Gesundheitsdatennutzungsgesetz beschlossen – Kritik an vorgesehenen Datenverarbeitungsmöglichkeiten für Kranken- und Pflegekassen

06.09.2023, Sven C. Preusker
Digital Health, Politik & Wirtschaft

Das Bundeskabinett hat Ende August die Entwürfe eines „Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz – DigiG; siehe mhz-Newsletter 15/2023) sowie eines „Gesetzes zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten“ (Gesundheitsdatennutzungsgesetz – GDNG) beschlossen. Ziel sei es, mit digitalen Lösungen den Versorgungsalltag und die Forschungsmöglichkeiten in Deutschland zu verbessern, so das Bundesgesundheitsministerium zu den Beschlüssen. Nachdem wir im genannten medhochzwei-Newsletter 15/2023 ausführlich zu den Reaktionen auf das DigiG berichtet haben, geht es an dieser Stelle um das GDNG, auf dessen Entwurf unter anderem die Bundespsychotherapeutenkammer (BPTK) mit scharfer Kritik reagierte (siehe mhz-Newsletter 16/2023).

Mit dem GDNG werde die Grundlage für eine bessere Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten geschaffen, um eine optimale medizinische Versorgung bieten zu können und „den Gesundheits-, Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland an die Weltspitze heranzuführen,“ so das Ministerium. Zentraler Bestandteil des Gesetzes ist die erleichterte Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke. Dazu soll unter anderem eine dezentrale Gesundheitsdateninfrastruktur mit einer zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten aufgebaut werden. So könnten erstmalig Daten aus verschiedenen Datenquellen miteinander verknüpft werden, so das BMG. Die Zugangsstelle soll als zentrale Anlaufstelle für Datennutzende fungieren.

Die federführende Datenschutzaufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben soll mit dem Gesetz auf alle Gesundheitsdaten ausgeweitet werden. Die datenschutzrechtliche Aufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben im Gesundheitswesen soll dann durch eine oder einen Landesdatenschutzbeauftragte -bzw. beauftragten koordiniert werden. Auch das beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelte Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) soll weiterentwickelt werden. 

Für die Antragsberechtigung zur Nutzung von Gesundheitsdaten soll nicht mehr ausschlaggebend sein, wer beantragt, sondern wofür die Daten genutzt werden sollen. Entscheidend sind laut BMG die im Gemeinwohl liegenden Nutzungszwecke.

Für die Datenfreigabe aus der mit dem DigiG auf eine neue Basis gestellten elektronischen Patientenakte (ePA) soll ein Opt-Out-Verfahren eingeführt werden, um die Nutzung der Daten aus der ePA zu den zulässigen Zwecken des FDZ zu vereinfachen. Es soll eine einfache Verwaltung der Widersprüche eingerichtet werden, damit Patientinnen und Patienten über die Freigabe ihrer Daten für die Forschung oder weitere Zwecke an das FDZ entscheiden können.

Kranken- und Pflegekassen sollen Daten verarbeiten dürfen, wenn dies nachweislich dem individuellen Schutz der Gesundheit der Versicherten dient, zum Beispiel der Arzneimitteltherapiesicherheit oder der Erkennung von Krebserkrankungen oder seltenen Erkrankungen – dieser Punkt ist, wie bereits erwähnt, bei verschiedenen Verbänden auf scharfe Kritik gestoßen.

BMC: endlich Fokus auf nutzenstiftende Anwendungsfälle

Der Bundesverband Managed Care (BMC) begrüßte die Verabschiedung der beiden Entwürfe als großen Fortschritt für die digitale Transformation. Der BMC- Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Lutz Hager sagte: „Endlich fokussiert die Politik darauf, aus technologischen Möglichkeiten nutzenstiftende Anwendungsfälle für eine qualitativ hochwertige, unbürokratische und patientenorientierte Gesundheitsversorgung zu ziehen.“ Die Regelungen des GDNG schaffen aus Hagers Sicht eine gute Voraussetzung, um positive Versorgungseffekte zu erzielen: „Es ist überfällig, dass wir die existierenden Datenschätze im Gesundheitswesen für die Forschung und Früherkennung von Krankheiten nutzen. Davon profitieren Wissenschaft, forschende Industrie und betroffene Patienten gleichermaßen.“ Wichtig sei, dass Ergebnisse aus Datenanalysen und reale Versorgungsprozesse integriert gedacht und umgesetzt würden, damit Erkrankungen früher erkannt und Patientinnen und Patienten besser behandelt werden könnten, sagte er.

