Vorschläge für grundlegende Reform der Krankenhausvergütung: Es hängt an der Umsetzung

21.12.2022, Sven C. Preusker
Politik & Wirtschaft, Krankenversicherung, Pflege, Interviews & Kommentare

Angekündigt hatte Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) schon seit einer Weile eine „Revolution im System“ – wie revolutionär die kürzlich veröffentlichten Vorschläge der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung im Endeffekt sein werden (können), hängt aber stark von ihrer Umsetzung im Gesetzgebungsprozess ab. Lauterbach hatte am 6. Dezember die Vorschläge der Krankenhauskommission unter dem Titel „grundlegende Reform der Krankenhausvergütung“ vorgestellt. „Diese Empfehlung wird eine Grundlage für unsere große Krankenhausreform sein,“ sagte er bei der Vorstellung. Künftig sollten medizinische, nicht ökonomische Gründe für das Handeln von Krankenhäusern im Vordergrund stehen, so Prof. Tom Bschor, Koordinator der Kommission. Dafür müsse das Fallpauschalen-System überwunden werden, ergänzte Lauterbach. „Eine gute Grundversorgung für jeden muss garantiert sein und Spezialeingriffe müssen auf besonders gut ausgestattete Kliniken konzentriert werden. Momentan werden zu oft Mittelmaß und Menge honoriert. Künftig sollen Qualität und Angemessenheit allein die Kriterien für gute Versorgung sein,“ betonte Lauterbach. 

Eine wirkliche Überwindung der Fallpauschalen stellen die Vorschläge auf den ersten Blick jedoch nicht dar – sollen sie doch weiter zwischen 40 Prozent und 60 Prozent der Vergütung für stationäre Behandlungen ausmachen, der verbleibende Anteil soll durch Vorhaltepauschalen inklusive der Pflegebudgets abgedeckt werden. 

Die Vorschläge der Kommission

Konkret empfiehlt die Kommission, um die Bedeutung der Krankenhäuser für die Daseinsvorsorge zu unterstreichen und um den wirtschaftlichen Druck auf möglichst viele Behandlungsfälle zu senken, künftig einen festen Betrag als Vorhaltekosten zu definieren, den Krankenhäuser je nach ihrer Zuordnung in die Versorgungsstufen erhalten. Dabei sollen die Vorhaltekosten über die 128 von der Kommission vorgeschlagenen Leistungsgruppen rund 40 Prozent der Vergütung umfassen, wobei die aktuellen Pflegebudgets rund 20 Prozent dieser Vorhaltekosten ausmachen sollen. In Intensivmedizin, Notfallmedizin, Neonatologie und Geburtshilfe soll die Vorhaltung rund 60 Prozent der Vergütung ausmachen.

Künftig sollen Krankenhäuser in drei konkrete Level eingeordnet und entsprechend gefördert werden. Die in zwei Untergruppen unterteilte Grundversorgung (Level Ii und In) umfasst dabei die medizinische und pflegerische Basisversorgung, zum Beispiel grundlegende chirurgische Eingriffe und Notfälle. Krankenhäuser des Levels In sollen die Notfallversorgung sicherstellen, die des Levels Ii sollen integrierte ambulant/stationäre Versorgung anbieten. Ihnen soll laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Überwindung der zu häufig noch stationär-ambulant getrennten Gesundheitsversorgung zukommen. Deshalb empfiehlt die Regierungskommission, sie sektorenübergreifend regional zu planen, sie vollständig aus dem DRG-System herauszunehmen und über Tagespauschalen zu vergüten. Zudem soll durch entsprechende gesetzliche Änderungen ermöglicht werden, dass sie unter pflegerischer Leitung stehen können. Häuser der Regel- und Schwerpunktversorgung werden in das Level II, solche der Maximalversorgung, also zum Beispiel Universitätskliniken, ins Level III eingeordnet. 

Für jedes Level sollen einheitliche Mindestvoraussetzungen gelten. Damit würden erstmals einheitliche Standards für die apparative, räumliche und personelle Ausstattung gelten – und damit die Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten maßgeblich erhöht werden, so das BMG. Weiterhin soll die lediglich grobe Zuweisung von Fachabteilungen zu Krankenhäusern durch genauer definierte Leistungsgruppen abgelöst werden. Derzeit würden Krankenhäuser gewisse Fälle zu häufig auch ohne passende personelle und technische Ausstattung behandeln, etwa Herzinfarkte ohne Links-herzkatheter, Schlaganfälle ohne Stroke Unit oder onkologische Erkrankungen ohne zertifiziertes Krebszentrum, hieß es vom Ministerium.

