Dr. Katharina Rieth: Routine bei Kindernotfällen fehlt

07.12.2022, Sven C. Preusker
Kinder & Familie, Interviews & Kommentare

Dr. med. Katharina Rieth, Kinderfachärztin, Intensivmedizinerin und Notärztin, hat das Buch „Fit für den Kindernotfall“ geschrieben, das im medhochzwei Verlag erschienen ist. Im Interview spricht sie darüber, warum das Buch nicht nur für Eltern und Großeltern, sondern für alle geeignet ist, die mit Kindern umgehen, z.B. auch Studentinnen und Studenten der Humanmedizin, der Pädagogik und Erziehungswissenschaften, für Pflegefachpersonen oder für fachfremde Ärztinnen und Ärzte. Die Fragen stellte KMi-Chefredakteur Sven C. Preusker.

 

Klinik Markt inside: Dr. Rieth, warum ist es so wichtig für alle, die mit Kindern zu tun haben, zu wissen, wie sie mit einem Kindernotfall umgehen können?

Dr. med. Katharina Rieth:
Kinder sind – entgegen der Vermutung vieler – eben keine „kleinen Erwachsenen“, sondern weisen entscheidende anatomische, physiologische sowie emotionale Unterschiede auf. Jeder, der mit Kindern umgeht, sollte diese unbedingt kennen, um einen Kindernotfall primär zügig als solchen erkennen und demzufolge rasch und richtig handeln zu können. Die geringe Apnoetoleranz im Falle eines Atemstillstandes, die rasche Dekompensation bei Volumenmangel oder auch die Gefahr schwerwiegender innerer Verletzungen nach Trauma ohne erwachsenentypische äußerliche Verletzungsanzeichen sind nur einige Beispiele hierfür. Im Kindernotfall zählt quasi jede Sekunde! Das Absetzen des Notrufes (112) und das Warten auf Hilfe, ohne zu handeln, bis die Notfallretter oder das innerklinische Reanimationsteam eintreffen, reichen nicht aus.

Zudem machen Kindernotfälle nur ca. 6,4 Prozent aller Notfälle aus, weshalb in der Präklinik wie auch innerklinisch sowohl Rettungsdienst-/Pflegepersonal als auch Ärztinnen und Ärzten die entsprechende Routine fehlt. Viele ruhen sich in Anbetracht des niedrigen Prozentanteils auch darauf aus, dass „schon nichts schlimmes passieren wird“, weshalb sie sich nicht eingehend mit dem Thema der Kindernotfallmedizin beschäftigen. Dies spiegelt sich bisher leider auch im geringen Stellenwert der Kindernotfallmedizin in der Aus- und Weiterbildung von medizinischem Personal (skills) wie auch der fehlenden Umsetzung pädiatrischer Leitlinien in Sachen Ausrüstung (equipment) wider. Da ist noch viel Luft nach oben!

KMi: Ihr Buch „Fit für den Kindernotfall“ ist ja nicht nur für Eltern und Großeltern, sondern für alle, die mit Kindern umgehen, gedacht – zum Beispiel auch Gesundheitsprofis. Was macht da Buch für diese Zielgruppe so wertvoll?

Rieth: Das Buch geht weit über das normale Einmaleins der Kindernotfallmedizin hinaus und beinhaltet von Basics zu den wichtigsten Kindernotfällen bis hin zur Reanimation inhaltlich alles, was man insbesondere zum Erkennen, zur Behandlung und auch zur Prävention von Kindernotfällen benötigt. Der Fokus liegt vor allem darauf, Hilfestellungen zu vermitteln, um Kindernotfälle frühzeitig zu erkennen. Denn dies ist sowohl prä- als auch innerklinisch entscheidend, um die Patienten verlässlich zu triagieren und eine dementsprechend weitere Diagnostik und Therapie einzuleiten. Auch die Prävention ist entscheidend! Schließlich ist man als „Gesundheitsprofi“ nicht nur Behandler, sondern zum Großteil auch Berater und trägt dazu bei, dass man nicht nur selbst „fit für den Kindernotfall“ wird, sondern sein Wissen auch weitergibt.

Durch das große Repertoire sind einerseits Eltern bedient, denen anhand vieler detaillierter Illustrationen, Mindmaps, verlässlicher Vernetzungsangebote via QR-Codes, Ausrüstungslisten von beispielsweise Haus- und Reiseapotheke, einem Miniwörterbuch für das medizinische „Fachchinesisch“ und vielem mehr das Verständnis deutlich erleichtert wird. Andererseits und insbesondere möchte ich auch medizinisches Personal ansprechen, dem kompakte Flow-charts, anerkannte pädiatrische Beurteilungsschemata, leitliniengerechtes, aktuelles Wissen und evidenzbasierte Medizin mit einer Vielzahl an Quellenangaben zur Vertiefung des Wissens wie auch Vernetzungsangebote zur Verfügung stehen. Zusammenfassend also ein Werk, dass ich jedem, der mit Kindern zu tun hat, sei es privat oder beruflich, ans Herz legen kann.

