Der Daily Lama und der Weihnachtsbaum

06.12.2023, Sarah Rondot
Kinder & Familie

Eine kurze Weihnachtsgeschichte vom Daily Lama

Ich drehte den Schlüssel im Schloss um und summte dabei ein Weihnachtslied vor mich hin, das wir gerade für unser Krippenspiel an der Schule einübten. Da hörte ich ein leises „Ooohm“ aus dem Wohnzimmer. Der Daily Lama war hier! Ich freute mich, der Daily Lama hatte einen Schlüssel zu unserer Wohnung und nutzte unser Wohnzimmer manchmal zum Meditieren, wenn es ihm in der Lama-WG zu bunt wurde. Er war gerade von einem Besuch aus Peru zurückgekehrt und wollte das erste Mal den Winter in Deutschland verbringen. Ich schlich mich leise ins Wohnzimmer, um den Daily Lama nicht bei seiner Meditation zu stören.

Und da saß er, in einem nagelneuen Poncho aus Peru, die Augen geschlossen, mit geradem Rücken. Mein Blick wanderte ungläubig auf den Kopf meines Lieblingslamas. Auf seinem Scheitel thronte unser Adventskranz! Mama hatte ihn gestern nach der Arbeit mitgebracht. Gerade noch rechtzeitig, denn heute war Freitag und am Sonntag schon der erste Advent. Der Daily Lama hatte eine der vier Kerzen angezündet und so saß er mit dem halb erleuchteten Kranz auf dem Kopf. Ich prustete los: „Daily Lama, was machst du denn da?“ Er öffnete die Augen: „Hmm?“, fragte er und machte dabei eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf. „Pass auf!“, rief ich und rettete den hinabsegelnden Adventskranz gerade noch bevor er auf dem Teppich landen konnte. Der Daily Lama hatte sich wieder gefangen und er erklärte: „Ich hab diese Krone auf dem Tisch gefunden und dachte, ich probier sie mal beim Meditieren aus. Und sogar Meditationslichter hat sie! Hat genau auf meinen Kopf gepasst!“ Ich kicherte: „Das ist keine Krone! Das ist unser Adventskranz. Und eigentlich darfst du die Kerzen noch gar nicht anzünden, erst am Sonntag!“ Verwirrt antworte der Daily Lama: „Wieso denn keine Krone? Und wieso erst am Sonntag?“

Da fiel es mir ein, der Daily Lama hatte ja noch nie eine Weihnachtszeit erlebt. Immer rund um Weihnachten besuchte er seine Onkel in der peruanischen Steppe. Die feierten wohl kein Weihnachten. Also erklärte ich ihm, dass wir bis zum 24. Dezember jeden Sonntag eine Kerze anzünden würde. Auch den Ablauf des Weihnachtsfests beschrieb ich und dass ich mich schon sehr auf die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum freute. Allerdings wurde mir bei den neugieren Fragen des Daily Lama bewusst, dass ich selbst gar nicht so genau wusste, woher diese Traditionen eigentlich kamen. Der Daily Lama war trotzdem Feuer und Flamme: „Das klingt toll! Die Leute nehmen sich im Alltag Zeit für diese Bräuche. Das gefällt mir als Entspannungsexperte natürlich.“

In der nächsten Woche hatten wir wieder Probe für unser Krippenspiel. Nachdem ich im Sommer die Hauptrolle in unserem Wikingertheaterstück gespielt hatte, trotz meines Lampenfiebers, hatte ich mich auch getraut, beim Krippenspiel mitzumachen. Meine beste Freundin Ella, Alva und ich spielten die drei Könige. Am Anfang der Probe fragte Frau Sonnental, die Theaterlehrerin: „Gibt es immer noch niemanden, der das Kamel der drei Könige spielen will?“ Stille im Übungsraum. Da fiel mir etwas ein: „He Ella, der Daily Lama könnte doch das Kamel spielen!“ Ella war sofort begeistert: „Ja, Lamas und Kamele sind glaube ich verwandt!“ Sie meldete sich und Frau Sonnentag war glücklich, endlich eine Besetzung für das Kamel gefunden zu haben.