Behandlungen sollen künftig nur noch abgerechnet werden können, wenn dem Krankenhaus die entsprechende Leistungsgruppe zugeteilt wurde. Voraussetzung für die Zuteilung soll die Erfüllung genau definierter Strukturvoraussetzungen für die jeweilige Leistungsgruppe, etwa bezüglich personeller und apparativer Ausstattung, sein. Je nach Komplexität soll für jede Leistungsgruppe festgelegt werden, ob sie an Krankenhäusern aller drei Level erbracht werden darf oder nur an Krankenhäusern höherer Level (II und III oder nur III). 

Die Regierungskommission empfiehlt, die Regelungen nicht sofort gelten zu lassen, sondern über einen Zeitraum von fünf Jahren schrittweise einzuführen. Damit bleibe den Krankenhäusern, den Ärztinnen und Ärzten, Krankenkassen und Ländern ausreichend Zeit, sich auf das veränderte Finanzierungssystem einzustellen, hieß es.

Krankenhäuser verhalten positiv

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßte in einer ersten Reaktion, dass mit den Vorschlägen der Expertenkommission Krankenhausreform nun endlich die Reformdiskussion eingeleitet werde. „Mit der Vorstellung der Reformvorschläge der Expertenkommission beginnt nun der notwendige strukturierte Prozess, um die Reformvorschläge mit den Akteuren, Verbänden, Bund und Ländern abzustimmen. Die vorgesehenen Veränderungen im Finanzierungs- und Planungswesen des Krankenhaussystems sind eine Grundlage, um zu diskutieren, inwiefern sie umsetzbar und praktikabel sind. Bei allen Einzelvorschlägen braucht es nun ein tragfähiges Gesamtkonzept für eine Reform, die insgesamt auch mit den Ländern konsentiert werden muss,“ so der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß. Mit Blick auf das bereits beschlossene Krankenhauspflegeentlastungsgesetz und die darin enthaltenen Regelungen zu Tagesbehandlungen und Hybrid-DRG sagte er, es dürften jetzt keinesfalls einzelne Regelungen vorgezogen und mit der Brechstange umgesetzt werden, bevor die Reform insgesamt vereinbart sei. Ständig einzelne Veränderungen herauszulösen, führe zu mehr Verwerfungen als zu Fortschritt im System. „Deshalb wird es Zeit, Finanzierung, Planung, Entbürokratisierung und Personalfragen zusammen zu denken und zusammen zu reformieren. Nur so kann eine nachhaltige konsistente Reform gelingen,“ so Gaß.

Gerade in der Finanzierungsfrage würden sich die Reformvorschläge aus Sicht der Krankenhäuser daran messen lassen müssen, ob sie tatsächlich nachhaltig eine Verbesserung für die Versorgung der Patienten, die Krankenhäuser und die dort Beschäftigten bringen. Die von der Regierungskommission vorgestellten Veränderungen in der Finanzierung würden aber – anders als von Minister Lauterbach wiederholt angekündigt – weder die Abschaffung noch Überwindung des Fallpauschalensystems, sondern die auch von der DKG geforderte Ergänzung der DRG um eine leistungsunabhängige Vorhaltefinanzierung bedeuten – man sehe da durchaus Schnittmengen zum Reformvorschlag der Kommission. Weiterhin sei die adäquate Vergütung von klinisch-ambulanten Leistungen wichtig. „Das bedeutet aber, dass die gerade in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz beschriebenen Hybrid-DRGs noch einmal überprüft werden müssen. Zu diesem Komplex kommt kein Vorschlag der Kommission, was angesichts der Chancen einer klinisch-ambulanten Versorgung am Krankenhaus eher enttäuschend ist. Ein zukunftsfähiges Vergütungssystem muss also die Vorhaltung von bedarfsnotwendigen Versorgungsangeboten stärker als bisher berücksichtigen, die Notfallversorgung der Bevölkerung zu jeder Zeit sicherstellen, die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten der Krankenhäuser stärker nutzen und die notwendige Flexibilität bieten, in den Regionen gleichwertige Lebensverhältnisse zu erreichen“, sagte Gaß. Die dritte Säule sei eine Investitionskostenfinanzierung, die die tatsächlichen Bedarfe deckt. Denn die unzureichende Investitionsförderung sei eine der Hauptursachen für die angespannte wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser und die knappe Personaldecke. „Wir haben deshalb ein Anreizsystem vorgeschlagen, das jene Länder durch Kofinanzierungen des Bundes belohnt, die Investitionsmittel in einer Höhe zur Verfügung stellen, die dem tatsächlichen Investitionsbedarf nahekommt,“ kommentierte Gaß. Die Kommission greife mit ihrer Kritik zu kurz.