TMF: wichtige Ansätze

Sebastian C. Semler, Geschäftsführer der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF) sagte, man begrüße den GDNG-Entwurf. „Bessere Datenverfügbarkeit, gestraffte Aufsichtsverfahren, erste Schritte zu einer sicheren Datenverknüpfung von im deutschen Gesundheitssystem verteilt vorliegenden Datensätzen und insbesondere die Stärkung der Eigenforschung der Leistungserbringer – dies sind wichtige Ansätze. Auch eine rechtzeitige Vorbereitung auf den Europäischen Gesundheitsdatenraum erscheint sinnvoll.“ Positiv hervorzuheben ist aus Sicht der TMF die vorgesehene Verknüpfung von Daten des Forschungsdatenzentrums und der klinischen Krebsregister sowie die Einführung eines Forschungspseudonyms/Identifier. Die TMF begrüßte auch die Intention, mit dem vorgesehenen Federführungsprinzip in der Datenschutzaufsicht administrative Prozesse zu straffen und Bürokratieaufwand zu reduzieren. Für die einwilligungsbasierte Forschung seien weitergehende Regelungen zur Vereinheitlichung der behördlichen Aufsichtsprozesse notwendig.

Auch die Idee der Einrichtung einer zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle begrüßt die TMF. „Beim Aufbau entsprechender Infrastrukturen, wie der im Gesetz vorgesehenen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle, sollte freilich weniger auf behördliche Ansiedlung, sondern auf Wissenschaftsnähe und Service-Orientierung geachtet werden. Ein wissenschaftliches Konzept für diese Infrastruktur ist dringend vorab erforderlich, in das insbesondere Erfahrungen aus der Medizininformatik-Initiative oder der NAKO Gesundheitsstudie früh Eingang finden sollten“, betonte Semler.

IKK-Verband: Kassen können Aufgabe als Versorgungsmanager endlich übernehmen

Jürgen Hohnl, Geschäftsführer der Interessenvertretung von Innungskrankenkassen (IKK e.V.), sagte, die im Gesetz vorgesehene Nutzung der Daten für Auswertungen der Krankenkassen zur individuellen Früherkennung und zur Erkennung von Gesundheitsgefahren sei aus Sicht der Kassen sehr positiv zu bewerten. Man könne so als Kasse die Aufgabe als Versorgungsmanager übernehmen und den Versicherten adäquate, zielgenaue Versorgungsangebote unterbreiten. „Endlich erhalten wir die Möglichkeit, datengestützte Auswertungen vorzunehmen, die dem individuellen Gesundheitsschutz unserer Versicherten, einer besseren Versorgung und der Patientensicherheit insgesamt dient.“ Nach all der Kritik an dieser Regelung „freut es uns, dass sich das Bundesgesundheitsministerium nicht hat beirren lassen und den Krankenkassen diese Möglichkeit endlich eröffnet. Jetzt können wir beweisen, dass wir damit verantwortungsvoll umgehen.“