Ich freute mich, dem Daily Lama die Nachricht zu überbringen. Er mochte Theater und jetzt, wo er gerade Weihnachten kennenlernte, übernahm er bestimmt gern die Rolle des Kamels! Ich rief den Daily Lama an und bat ihn, unbedingt am Nachmittag vorbei zu kommen. „Ich habe eine Überraschung für dich!“ Wenig später stand der Daily Lama gespannt vor der Tür. Am Esstisch schob er den Adventskranz energisch zur Seite und fragte: „Und, was ist die Überraschung?“ Ich rief: „Du kannst in unserem Krippenspiel mitspielen! Du bist ein Kamel!“ Das Gesicht des Daily Lamas veränderte sich, er beugte sich vor und haute mit einem Lamahuf auf den Tisch: „Nein, das kannst du vergessen!“ Erschrocken fragte ich: „Wieso denn nicht, willst du kein Kamel spielen?“ Er winkte ab: „Nein, das ist es nicht.“ – „Was ist es dann? Du magst doch Weihnachten?“ Der Daily Lama schüttelte vehement den Kopf: „Nein, nicht mehr.“ Bevor ich nachfragen konnte, sprudelten schon die Worte aus ihm heraus: „Ich habe mich in den letzten Tagen viel in der Stadt herumgetrieben, ich wollte noch mehr über diese Weihnachtszeit herausfinden. Ich habe erwartet, ganz viele fröhliche Menschen zu sehen. Aber alle waren schlecht gelaunt!“ Ich wollte den Daily Lama unterbrechen, aber es ging weiter. „Sie hatten volle Tüten und haben gemeckert, wenn jemand schneller an der Kasse drankam. Viele haben telefoniert: ‚Nee, ich hab heute Abend keine Zeit, ich muss mir unbedingt noch ein Geschenk überlegen und morgen ist ja schon die Weihnachtsfeier von der Arbeit!‘“ Langsam spürte ich, worauf der Daily Lama hinaus wollte. „Sam, ich bin ein Entspannungsexperte und wie ich das beobachtet habe, bedeutet die Weihnachtszeit für die meisten Leute Stress! Das kann ich einfach nicht unterstützen und bei eurem Krippenspiel mitmachen.“

Das erste, was ich Ella am nächsten morgen auf dem Schulhof erzählte, war:„Ella, wir haben ein Problem, der Daily Lama will nicht beim Krippenspiel mitmachen!“ Ella reagierte bestürzt und überrascht: „Mist, wir haben ihn schon als Kamel bei Frau Sonnentag angemeldet!“ Nachdem ich ihr die Abneigung des Daily Lamas gegenüber der Weihnachtszeit erklärt hatte, begannen wir uns einen Plan auszudenken. In den Schulstunden unterhielten wir uns flüsternd und die Pause verbrachten wir statt auf dem Schulhof in der Bibliothek.

Direkt nach der Schule machten wir uns, mit dem Plan in Gepäck, auf den Weg zur Lama-WG. Wir klingelten und fragten durch die Lautsprecheranlage: „Hallo, ist Eréndira da und kann mal kurz runterkommen?“ Wenige Minuten später schwebte die Lamadame mit den rosanen Bändern im Fell die Treppe herunter. Sie war eine Sterndeuterin, die der Daily Lama und ich auf unserer Reise in Peru kennengelernt hatten. „Hallo ihr zwei, was kann ich für euch tun?“ Ich flüsterte: „Ist der Daily Lama zu Hause?“ „Nein“, antworte sie, „der berät gerade eine Familie zur Entspannung und ist bis heute Abend weg.“ Erleichtert sagte ich: „Gut, wir müssen nämlich mit euch sprechen.“ Also begleiteten wir die Lamadame nach oben.

In der Wohnung setzten wir uns mit Eréndira, Shila und Emil zusammen. Shila, die schicke Lamadame und Emil, der freche Lamajunge, hatten im Zoo unserer Stadt gewohnt, bis der Daily Lama sie befreit hatte. Nun wohnten alle vier zusammen in der Lama-WG. Wir breiteten unseren Plan aus: „Ihr müsst uns helfen, dass der Daily Lama Weihnachten wieder mag, damit er in unserem Krippenspiel das Kamel spielt.“ Emil sagte: „Na gut, wenn wir euch helfen, will ich aber auch ein Kamel sein.“ „Ich auch!“, stimmte Shila zu. Eréndira zögerte: „Wenn dann möchte ich selbst eine heilige Königin sein, sie deuten doch in der  Weihnachtsgeschichte die Sterne, so wie ich!“ Ella und ich tauschten unbehagliche Blicke. Ob Frau Sonnentag mit einer ganzen Lamahorde einverstanden sein würde? Naja, besser vier Könige und drei Kamele als gar keine. „Und wie wollt ihr den Daily Lama dazu bringen, dass er Weihnachten wieder mag?“ Ella präsentierte stolz: „Wir planen einen Weihnachtstag und machen alles, was dazugehört: Wir kaufen zusammen den Tannenbaum, backen Plätzchen, musizieren.“ Ich fügte hinzu: „Das wird so ein Spaß, da muss er Weihnachten einfach lieben.“ Ella holte ein dickes Buch aus ihrem Schulranzen: „Außerdem haben wir ein Weihnachtslexikon aus der Bibliothek ausgeliehen. Da können wir den Daily Lama mit Wissen über die Weihnachtstraditionen beeindrucken.“