Scharfe Kritik übte die DKG an den Bezugsgrößen, die die Kommission vorsieht: „Die grundsätzlich richtigen Gedanken der Kommission basieren aber auf einer falschen Grundprämisse. Die Reform soll nach Vorstellung der Kommission die aktuellen Mittel nur umverteilen. Basis sind die Zahlen aus dem Jahr 2021. Damit basiert die Finanzreform aber bereits auf einer strukturellen Unterfinanzierung und ist damit im Prinzip schon zu Beginn zum Scheitern verurteilt. Das Erlösvolumen der Krankenhäuser muss zum Start der Finanzierungsreform sachgerecht und vollständig ausfinanziert werden,“ so der DKG-Vorstandsvorsitzende.

„Die nächsten Monate werden von einem nicht einfachen Diskussionsprozess von Bund, Ländern und den umsetzenden Verbänden und Akteuren geprägt sein. Wir Krankenhäuser stehen für diesen Prozess bereit. Aber uns läuft auch die Zeit davon. Krankenhäuser brauchen verlässliche Perspektiven und Planungssicherheit. Die aktuelle Lage ist eher trostlos“, schloss Gaß.

Aus Sicht der privaten Krankenhausträger, vertreten durch den Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK), beinhalten die Reformvorschläge positive Elemente und geben kluge neue Impulse. Dies gelte vor allem für den Fokus auf mehr ambulante Versorgung, die geplanten Vorhaltepauschalen und auch für die stärkere Gewichtung auf Behandlungs- und Ergebnisqualität. Entscheidend seien letztlich aber nicht die Ankündigungen, sondern die gesetzgeberische Umsetzung, hieß es in einer ersten Stellungnahme. Ob eine zentrale Regulierung der Versorgungsstufen aus Berlin am Ende zum Versorgungsauftrag des einzelnen Krankenhauses aus der Krankenhausplanung passe, müsse sich erst zeigen. Entlastungen für die angespannte wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser würden sich auch nicht aus einer Umverteilung der bisher unterfinanzierten Betriebs- und Investitionskosten ergeben, weswegen zusätzliches Geld nötig sein werde.

Bienstein: „Spitzenmedizin ohne Spitzenpflege funktioniert nicht!“

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sieht viele gute Ansätze in den Vorschlägen, die das Potenzial für eine bessere Gesundheitsversorgung hätten. „Eine grundlegende Reform, die sich daran orientiert, was die Menschen an pflegerischer und medizinischer Versorgung wirklich brauchen und die sektorenübergreifend angelegt wird, ist überfällig“, kommentierte Christel Bienstein, Präsidentin des DBfK, die Reformvorschläge. „Die Vorschläge haben das Potenzial, das Gesundheitssystem zu verbessern und dabei die Rolle der professionellen Pflege zu stärken. Es hängt nun davon ab, wie die Reform im Detail ausgestaltet wird.“

Mit den Vorhaltebudgets würden die Fehlanreize durch das Fallpauschalensystem, das Quantität statt Qualität und Versorgungsbedarf honoriert habe, zwar nicht vollständig eliminiert, aber in der vorgeschlagenen Berechnung der Vorhaltebudgets zumindest begrenzt, so Bienstein. Dabei sei es „richtig und wichtig, dass das Pflegebudget weiterhin unangetastet bleibt.“

Die Zuordnung von Krankenhäusern zu Versorgungsstufen, die von den Leveln I–III mit Untergruppierungen gehen sollen, befürwortet der DBfK. „Für uns ist wichtig, dass die einheitlichen Kriterien, nach denen Häuser den Leveln I–III zugeordnet werden sollen, die Zusammensetzung und Qualifikationsanforderungen in den Pflegeteams berücksichtigen,“ forderte Bienstein. „Die Level Ii-Häuser, die unter pflegerischer Leitung stehen sollen, werden aus unserer Sicht eine Schlüsselrolle für die Reform und die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in den Regionen übernehmen“, so Biensteins Einschätzung. „Hier kommt es darauf an, dass Pflegefachpersonen mit erweiterten Kompetenzen wie Community Health Nurses und Advanced Practice Nurses eingesetzt werden. Auch die Level III-Kliniken, in denen die Maximalversorgung angeboten wird, müssen akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen in den Teams einsetzen, um die hochkomplexen Fälle pflegerisch gut versorgen zu können. Spitzenmedizin ohne Spitzenpflege funktioniert nicht.“