Zi und Fachärzte sehen Kassen-Datennutzung sehr kritisch

Auch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) schaut sehr kritisch auf die neuen Möglichkeiten für Kassen zur Datenauswertung. Genau diese Art der Datenauswertung eröffne auch subtilen Möglichkeiten der Risikoselektion unliebsamer, weil vermeintlich ‚teurer‘ Versicherter, Tür und Tor, so der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. „Zudem muss ernsthaft in Zweifel gezogen werden, ob alle Krankenkassen über ausreichend wissenschaftliche Expertise verfügen (wollen), etwaige Prognosemodelle ausreichend sensitiv und präzise einzustellen. Dies ist ein aufwändiger Prozess. Eine Folge mangelnder Validität der Modelle könnte nicht nur sein, dass Patientinnen und Patienten ohne Grund verunsichert werden, sondern auch, dass unnötige Untersuchungs- und Folgeleistungen in Anspruch genommen werden, die wiederum die Solidargemeinschaft mit vermeidbaren Kosten belasten und unnötig knappe Behandlungsressourcen beanspruchen.“

Außerdem müssten auch die Kassenärztlichen Vereinigungen die Abrechnungsdaten aus der ambulanten Versorgung verstärkt für ihre Aufgaben nutzen können, so die Forderung des Instituts. Dabei könnten und müssten die Persönlichkeitsrechte aller Patientinnen und Patienten strengstens gewahrt bleiben.

Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) hatte den Referentenentwurf zum GDNG ebenso wegen der neuen Möglichkeiten für die Kassen kritisiert. „Die Entscheidung über Diagnose und Therapie ist eine rein ärztliche Entscheidung und muss es auch bleiben,“ so Dr. Helmut Weinhart, stv. 2. Vorsitzender des SpiFa-Vorstandes. „Dazu gehört auch ein persönliches Beratungsgespräch, in welchem die Patientinnen und Patienten über mögliche Gesundheitsrisiken aufgeklärt werden und bei Bedarf direkt Fragen stellen können. Dafür bedarf es aber eines vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses. Das ist sicher nicht gegeben, wenn Patientinnen oder Patienten unerwartet von Ihrer Krankenkasse kontaktiert und auf ein potenzielles Gesundheitsrisiko hingewiesen werden. Diese Patientinnen und Patienten landen dann schlussendlich völlig verunsichert in den Praxen.“

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßte, dass mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz der Versuch unternommen werde, die schon vorhandenen Daten für die Versorgungsverbesserung endlich zu nutzen. Gleichzeitig warnte sie aber davor, den Kranken- und Pflegekassen zu ermöglichen, die Daten unkontrolliert zu nutzen. Das würde sowohl das Vertrauen der Versicherten zerstören als auch die Kassen inhaltlich total überfordern. „Die umfassende Befugnis von Kranken- und Pflegekassen, die bei ihnen vorhandenen Daten ohne Einwilligung zur Ermittlung patientenindividueller Gesundheitsrisiken auszuwerten, und Versicherte hier direkt zu informieren und damit medizinisch zu beraten, ist aber komplett abzulehnen. Kranken- und Pflegekassen haben nicht das medizinisch pflegerische Know-how, um dies zu tun. Mit solchen Empfehlungen würden sie in die Therapiegestaltung von Leistungserbringern eindringen und das zentrale Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten zerstören. Die Trennung zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern im Sinne einer patientenorientierten Verbindung von Gesundheitsdatennutzung und Versorgungsverantwortung ist richtig und fachlich begründet. Zudem könnte ein solch umfassendes Recht mit Eingriff in die Privatsphäre der Versicherten mehr verunsichern als Vertrauen in sorgsame Nutzung aufbauen“, so Prof. Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DKG. 

Ganz anders sehe es bei der Möglichkeit für die Leistungserbringer aus, die Daten zu nutzen und die zulässigen Zwecke der Weiterverarbeitung klar zu definieren. „Nach der Vorlage des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes laufen wir aber Gefahr, ein pauschales Verbot der Weitergabe an Dritte zu verankern, das nutzenstiftende Datenflüsse zwischen Kliniken innerhalb einer Trägerschaft und in Forschungskooperationen unterbinden würde. Die Pandemie hat aber gezeigt, dass solche Datenflüsse von extrem großer Bedeutung sind, um schnellstmöglich vorhandenes Wissen zu transportieren und neues Wissen zu generieren,“ so Neumeyer.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 17-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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