Am nächsten Samstag war es so weit. Ella und ich standen wieder vor der Tür der Lama-WG. Die Lamas kamen, in ihrer Mitte der Daily Lama, die Treppe herunter. Er trug noch seine Pantoffeln. „Uaah“, gähnte er, „Wozu habt ihr mich den so früh aus dem Bett geholt?“ Eréndira hakte ihn unter: „Ich möchte unbedingt einen Weihnachtsbaum für unsere Wohnung!“  Der Daily Lama stemmte die Hufe in die Seiten: „Ich hab euch schon gesagt, dass ich keinen Weihnachtskram in der Wohnung haben will.“ Shila schaltete sich ein: „Emil und ich wollen aber auch einen Baum für die WG und damit steht es drei zu eins. Dafür darfst du aber mit aussuchen kommen!“ Der Daily Lama murrte, bis wir am Weihnachtsbaumstand angekommen waren. Eréndira, Emil und Shila wuselten zwischen den Bäumen herum. Sie maßen die Höhe der Tannen, indem Emil auf Shilas Schultern kletterte. „Der Baum für unser Wohnzimmer darf 1,5 Lamas hoch sein!“, rief er. Da musste der Daily Lama schmunzeln. Die Lamas waren begeistert von der Maschine, die die Tannen in ein Netz wickelte, um sie nach Hause zu transportieren. Emil sprang im hohen Bogen durch die Öffnung der Maschine und kam in ein Netz gehüllt heraus: „Juhuuuu!“

Zu Hause überredeten Ella und ich den Daily Lama mit uns Plätzchen zu backen. „Na gut, aber nur wenn ihr etwas Heu in den Teig schüttet, das schmeckt dann viel besser.“ Wir formten Lamas aus dem Teig, während Shila, Emil und Eréndira sich um den Baum kümmerten. Als wir aus der Küche traten, baumelte der Baum von der Decke: „Hä?“, entfuhr es dem Daily Lama „Wieso hängt der denn von der Decke? In der Stadt habe ich nur stehende Weihnachtsbäume gesehen.“ Ella klappte das Weihnachtslexikon auf. „Tja, sie haben es nach alter Tradition gemacht! Hier steht: Ursprünglich holten sich die Menschen zur Zeit der Wintersonnenwende grüne Tannenzweige ins Haus, als Zeichen für Leben und Fruchtbarkeit im dunklen Winter. Einer Überlieferung zu Folge wurden in Straßburg 1535 die ersten Weihnachtsbäume gehandelt. Sie wurden zunächst ohne Schmuck in den Stuben aufgehängt. Etwas später tauchte der Brauch im Norden auf, die Bremer Handwerker hängten Äpfel, Nüsse und Datteln an die Bäume. Den süßen Schmuck durften die Kinder essen.“ Wir alle lauschten Ella, da entfuhr es dem Daily Lama: „Können wir unsere Lamaplätzchen an den Baum hängen?“ Überrascht drehte sich Erénira zu ihm um: „Ich dachte du magst den Baum gar nicht?“ Der Daily Lama druckste etwas herum. Eréndira holte ein paar bunte Bänder und gemeinsam hingen wir die Heuplätzchen am Baum auf. Der Daily Lama mittendrin. Er erschien weniger abgeneigt, aber ich hatte des Gefühl, ein bisschen Überzeugungskunst brauchten wir noch. Ich überlegte angestrengt. „Als Entspannungsexperte kann ich dieses stressige Fest nicht unterstützen.“ So etwas hatte der Daily Lama gesagt. Doch was, wenn ich ihm zeigte, dass man auch in der Weihnachtszeit Entspannung finden konnte? Mittlerweile hatte ich schon einige Entspannungsübungen vom Daily Lama gelernt. Ich tauchte aus meinen Gedanken auf und klatschte in die Hände: „Legt euch mal alle im Kreis um den Baum herum auf den Boden.“ Eréndira warf mir einen überraschten Blick zu. Diesen Teil des Plans hatte ich nicht mit den anderen abgesprochen. Doch ich zwinkerte ihr zu und alle breiteten sich um den Baum herum auf dem Boden aus, unsere Füße Richtung Tanne, sodass unsere Körper einen Stern ergaben. „Schnappt euch einen Gegenstand, den ihr euch auf den Bauch legt!“ Ella schnappte sich das dicke Weihnachtslexikon. „Und jetzt beobachten wir für ein paar Minuten wie unser Atem den Gegenstand auf und ab bewegt. Auf und ab.“ Nachdem wir das eine Weile gemacht hatten, forderte ich die anderen auf, in ihren Körper hinein zu spüren: „Beginnt bei euren Zehen, wie fühlen sich die Zehnen an?“ Angekommen beim Bauch sagte der Daily Lama in die Stille hinein: “Mein Bauch fühlt sich voll an, vom ganzen Plätzchenteig. Und ich bin das Kamel im Krippenspiel!“ Ich rappelte mich auf und fiel ihm jubelnd um den Hals. Wir blieben noch im Kreis stehen. Der Daily Lama hatte eine Idee: Komm, wir machen gemeinsam den Baum, den Weihnachtsbaum!“

 

Mehr vom Daily Lama und Sam:

 

Anzeige
Anzeige