschaft wird sein, dass das Gesundheitssystem auch in Zukunft solidarisch finanziert wird. Um bei der zunehmenden und auch erforderlichen Spezialisierung aller medizinischen Berufe den Patienten nicht zu „verlieren“, gilt es, die Rolle des „Hausarztes“ als Generalisten, der den Patienten führt, wieder deutlich zu stärken. 

Die Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen werden sich in deutlich unterschiedlichen Strukturelementen niederschlagen müssen.

Für die Sicherung der Qualität jeglicher medizinischen Leistungen werden weitere Strukturen entwickelt werden müssen.

Nicht nur die demographische Entwicklung zwingt uns zeitnah Versorgungstrukturen der Langzeitpflege neu zu definieren und ihre Finanzierung sicherzustellen.

Viele dieser Themen wollen wir deshalb auf dem Hauptstadtkongress 2024 wieder von kompetenten Experten vertiefen lassen und durch einen interdisziplinären Dialog einer Lösung näherbringen.

mhz: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 05-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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