„Wir werden uns aktiv und konstruktiv an einer sektorenübergreifenden Gesundheitsversorgung im Sinne der Bevölkerung beteiligen. Die Reformpläne können eine Aufwertung des Pflegeberufs bedeuten, die dringend notwendig ist. Wir als DBfK sind bereit, unsere Expertise in eine grundlegende Reform einzubringen. Hoffentlich bringen Bund und Länder den Mut dafür auf“, so Bienstein.

Hartmannbund: ein Anfang ist gemacht

Ein „Krankenhauskonzept mit Licht und Schatten“ sieht die stellvertretende Vorsitzende des Hartmannbundes, Prof. Dr. Anke Lesinski-Schiedat, in den Vorschlägen der Kommission. „Zumindest ein Anfang ist gemacht. Jenseits der Bewertung einzelner Maßnahmen gibt es jetzt eine Grundlage, auf deren Basis wir die dringend notwendigen Strukturveränderungen in Angriff nehmen können“, sagte Lesinski-Schiedat in einer ersten Reaktion. Dass das Papier eher evolutionären als disruptiven Charakter habe, sei der Ausgangslage angemessen. Wie revolutionär, um mit den Worten des Ministers zu sprechen, am Ende die Reform wirklich sei, hänge maßgeblich vor allem davon ab, inwieweit es gelingen werde, die Länder als wesentliche Akteure des Geschehens von der Reform zu überzeugen. So ließen sich die geplanten einheitlichen Standards für die Einordnung in Versorgungsstufen sowie die Einführung von definierten Leistungsgruppen nur gemeinsam mit den Bundesländern definieren und umsetzen. „An dieser Stelle würde das Papier mehr Optimismus verbreiten, wenn es neben dem Konzept für die leistungsbezogene Finanzierung wenigstens dezente Hinweise darauf enthielte, wie das nach wie vor zentrale Problem der unzureichenden Investitionskostenfinanzierung durch die Länder gelöst werden soll“, sagte Lesinski-Schiedat.

Als „spannend“ bezeichnete die stellvertretende Hartmannbund-Vorsitzende den Plan der Kommission, Krankenhäuser, die „integrierte ambulant/stationäre Versorgung“ anbieten, sektorenübergreifend regional zu planen, sie vollständig aus dem DRG-System herauszunehmen und über Tagespauschalen zu vergüten. Dies sei sicher eine Facette des Reformwerkes, bei der es sehr darauf ankomme, die Balance in den Strukturen des Gesundheitssystems nicht zu verlieren. „Inwieweit dieses komplexe Unterfangen wirklich umgesetzt werden kann, hängt am Ende nicht nur von den unterbreiteten Vorschlägen und deren notwendiger weiterer Modifizierung ab, sondern vor allem auch davon, in welchem Maße es gelingen wird, im konstruktiven Dialog die Player des Gesundheitssystems auf dem Weg zur Reform einzubinden und mitzunehmen“, schloss Lesinski-Schiedat.

Interview mit Prof Augurzky und Kommentar von Prof. Beivers in „Klinik Markt inside“

In der medhochzwei-Publikation „Klinik Markt inside“ hatten wir Gelegenheit, Prof. Dr. Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs „Gesundheit“ am RWI und Mitglied der Krankenhauskommission, in einem kurzen Interview zu den Vorschlägen der Kommission und zum weiteren Vorgehen zu befragen. Das Interview erschien zusätzlich im medhochzwei Newsletter 24-2022 und kann hier nachgelesen werden. Außerdem hat Prof. Dr. Andreas Beivers, Gesundheitsökonom und Studiendekan für Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius in München, die Vorschläge für KMi kommentiert und verweist in seinem Kommentar auf positive Aspekte, aber auch auf grundlegende Fragen, die das Papier nicht beantwortet, die aber essenziell für den Erfolg einer solchen Reform wären. Mehr Infos zu KMi finden sie hier.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 24-2022. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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