KMi: Nur zwischen sechs und sieben Prozent der Notfälle sind Kindernotfälle – stellt sich bei Ihnen im kinderärztlichen Notdienst auch medizinisches Personal mit den eigenen Kindern zur Mitbeurteilung vor?

Rieth: Ich bin tatsächlich häufig erstaunt, dass sich neben Laien auch viele Angehörige der eingangs genannten Berufsgruppen trotz ihres jeweiligen Fachwissens mit ihren Kindern zur Mitbeurteilung in der Kindernotfallambulanz vorstellen. Dies zeigt, wie groß häufig die Verunsicherung und die Angst sind, etwas falsch zu machen oder zu übersehen, sobald es sich um Kinder handelt und auch, dass sich dies durch alle Berufsgruppen hindurch zieht. Vor Ort stellt man dann häufig fest, dass die Fragen und Ängste durch einfache Erläuterungen, wie sie auch in meinem Buch abgehandelt werden, bereits geklärt und aufgehoben werden können. Meist kommt dann ein: „Hätte ich das gewusst, wäre ich gar nicht erst hergefahren“ oder: „Na, wenn das so ist, dann brauche ich deshalb nächstes Mal nicht mehr herkommen“. Durch die Lektüre könnten also bereits viele Fragen im Vorfeld geklärt und mit Sicherheit auch unnötige Vorstellungen vermieden werden. Genauso, wie dringend notwendige Vorstellungen versiert werden könnten, dadurch, dass den Lesern ein Gefühl für Warnsignale vermittelt wird.

KMi: Können Sie noch kurz erläutern, wie das Buch aufgebaut ist?

Rieth: Das Buch behandelt in 20 Kapiteln Alles rund ums Thema der Kindernotfallmedizin, angefangen von Basics wie z.B. „Fiebermessen“ und Medikamente verabreichen über die wichtigsten Kindernotfälle bis hin zur Reanimation von Säuglingen und Kindern. Die einzelnen Kapitel sind so aufgebaut, dass sie alle Lerntypen ansprechen und bieten sowohl anschauliche Illustrationen, hilfreiche Flow-charts als auch Zusammenfassungen. Mittels QR-Codes werden die Leser zu Seiten pädiatrischer Fachgesellschaften, ausgearbeiteten Leitlinien, Vereinen etc. weitergeleitet, die einen Mehrwert zum jeweiligen Kapitelthema bieten. Ein Beispiel: Der Podcast „Die Expertise-Piraten“ von Kai Hensel, der Evidenz-basiertes Wissen aus allen Fachbereichen und Subspezialisierungen der Kindermedizin vermittelt. In der Folge „Wie erkenne ich ein kritisch krankes Kind?“ spricht Dr. Michael Sasse über dieses wichtige Thema für Kinder-Behandlerinnen und -Behandler, man kann sie unter https://www.expertise-piraten.eu/1892330/11187567-wie-erkenne-ich-das-kritisch-kranke-kind-kinder-insensivmedizin-im-spotlight-mit-dr-michael-sasse?t=0 hören.

Auch die Minirezensionen bieten einen wertvollen Einblick in das Engagement und die Herzensprojekte vieler weiterer Fachkollegen-/innen, die der Erleichterung der weiteren Vernetzung untereinander dienen. Im Fokus des Buches steht das Erkennen von Kindernotfällen, was, wie oben bereits geschildert, auch für Fachpersonal nicht immer einfach ist. Darauf bauen dann Handlungsanweisungen zum raschen und richtigen Handeln auf. Damit Untersuchungen von Kindern, insbesondere im Notfall, wenn es schnell gehen muss, einfacher von der Hand gehen, gibt es Tipps und Tricks, sowohl für Eltern auch als für den Untersucher. Auch dem Thema Reisen mit Kindern ist ein Kapitel gewidmet, da reisemedizinische Problematiken sich aus dem Reise- bis ins Rückkehrland verschleppen und unerkannt schwerwiegende Folgen haben können.

KMi: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Hier finden Sie weitere Informationen zum Titel Fit für den Kindernotfall.

 

Dieser Beitrag stammt aus der Klinik Markt inside 22-2022. Erfahren Sie hier mehr über die Themen von Klinik Markt inside.

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